Ungewohnt, riskant und fast erfolgreich – Malagas Pressing gegen Dortmund
Champions League 11.April.2013 Alexander Semeliker 3
Das Viertelfinalrückspiel der UEFA Champions League zwischen Borussia Dortmund und Malaga bot eine Menge Dramatik. In der 82. Minute, als Eliseu das 2:1 für die Gäste erzielte, schien das Spiel für die Schwarzgelben verloren. Nur Optimisten rechneten zu diesem Zeitpunkt noch mit einem Aufstieg ins Halbfinale, auch weil Malaga gut gegen den Ball arbeitete und kaum was zuließ. Genau dieser Punkt soll in diesem Artikel näher beleuchtet werden.
Liest man sich durch Foren oder sieht man sich die Nachbetrachtungen von TV-Sendern an, kommt man zu dem Schluss, dass den meisten von diesem packenden Viertelfinale lediglich die Leistung von Schiedsrichter Craig Thomson besonders aufgefallen ist und dies die einzige Diskussionsgrundlage rund um das Spiel sei. Der Schotte übersah Abseitsstellungen bei zwei Toren und hätte bei genauer Regelauslegung auch den einen oder anderen Spieler ausschließen können. Wir wollen uns hier von dieser Betrachtung lösen, denn auch taktisch war dieses Duell mitreißend. Dies hing insbesondere vom Pressingmuster Malagas ab.
Hohe Offensiv- und tiefe Defensivspieler
Schon beim Hinspiel im La Rosaleda stach einem der ungewohnte Pressingansatz von Coach Manuel Pellegrini ins Auge. Unter dem Chilene zeigt sich das Spiel gegen den Ball nämlich extrem zweigeteilt. In der Offensive verfügt er über durchaus namhafte und vor allem wendige Spieler, die mit ihrer Flexibilität nicht aus beim eigenen Spielaufbau gefährlich werden können, sondern nach Ballgewinnen auch schnell umschalten können. Kurioserweise haben sie in dieser Saison jedoch noch keine einziges Tor im Anschluss an einen Konter geschossen.
Sie sind um Ballkontrolle bemüht, wollen sich im Angriffsdrittel festsetzen und warten auf die nachkommenden Defensivspieler. Diese stehen im Pressing nämlich absichernd und sehr tief, was auch mit den jeweiligen Spielertypen zusammenhängt. Mit Jeremy Toulalan spielt dort beispielsweise ein relativ langsamer Akteur, der allerdings über eine enorme Spielintelligenz verfügt und das Spiel ausgezeichnet lesen kann. Pro Spiel erobert der Franzose im Schnitt 7,1 Bälle (4,2 Tackles/2,9 Interceptions) – nur vier Spieler kommen ligaweit auf einen besseren Wert.
Viel Platz zwischen den Linien
Diese Strategie bietet dem Gegner selbstverständlich sehr viel Platz zwischen den beiden Sektionen – siehe Bild rechts. Im Hinspiel nutzen die Dortmunder diesen Platz zunächst relativ gut. Egal ob die beiden Sechser, Sebastian Kehl und Ilkay Gündogan, sich dort anboten, Mario Götze oder sogar Robert Lewandowski sich zurückfallen ließen, Malaga hatte zwischen den Linien kaum Zugriff auf den Gegner. Dortmund konnte – auch aufgrund des ausbaufähigen Rückwärtspressings der Offensivspieler – den Ball in Ruhe ins letzte Drittel bringen.
Zudem hatte der BVB dadurch den Vorteil auch die nötigen Stellungen für sein berüchtigtes Gegenpressing geordnet einzunehmen. Danach zog Malaga das Tempo an und es kam zu einem Schlagabtausch im Umschaltspiel. Das Rückspiel in Dortmund stand jedoch unter einem anderen Stern, denn die Borussen kontrollierten das Spiel von Beginn weg. Dennoch schien das Aufbauspiel weniger flüssig zu sein. Dass der 1:1-Ausgleich nach einem blitzsauberen Konter nach einem Ballgewinn in Nähe der Mittellinie fiel, passt ins Bild. Aber warum hatte Borussia Dortmund auf einmal Probleme mit dem Aufbauspiel?
