Unter der Lupe: Shinji Kagawas Leistung gegen Bayer Leverkusen
Champions League 29.November.2013 Rene Maric 1
Mit 0:5 deklassierte Manchester United auswärts Bayer Leverkusen und feierte den höchsten Auswärtssieg seit dem 25. September 1957, als man mit den legendären Busby Babes in Vorrunde Eins die Shamrock Rovers ausschaltete. Seitdem konnte keine andere Generation Uniteds einen solchen Sieg in der Champions League feiern – bis am Mittwoch ausgerechnet der Bundesligazweite unter die Räder kam. Neben der hervorragenden Leistung Wayne Rooneys spielte ein anderer Akteur, ein ehemaliger Bundesligaspieler, eine wichtige Rolle.
Shinji Kagawa, der Spielmacher und Denker
Kagawas auffälligste Stärken liegen im Spiel mit dem Ball am Fuß. Er kann Pässe hervorragend direkt weiterleiten, zeigt tolle schnelle Zuspiele in die Spitze und überzeugt mit seiner Ballsicherheit. Immer wieder kann er Pressingsituationen auflösen und zeigt sich überaus pressingresistent. Zwei größere Stärken sind aber weniger auffällig: Nämlich sein intuitives Verständnis von Räumen und Bewegungen sowie seine indirektes Öffnen von möglichen Angriffskanälen.
Sehen wir uns dafür die Entstehung des Führungstreffers an:
Sofort bedrängt Kagawa Reinartz in einer schwierigen Situation. Zuerst zwingt er dabei Reinartz dazu, sich vor den springenden Ball zu stellen und öffnet ihm dabei den Weg in die Mitte. Als Reinartz per Hacke diesen Raum bespielen will, ist Kagawa aber schon zur Stelle und erobert den Ball. Blitzartig schaltet er nach vorne um.
Bei seinem Sprint bewegt er sich diagonal – er ist dank seiner Schnelligkeit und Ballführung so schnell, dass er den Ball nicht verliert und etwas Abstand auf den Gegner hat. Mit seinem diagonalen Lauf hat er sich außerdem eine Anspielstation und offenen Raum geschaffen, neben ihm erhält dann sein Mitspieler den Ball in einem offenen Raum. Kagawa setzt seinen Lauf überaus interessant fort.
Kagawa lief noch etwas weiter diagonal und Richtung Außen. Somit lenkt er Cans Aufmerksamkeit auf sich und zieht dann minimal in die Mitte. Klingt unspektakulär, ist aber für das Tor mitverantwortlich. Weil Kagawa nicht sprintartig nach vorne ging, blieb Can bei ihm.
Da Kagawa aber nicht breit blieb, öffnete sich am zweiten Pfosten ein Raum – wo Valencia ganz alleine die Flanke Rooneys zum 1:0 verwerten konnte.
Diese taktischen Stärken im Verbund mit seiner Technik sieht man noch in einigen anderen Szenen. In dieser Situation beispielsweise bespielt er sehr intelligent und schnell das Herausrücken Leverkusens.
Reinartz schiebt in dieser Szene nach vorne und öffnet hinter sich Räume. Normalerweise ist das sehr effektiv: Der Deckungsschatten stellt den Raum zu, man sorgt mit der Bewegung für Druck beim Gegner und dieser muss einen schnellen Pass spielen, wodurch es schwer ist in den offenen Raum zu kommen. Doch Kagawa zeigte sich zuvor schon sehr beweglich und ging auf die Außenbahn – und von dort zieht er schnell in den offenen Raum, als er Reinartz‘ beim Herausrücken sieht. Noch bevor Reinartz Druck herstellen kann, erhält Kagawa schon den Ball. Er wird von Rolfes gefoult.
Trotz der enormen Überzahl Leverkusens konnten sie selten Bälle in diesen Räumen erobern. Kagawas geringe Schrittfrequenz half ihm bei seinen Bewegungen und sorgte für viele Fouls im Zwischenlinienraum – insgesamt 5.
Eine ähnlich schnelle und intelligente Ballverarbeitung sehen wir in der nächsten Szene.
Hier wird der Ball schnell auf Kagawa abgelegt. Viele Spieler hätten sich hier den Ball zur Sicherheit quergelegt oder einfach angenommen, weil die Reaktionszeit enorm gering ist. Doch Kagawa spielt den Ball relativ weit nach vorne und rennt ihm hinterher. Wieso das so effektiv ist?
Leverkusen ist enorm schlecht gestaffelt. Sie sind auf die rechte Seite fokussiert und im Zwischenlinienraum offen. Kagawa hatte mit der weiten Ballannahme nicht nur einen Dynamikvorteil, sondern gibt seiner Mannschaft auch Breite, da die Seite bespielt werden kann, bevor Leverkusen erfolgreich nach hinten umgeschaltet hat. Es entsteht eine 4-gegen-4-Situation, wo United einen Staffelungsvorteil hat und letztlich über den rechten Flügel abschließen kann.
Aber nicht nur in den Situationen mit offenem Raum ist Kagawa überaus stark – manchmal ist er in engen Räumen noch stärker.
