Kommende Woche startet der SK Rapid gegen den polnischen Vertreter Lechia Gdansk in die Europacupsaison 2022/23. Die Polen sind sicher nicht der angenehmste aller... Teamanalyse: Das ist Rapids erster UECL-Gegner Lechia Gdansk!

Kommende Woche startet der SK Rapid gegen den polnischen Vertreter Lechia Gdansk in die Europacupsaison 2022/23. Die Polen sind sicher nicht der angenehmste aller möglichen Gegner in dieser Runde, aber auch definitiv ein schaffbares Los. Wir haben uns das Team und die Spielweise im Detail angesehen.

Der Vorjahresvierte der polnischen Ekstraklasa wird seit etwa einem Jahr vom Deutsch-Polen Tomasz Kaczmarek betreut. Der erst 37-jährige Coach war selbst nie Profi und arbeitete zuvor unter anderem als Co-Trainer des US-Amerikaners Bob Bradley beim ägyptischen Nationalteam und im norwegischen Stabaek, aber auch als Cheftrainer der Stuttgarter Kickers und von Viktoria Köln. Lechia Gdansk ist seine erste Station als Erstligacheftrainer.

Hauptsächlich tiefes Mittelfeldpressing

Lechia ist eine grundsätzlich pressingresistente Mannschaft, die selbst nicht hoch presst, sondern abwartend agiert und auf Kompaktheit im Sechserraum setzt. Dort werden auch die meisten Bälle erobert. Kaczmarek variierte aufstellungstechnisch häufig: Das 4-2-3-1 war die Grundformation, aber man spielte auch im 4-4-2 und schließlich auch im 4-3-1-2, das sich durchsetzen könnte. Das System ist unter Kaczmarek etwa wie eine defensive Raute zu interpretieren, wobei auch die Offensivspieler stark antizipieren.

Eine Saison, die nicht so stark hätte sein „dürfen“

Grundsätzlich ist auffällig, dass Lechia schon in der vergangenen Spielzeit deutlich über Erwartung lief. In 34 Spielen holten die Grün-Weißen aus Danzig 57 Punkte. Die Expected Points (xP) betrugen dabei allerdings nur 43,3. Damit wäre das Team in einer xP-Tabelle nur Zwölfter gewesen. Dieses „über Erwartung laufen“ setzte sich nun auch in der ersten Qualifikationsrunde gegen den nordmazedonischen Underdog Akademija Pandev fort.

Das Heimspiel gegen die Europacup-Debütanten wurde in Danzig vor 15.000 Zuschauern mit 4:1 gewonnen. Bereits zur Pause stand es dabei 3:0 für die Polen, aber hätte die Akademija Pandev zur Halbzeit geführt, wäre dies ebenfalls keine Überraschung gewesen. Der Außenseiter war über weite Strecken ebenbürtig, dann aber defensiv offen wie ein Scheunentor und zu blauäugig, was die traditionell effizienten Danziger eiskalt ausnützten.

Die blaue Linie in diesem Post-Game-Panel von Overlyzer zeigt den Druck an, den Lechia Gdansk ausübte. Die rote Linie steht für den Druck von Akademija Pandev. Das Spiel war demnach sehr ausgeglichen, die Polen aber deutlich effizienter, was vor allem am Triplepacker Flavio Paixao liegt, der allgemein kaum Chancen braucht um zu treffen. In zahlreichen Szenen hatte Lechia aber Glück, dass sich die Akademija Pandev vor dem Tor stümperhaft anstellte und keinerlei Pressingstärke im Sechserraum hatte, weshalb man den Gegner im eigenen Stadion auskontern konnte.