Flügelspieler kappen Verbindungen nach Außen
Das Spiel des BVB hat sich seit der Meisterschaft 2010/2011 grundlegend geändert. Damals hatte man in Nuri Sahin quasi nur einen Spielmacher, der aus der Tiefe heraus die Fäden zog. Mit dem Wechsel des Türken zu Real Madrid änderte sich dies allerdings. Mats Hummels drängt nun aus der Innenverteidigung stärker nach vorne, Gündogan agiert auf der Doppelsechs viel dynamischer als Sahin. Er kann sowohl kurze – zum Beispiel durch Dribblings – als auch lange Distanzen – zum Beispiel mit präzisen, langen Bällen – beeinflussen. Aber auch die Außenverteidiger sind nun stärker ins Spiel eingebunden. All diese Einflüsse schnitt Malaga mit einem recht einfachen, aber auch riskanten Kniff ab.
Hier sieht man die Pressinganordnung der Spanier. Der Zehner schob gegen den Ball nach vorne neben den Stürmer, zudem postierten sich die Flügelspieler sehr hoch. Dadurch standen sie in Überzahl gegen die drei Aufbauspieler der Deutschen, was oft in einem Hin- und Hergeschiebe des Balls zwischen diesen mündete. Üblicherweise sucht Dortmund in derartigen Situationen den Weg auf die Seiten zu den Außenverteidigern. Im Vergleich zum Hinspiel positionierten sich diese aber um einiges höher wodurch sie im Deckungschatten der gegnerischen Flügelspieler verschwanden und schwer anzuspielen waren. Dieses Risiko wollten die Schwarzgelben allerdings nicht eingehen, da sie bei Ballverlusten in Unterzahl gewesen wären.
Gündogan unter Druck
Ein weiterer Ausweg wäre ein Zuspiel ins Zentrum auf Gündogan gewesen, doch man erkennt schon im obigen Bild das Problem dabei. Die gegnerischen Sechser hatten den Achter ständig am Radar und waren bei Anspielen stets zur Stelle. Eine Tatsache, die im Zusammenhang mit der Nominierung von Ignacio Camacho als Nebenmann von Toulalan steht, der weniger abwartend agiert.
In diesem Bild sieht man eine typische Konstellation bei einem Anspiel auf Gündogan. Er wurde sofort eingekesselt. Zwar verfügt er über eine außergewöhnliche Technik und ist kaum pressinganfällig, zu großes Risiko wollte aber offenbar auch er nicht gehen. Auch an dieser Stelle sieht man, dass der Außenverteidiger (hier: Lukasz Pisczcek) im Deckungsschatten Iscos verschwindet.
Die Wichtigkeit des abkippenden Spielers
Die Wende führte schließlich die 72. Minute herbei, als Jürgen Klopp Nuri Sahin für Sven Bender einwechselte. Mit ihm als primären Aufbauspieler zwischen den Innenverteidigern hatte man nun Möglichkeiten auch die Außenverteidger stärker ins Spiel einzubeziehen. Durch die hohen Stellungen von Malagas Flügelspieler hatte man die Chance auf den Flügeln mit langen Bällen die defensiven Außenbahnen zu überladen. Die Passschemen von Bender und Sahin verdeutlichen die geänderte Ausrichtung. Verstärkt wurde der Effekt mit der Hereinnahme von Mats Hummels.
Besonders über die rechte Seite sorgten die Dortmunder für Gefahr, da Isco der höhere der beiden Flügel war. So wurde zum Beispiel auch die Torchance von Marco Reus in der 76. Minute genau auf diese Weise eingeleitet. Daneben konnte auch Gündogan höher agieren, da Sahin weit passstärker als Bender ist. Auch das lässt sich anhand der Passschemen vor und nach der Einwechslung ablesen.
Bis zur 72. Minute spielte Gündogan viele Quer- und Rückpässe, danach konnte er sich vor allem im Mittelkreis und vorm gegnerischen Strafraum entfalten. Unter anderem leitete er einmal auch schön in den Lauf von Götze weiter, der abermals an Keeper Willy Caballero scheiterte. Darüber zu diskutieren, was gewesen wäre, wenn der Youngster in dieser Situation das 2:1 gemacht hätte, ist aber ebenso müßig wie die Schiedsrichter-Diskussion.
Alexander Semeliker, abseits.at
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