Shinji Kagawa, Nadelspieler
Zwei Spieler attackieren hier Kagawa nahe am eigenen Strafraum und laufen ihn schnell an.
Mit fast einem leichten Hauch Arroganz lupft Kagawa einfach den Ball zwischen ihnen vorbei und geht nach vorne. Dieser Pass entspricht im wahrsten Sinne des Wortes einem „Lochpass“. Das minimale Loch zwischen den Körpern der beiden Gegenspieler wird von Kagawa bespielt – eine andere Form von Pressingresistenz. Dieser Lupfer war aber nicht der einzige im Spiel.
Das Tor von Smalling wurde nämlich von Kagawa mit einem genialen Lupfer eingeleitet. Hier ist Kagawa im Zwischenlinienraum, befindet sich aber zwischen vier Spielern. Eine Möglichkeit wäre eine Ablage auf die Seite zum freien Spieler, der abschließen könnte. Doch Kagawa erkennt Rooneys Positionierung und wohl auch, dass dieser nicht im Abseits steht. Er überlupft Rooneys Gegenspieler und spielt dem Starstürmer Uniteds in den Lauf, der dann gegen Leno abschließt – Smalling staubt am zweiten Pfosten ab, da der Verteidiger, der das Abseits aufhob, auf Rooney rücken musste. Interessant: Kagawa schaltete nicht ab, sondern startete ebenfalls sofort in das sich öffnende Loch, wo Smalling letztlich war. Seine Fähigkeiten im engen Raum waren aber nicht nur spielerisch, sondern auch taktisch vorhanden.
Hier hatte Evra auf links den Ball und Kagawa bietet sich als Zehner mit einem Sprint in den freien Raum an. Somit hat Evra eine Anspielstation und kann dank seines Vertrauens in Kagawas Fähigkeiten sowie wegen des weit offenen Raums auch sofort nach vorne aufrücken. Beim Aufrücken kümmert sich Kagawa aber wiederum mit seiner intelligenten Ballverarbeitung darum, dass Evra ebenfalls aufrücken kann.
Kagawa läuft nämlich zur Seite und zieht dabei seinen Gegenspieler mit. Dadurch öffnet er Räume für Evra im Halbraum, welche dieser anlaufen kann. Er erhält den Ball etwas zentraler, hat mehr Optionen und viel Raum zur Verfügung, während Kagawa notfalls auch für ihn absichern bzw. mit ihm in ein mögliches Gegenpressing gehen könnte. Womit wir ohnehin beim nächsten Stichwort wären: Pressing.
Shinji Kagawa, Pressingmaschine
Wie üblich definierte sich Kagawas Leistung nicht nur über seine offensiven und spielerischen Stärken, sondern auch über seine defensiven Fertigkeiten. Im Pressing stellte er mit Rooney den Sechserraum sehr gut zu und verhinderte Pässe durch diesen Raum. Kam Leverkusen über die Flügel nach vorne, dann rückte Kagawa nach hinten und agierte nicht mehr als Stürmer, sondern als offensiver Mittelfeldspieler. Immer wieder verbuchte er damit Ballgewinne.
Hier hat Castro auf rechts den Ball und versucht in den Halbraum zu ziehen. Kagawa ließ sich weit zurückfallen und stand nur einige Meter weit weg von Castro, wodurch er mit einem explosionsartigen Antritt Zugriff herstellt und im Verbund mit seinem Mitspieler Castro den Ball klauen kann. Neben Kagawas grundlegender Positionierung sind auch seine Reaktionsschnelligkeit und sein toller Antritt zu bewundern. Seine Reaktionsschnelligkeit und auch seine Spielintelligenz zeigt er wiederum in zwei anderen Szenen noch besser.
Beim 4-4-1-1/4-4-2-Pressing variierte Kagawa intelligent neben einer Position vorne, wo er sich an einem der Innenverteidiger und neben Rooney orientierte, und einer tieferen Position. In letzterer Position war er noch eine Stufe effektiver, da seine Pressingfähigkeiten besser zum Tragen kommen. Toprak versucht einen Pass nach vorne zu spielen, weil Kagawa ihm diesen Passweg bewusst offen ließ – als der Pass kam, schnappte die Kagawa’sche Pressingfalle automatisch zu.
Das Gleiche gab es in dieser Szene, wo Kagawa noch tiefer auf der Sechserposition stand und dort hervorragend einen Pass abfangen konnte. Gegnerischer Angriff vorbei, Konter in Gange.
Fazit
Trotz einiger kleiner Probleme im Dribbling und ein paar ungenauen Abspielen zeigte Kagawa eine tolle Partie. Mit dieser Leistung könnte er einen Stammplatz auf der Zehn beanspruchen, wo er hingehört – auf links sind seine Fähigkeiten verschwendet. Analysiert man nämlich obige Szenen so merkt man, dass diese auf dem Flügel seltener, beziehungsweise mit einer anderen Dynamik geschehen.
https://www.youtube.com/watch?v=4cSILPlFyxs
Rene Maric, www.abseits.at
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