Auch das Rückspiel verlief über weite Strecken ähnlich. Hier steht die rote Linie für die Druckentwicklung von Lechia Gdansk, die etwas dominantere Phasen als im Hinspiel hatten, insgesamt aber auch nicht klar überlegen waren. Im Gegenteil: Pandev vergab zahlreiche Chancen, hatte im Heimspiel sogar bei den Expected Goals die Nase vorn: 1.71 : 1.31 für die Nordmazedonier war das xG-Verhältnis im Rückspiel. Über beide Spiele betrugen die xG 3.83 : 3.01 für Lechia, was natürlich deutlich knapper ist, als der schlussendliche Gesamtscore von 6:2.

In weiterer Folge gehen wir auf die Gründe für diese Statistiken ein und sehen uns die Mannschaftsteile der Danziger etwas genauer an. Dass Lechia das Heimspiel mit 4:1 gewann, ist primär auf die Effizienz zurückzuführen. Auch die Gäste hatten die Chance auf drei, vier Tore, scheiterten aber immer wieder an Torhüter Kuciak und sich selbst.

Lechia schaffte es zudem sich sehr kompakt zu positionieren und somit viele Bälle im Mittelfeldzentrum zu erobern. Dies wurde durch die gute Antizipation der beiden Angreifer Zwolinski und Paixao ermöglicht und die Mitte war für die unroutinierten Nordmazedonier somit zu engmaschig. So konnte Lechia zahlreiche Bälle erobern und sofort tiefspielen.

Wie diese Grafik von Wyscout S.p.a. zeigt, waren die Abstände im Lechia-Spiel gering und das Team somit sehr kompakt. Im Hinspiel war dies der Schlüssel zum Erfolg, wenngleich die Danziger trotz dieser Kompaktheit deutlich zu viel zuließen. Das Rückspiel ist nicht hundertprozentig repräsentativ, weil Trainer Kaczmarek ein wenig rotierte.

Die wichtigsten Spieler

Einige Spieler bzw. Mannschaftsteile wollen wir uns detaillierter ansehen. Wir starten von hinten nach vorne: Der 37-jährige slowakische Torhüter Dusan Kuciak war in der vergangenen Saison einer der besten Keeper der polnischen Liga. Auch gegen Akademija Pandev zog er wieder einige schwierige Bälle heraus, zeigte aber auch Schwächen, etwa bei Weitschüssen, die er immer wieder nach vorne abprallen ließ. Für gewöhnlich ist Kuciak aber ein durchaus sicherer Rückhalt.

In der Innenverteidigung gibt es ein mittlerweile doch markantes Leistungsgefälle, denn der stärkere der beiden Innenverteidiger und allgemein eine große Stütze des Teams ist der 29-jährige Michal Nalepa, der auch im Aufbauspiel den progressiveren Part einnimmt. Neben ihm spielt auf der linken Innenverteidigerposition mit Mario Maloca ebenfalls ein Rechtsfuß, was zu Problemen bzw. Ungleichgewicht im Aufbauspiel führt. Der 33-Jährige spielt defensiv eher einfach bzw. quer, macht keine Wunderdinge im Aufbau. Zudem wurde Maloca immer wieder aufgrund von Geschwindigkeitsdefiziten von zahlreichen Gegnern gezielt bespielt. Er könnte also speziell im Spiel in die Tiefe bzw. am Boden eine Schwachstelle der Danziger sein.

Auf der rechten Abwehrseite wird der einstige St.Pölten- und Hartberg-Spieler David Stec gesetzt sein. Dieser überzeugt grundsätzlich mit seinem Offensivdrang, verliert aber speziell im zweiten Drittel deutlich zu viele Bälle. Anders funktioniert hingegen die linke Seite, wo man gegen stärkere Gegner zumeist auf den routinierten Linksverteidiger Rafal Pietrzak zurückgreift, der eher eine defensivere Position einnimmt. Davor lässt Kaczmarek dann gerne mit dem Brasilianer Conrado ebenfalls einen Linksverteidiger spielen, sodass die Seite nach hinten stabiler gehalten wird.

