Wenn 73% Ballbesitz nichts wert sind – Milan feiert 2:0-Sieg über Barca
Champions League 21.Februar.2013 Alexander Semeliker 0
Mit einer defensiv aufreibenden und taktisch einwandfreien Leistung besiegte der AC Milan im Hinspiel des Achtelfinales der UEFA Champions League den FC Barcelona mit 2:0. Im Giuseppe-Meazza-Stadion besorgten Kevin-Prince Boateng und Sulley Ali Muntari die Treffer für den Gastgeber, der auf gerade einmal 27% Ballbesitz kam. Trotz dieser erschreckend wirkenden Zahl konnte Barca keine Dominanz ausstrahlen und steht im Rückspiel stark unter Druck.
Schon in der Gruppenphase gegen Celtic erfuhr dem FC Barcelona ein ähnliches Schicksal, als man trotz drückender Überlegenheit in Glasgow 1:2 unterlag. Doch das Duell mit dem AC Milan verlief gänzlich anders. Im Celtic Park verbuchten die Katalanen 24 Schüsse, scheiterten aber immer wieder an Keeper Fraser Forster. In Mailand hingegen blieben Topchancen für die Spanier aus. Gegen die Kompaktheit des AC Milan fanden sie kein Mittel.
Ein 4-3-3, das keines war – Teil I
In der Meisterschaft geht es mit dem AC Milan in letzter Zeit, auch wenn man spielerisch nicht immer überzeugt, bergauf. Hauptverantwortlich dafür ist Winterneuzugang Mario Balotelli, der allerdings in der Champions League nicht spielberechtigt ist. So setzte Massimiliano Allegri im Angriffszentrum auf Giampaolo Pazzini als körperlich starken Referenzpunkt, der mit dem Rücken zum Tor Bälle halten sollte. Auf den Flügeln begannen Stephan El Shaarawy und Boateng, der den Vorzug gegenüber Youngster M’Baye Niang bekam, was insofern nachvollziehbar war, als der Deutsch-Ghanaer für seinen kämpferischen und dynamischen Spielstil bekannt ist.
Im Mittelfeld startete mit Muntari, Riccardo Montolivo und Kapitän Massimo Ambrosini ein klassisches Mittelfeldtrio – ein robuster Kämpfer, ein passstarker und ein abwartender Stratege. Das nominelle 4-3-3 erkannte man auf dem Platz allerdings kaum, denn die Mailänder waren meist in der Defensive, wo sie auf ein flaches 4-5-1 umschalteten.
Ein 4-3-3, das keines war – Teil II
Auch die Aufstellung der Gäste wurde zu Beginn als 4-3-3 visualisiert, doch auch sie nahmen auf dem Rasen kaum diese Ordnung ein. Die Außenverteidiger Dani Alves und Jordi Alba strebten gewohnt stark nach vorne, während Sergio Busquets als abkippender Sechser die erste Anspielstation im Spielaufbau war. Auf den Halbpositionen begannen Xavi Hernandez und Cesc Fabregas in leicht asymmetrischer Ausrichtung. Ersterer suchte die Bindung zu Busquets, letzterer positionierte sich nahe an Andres Iniesta.
Der 28-Jährige stand als nomineller Flügelspieler im Aufgebot, ließ sich aber immer wieder fallen, um sich Platz zu verschaffen. Im Angriffszentrum waren alle Augen auf Lionel Messi gerichtet, der in seiner Paraderolle als falscher Neuner für die nötige Torgefahr sorgen sollte. Komplettiert wurde die Startelf von Pedro Rodriguez, der jedoch kaum in Erscheinung trat.
Milans Strategie: Manndeckungen und kompaktes Verschieben
„Manndeckung gegen Messi und mit drei Spitzen attackieren“, gab Milan-Boss Silvio Berlusconi vor der Partie die Marschroute vor. Doch, dass dies – die bindungslose Offensive – in dieser Form nicht passieren würde, war klar. Manndeckungen gab es hingegen sehr wohl – nicht nur gegen Messi. Schon in der Frühphase des Aufbauspiels wollte man die entscheidenden Spieler bedrängen. So orientierte sich Muntari regelmäßig zu Xavi, wodurch das oben erwähnte, flache 4-5-1 nicht als permanent aufzufassen ist.
Durch Muntaris Herausrücken entstand so auch ein 4-4-2 (siehe rechts), aber auch ein extrem kurios anzusehendes und breites 4-6-0 war zu sehen, als Pazzini situativ zurückfiel. Das Ziel von Milan war klar: Das breite Mittelfeld sollte die Schnittstellen zur Sturmreihe kappen und so unter anderem auch Messi aus dem Spiel nehmen. In diesem kompakten Block verschoben die Mailänder geschlossen und ließen sich auch durch fluide Ausweichbewegungen der Barca-Stars nicht irritieren. So fing beispielsweise Ambrosini neun Pässe ab und verzeichnete zudem fünf Balleroberungen.
Weder Tiefe noch Breite im Barca-Spiel
Allerdings suchte Barcelona auch die Räume zwischen den Linien kaum. Messi und Iniesta ließen sich oft fallen um den Manndeckungen zu entgehen, ihre Positionen wurden aber nicht von Mitspielern nachbesetzt und so war das Angriffszentrum phasenweise verwaist (siehe rechts). Lediglich Pedro fand man in der Angriffslinie, der 25-Jährige konnte aber alleine keine Akzente setzen. Vereinfacht ausgedrückt: Barca spielte nur vor der Verteidigung hin und her ohne mit Nachdruck auf das gegnerische Tor zu drängen.
Auch die Breite des Platzes bespielte man im Angriffsdrittel kaum – ein Problem, das man schon bei der EM im Spiel der Spanier gegen Italien sah. Nur zwei Schüsse gaben die Katalanen innerhalb des Strafraums ab. Gegen die komapaktstehenden Gastgeber drehten sie immer wieder ab, spielten einen Rückpass und kamen dadurch kaum in den Sechzehner rein, was die nachstehende Grafik (erfolgreiche Pässe grün, nicht erfolgreiche rot) unterstreicht.
Wo war Messi?
Bei Spielen des FC Barcelona dreht sich naturgemäß fast alles um Messi, denn der Erfolg des Teams ist maßgeblich an den kleinen Argentinier gekoppelt. In diesem Spiel trat er allerdings kaum positiv in Erscheinung – ein Zeichen wie zermürbend die Defensivtaktik Milans auch für ihn war. Keine 80 Mal berührte er den Ball – und wenn, dann nur in ungefährlichen Zonen. So wich er ab und zu weit nach rechts aus um gegen den vermeintlich schwachen Kevin Constant anzudribbeln. Die Rossoneri isolierten Messi und nahmen in dadurch aus dem Spiel. Der nahe Innenverteidiger rückte mit ihm raus, zusätzlich verengten auch die Mittelfeldspieler den Raum um ihn herum (siehe rechts). Dadurch konnte Messi erst gar nicht Tempo aufnehmen und aufs Tor zulaufen – normalerweise seine größte Stärke.
Wirkungslose und -volle Umstellungen
Um das Spiel stärker in horizontaler Richtung zu strecken, und dementsprechend auch Messi mehr Platz zu geben, wechselte Interimstrainer Jordi Roura nach etwa einer Stunde mit Alexis Sanchez für den blassen Fabregas einen weiteren Flügelspieler ein und zog Iniesta zurück. Allerdings blieben die erwarteten Effekte aus. Milan wurde mit dem Führungstreffer im Rücken selbstbewusster, presste phasenweise auch tief in der gegnerischen Hälfte. Im Gegensatz zu Rouras Umstellung griff jene von Allegri.
Eine Viertelstunde vor Schluss brachte der Milan-Coach Niang als neue Sturmspitze und dieser sollte schließlich auch beim 2:0 einen großen Anteil haben. Er driftete auf die rechte Seite ab, zog dadurch die Barca-Innenverteidigung aus der Mitte weg und öffnete den Raum für El Shaarawy und Muntari. Zudem ließen die Spanier in dieser Aktion das vermissen, was Milan an diesem Abend auszeichnete und der Grundstein für den Sieg war: der absolute Wille, das Spiel zu gewinnen.
Alexander Semeliker, abseits.at
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Alexander Semeliker
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