Wenn man offensiver agieren will, spielt hingegen Conrado als Linksverteidiger und der einstige Wacker-Innsbruck- und Ried-Spieler Ilkay Durmus davor, was zur Folge hat, dass man sich gerade auf links weiter vorne festsetzen kann und die Ballverluste auf dieser Seite somit auch höher ausfallen (und damit nach hinten weniger gefährlich sind). Durmus kann allerdings auch rechts oder auf der Zehn aufgeboten werden. Welche Rolle er gegen Rapid einnehmen wird, ist derzeit noch völlig unklar, weil es schlichtweg zu viele Optionen gibt.

Der für Kaczmareks Spiel wichtigste Mannschaftsteil ist der Sechserraum, wo Lechia Gdansk über drei intensive, laufstarke Pressingspieler verfügt. Am stabilsten ist der 31-jährige Maciej Gajos, der als „deep lying play-maker“ zu bezeichnen ist und am stärksten spielt, wenn er das Spiel vor sich hat. Der 26-jährige Jaroslaw Kubicki ist etatmäßig eher ein Achter, kommt aber auch häufiger aus einer tieferen Position. Zudem spielt auf dieser Position mit dem 19-jährigen Jakub Kaluzinski das größte Talent des Klubs. Zwei dieser drei Spieler werden gegen Rapid wohl auf der Sechs zum Einsatz kommen – höchstwahrscheinlich Gajos und Kaluzinski, die es stets massiv unter Druck zu setzen gilt, um das Direktspiel nach Ballgewinnen zu unterbinden.

Häufig ist der Zehner im Team von Lechia eine Art Freigeist, der aber ebenfalls gegen den Ball tief nach hinten schiebt. Das könnte beispielsweise der Deutsch-Italiener Marco Terrazzino sein, der bereits unter anderem für Freiburg, Bochum und Hoffenheim spielte. Der 31-Jährige hat seine Stärken klar im offensiven Bereich, ist aber routiniert genug, um auch den defensiven Part gut abzudecken. Aufgrund seiner Routine von immerhin 72 Bundesligaspielen ist es durchaus wahrscheinlich, dass er auf der Zehn startet, um der Mannschaft an der Kippe von Defensive zu Offensive mit seiner Erfahrung Halt zu geben. Ein anderer ehemaliger Bundesliga-Spieler, der 30-jährige Christian Clemens, sollte hingegen eher eine Jokerrolle einnehmen. Der Rechtsaußen passt nicht ideal ins 4-3-1-2 der Polen und könnte situativ ins Spiel gebracht werden.

Im Angriff spielen die beiden Topakteure von Lechia Gdansk: Der bald 38-jährige Portugiese Flavio Paixao, der bereits seit über acht Jahren in Polen spielt und 101 Tore in der Ekstraklasa erzielte, braucht kaum Chancen für ein Tor, ist ein echter Knipser und ein starker Techniker. Aufgrund seines hohen Alters spielt er kaum über die vollen 90 Minuten, darf aber – solange er auf dem Platz ist – keine Minute aus den Augen gelassen werden. Paixao überzeugt auch mit seinen Abkippbewegungen in den Zehnerraum, sammelt dort Bälle ab und spielt gute Bälle in Schnittstellen, wenn man ihn nicht rechtzeitig stört. Beim 4:1-Heimsieg über die Akademija Pandev erzielte er drei Tore sehenswert selbst und bereitete das vierte Tor aus einer ebensolchen Situation vor.

Der Nutznießer war dabei sein Stürmerkollege Lukasz Zwolinski, der ebenfalls nicht aus den Augen gelassen werden darf. Der 29-Jährige ist ein cleverer, körperlich robuster Angreifer, der auch den nötigen Tiefgang mitbringt. In der vergangenen Saison war er mit 14 Saisontreffern der beste Torschütze seines Teams. Aber auch er ist kein klassischer Zielspieler, sondern arbeitet ebenfalls gut nach hinten. Im eher defensiven Pressing von Lechia lässt er sich meist tief fallen und besetzt gut die neuralgischen Räume.

Defensive Herangehensweise erwartbar

Wie Kaczmarek sein Team auf den Platz schicken wird, ist natürlich stark vom Verlauf abhängig. Muss er im Rückspiel angreifen? Kann er defensiv agieren? Klar ist im Hinspiel allerdings, dass er zunächst auf defensive Kompaktheit setzen wird. Dies könnte auch in einem 4-3-2-1-System passieren, womit in der Offensive wohl zumindest ein Hochkaräter auf der Strecke bleiben wird. Es ist auch denkbar, dass der kompletteste Spieler Flavio Paixao anfänglich auf der Bank Platz nimmt, obwohl er heuer schon drei Europacuptore auf dem Konto hat.

Eine mögliche Aufstellung im 4-3-2-1 wäre etwa diese: 12 Kuciak – 29 Stec, 25 Nalepa, 23 Maloca, 2 Petrzak – 7 Gajos, 88 Kaluzinski, 20 Conrado – 99 Durmus, 33 Terrazzino – 9 Zwolinski

Paixao könnte hier allerdings auf allen Offensivpositionen zum Einsatz kommen.

Im 4-3-1-2 und wenn Lechia attackieren muss, sieht die Aufstellung eher wie folgt aus: 12 Kuciak – 29 Stec, 25 Nalepa, 23 Maloca, 20 Conrado – 6 Kubciki, 7 Gajos, 88 Kaluzinski – 33 Terrazzino – 9 Zwolinski, 28 Paixao

Kampf annehmen, Tempo hochhalten, Geduld haben

Rapid muss speziell im Mittelfeld den Kampf gegen eine durchaus kompakte Mannschaft annehmen und geduldig bleiben, wenn Lechia sich nur wenig am Spiel beteiligt. Die Polen werden schnelle Umschaltmomente suchen und können diese aus dem Sechserraum heraus orchestrieren. Wenn die Sechser, wie etwa Gajos oder Kaluzinski, nur wenige Ballbesitzzeiten bekommen und früh gestört werden, kann sich das Offensivspiel der Danziger nicht ideal entfalten.

Zugleich wird es auch wichtig sein, den Spielaufbau der Polen zu stören. Es gilt, die Pässe des rechten Innenverteidigers Nalepa gut zu antizipieren und zudem mit Ball die andere Seite mit dem „Rechtsfuß auf links“, Maloca, zu bespielen. Auch die Räume hinter dem österreichischen Rechtsverteidiger David Stec könnten vielversprechende Gelegenheiten bieten und speziell das Duell zwischen Stec und Grüll könnte ein mitentscheidendes für dieses Duell sein.

In Lechias Offensive müssen die Abkippbewegungen der Stürmer in den Zwischenlinienraum gut übergeben werden. Hier kommt es auf eine gute Kommunikation an, aber grundsätzlich gibt es in der Lechia-Offensive keine Spieler, die unbeherrschbar sind. Es gilt schlichtweg, aufmerksam zu sein und die Positionswechsel während des Spiels richtig zu antizipieren.

Wenn Rapid hier selbst das Tempo hochhalten kann, wird Lechia Gdansk eine absolut machbare Hürde sein. Die Polen lassen selbst noch zu viel zu, sind auch bei Standards nicht immer sattelfest. Zwar ist die Mannschaft in dieser Konstellation bereits länger zusammen und kennt sich gut, aber wenn Rapid die Intensität aufbauen kann, die man im ersten Pflicht-Heimspiel der Saison erwarten darf, wird ein Klassen- und wohl auch Routineunterschied sichtbar werden.

Wie eingangs erwähnt: Obwohl es deutlich leichtere, mögliche Gegner in der 2. Qualifikationsrunde zur UEFA Europa Conference League gegeben hätte, darf Lechia Gdansk mit zwei konzentrierten Spielen kein Hindernis sein.

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen