Wenn man an den größten Skandal im deutschen Clubfußball denkt, so kommt einem wohl unweigerlich der Name Robert Hoyzer in den Sinn. Also der... Als ein Tonband die Fußballwelt veränderte: Der Bundesliga-Skandal der Saison 1970/71

Wenn man an den größten Skandal im deutschen Clubfußball denkt, so kommt einem wohl unweigerlich der Name Robert Hoyzer in den Sinn. Also der Name jenes Schiedsrichters, der in der Saison 2005 als Kopf des größten Wettskandals innerhalb der Bundesrepublik in die Geschichte einging. Hoyzer war mit seinen Handlungen aber keinesfalls zweifelhafter Pionier, stattdessen erschütterte die höchste deutsche Spielklasse schon über 30 Jahre davor ein Erdbeben ähnlicher Tragweite.

Eine unschöne Geburtstagsüberraschung

Wir schreiben den 06. Juni 1971: Ein Mann mit dem klingenden Namen Horst Gregorio Canellas, seines Zeichens erfolgreicher Unternehmer im Lebensmittelhandel, genauer im Großhandel für Südfrüchte, feiert seinen 50. Geburtstag. So weit, so unspektakulär. Die Kurve zum Fußball kratzt die Geschichte durch den Umstand, dass Canellas zu dieser Zeit Präsident der Offenbacher Kickers war. Der Verein war unter seiner Führung Ende der 60er-Jahre in die Deutsche Bundesliga aufgestiegen, schaffte dieses Kunststück nach dem sofortigen Wiederabstieg nur ein Jahr später erneut. Auch in ihrer zweiten Saison konnten die Kickers den Gang in die Zweitklassigkeit nicht verhindern, dieser Stand am 05. Juni 1971 fest. Wie es zu dieser Endkonstellation kam, sollte allerdings den gesamten Deutschen Fußball erschüttern. Mittendrin: Horst Gregorio Canellas. Das Echo seiner Worte, wonach sein Verein durch Betrug aus der Bundesliga abgestiegen seien, löste eine beispiellose Lawine aus.

Der entscheidende Zusatz in seinen Ausführungen: Er könne all das auch beweisen. Wohl der erste Moment, welcher honorige Gäste die Ohren offenhalten ließ. Durch nachfolgende Tonaufnahme taten es ihnen die Augen und Münder selbiger wohl gleich. Zu hören waren darauf die Stimmen unterschiedlicher Bundesliga-Akteure, welche ohne große Umschweife über Zahlungen für manipulierte Spiele fantasieren. Der damalige deutsche Bundestrainer Helmut Schön verließ daraufhin – wohl überfordert vom Inhalt des Gehörten – die Feier. Denn: Die Stimmen einiger der Protagonisten waren zweifelsfrei deutschen Nationalspielern zuzuordnen, als sie Canellas telefonisch Bestechungsangebote machten. Unter ihnen beispielsweise der Torwart des 1. FC Köln, Manfred Manglitz sowie Hertha-Abwehrspieler Bernd Patzke.

Geldfluss wichtiger als Spielfluss

Kommen wir zu einer Auswahl der manipulierten Spiele. Betroffen war unter anderem das Match zwischen Schalke 04 und Arminia Bielefeld. Die Arminia kämpfte gegen den Abstieg, der in ihrem Fall gleichbedeutend mit enormen finanziellen Problemen und einbrechenden Vermarktungseinnahmen gewesen wäre. Insofern wären die damals bezahlten 2.300 Mark pro Schalke-Akteur als Kollateralschaden in die fiktive Buchhaltung der Arminia eingegangen. Einzig und allein Schalkes Schlussmann soll damals nicht involviert gewesen sein. Nicht aber aus ethischen Gründen, nein. Dieter Burdenski befand sich offenbar „lediglich“ zur richtigen Zeit am richtigen Ort, da er an einem für die Abmachungen wichtigen Trainingslager nicht teilnahm. Ein Nachholspiel der 24. Runde endete mit einem 3:2-Erfolg des 1. FC Köln gegen Rot-Weiß Essen. Der bereits angesprochene Manfred Manglitz forderte von Canellas 25.000 Mark für seine Paraden, die letzterer auch zu zahlen bereit war.

Auch an Spieltag 32 kassierte Manglitz nicht nur eine stattliche Summe, sondern mit seinem Verein auch eine 2:4-Pleite gegen Rot-Weiß Oberhausen. Am selben Tag siegte der MSV Duisburg mit 4:1 gegen Arminia Bielefeld, MSV-Akteur Gerd Kentschke retournierte damals, abgesehen von seinem Anteil, den Rest der insgesamt 60.000 übermittelten D-Mark an die Bielefelder Verantwortlichen. Zu einem Schlagabtausch der besonderen Art kam es dann am 34. und letzten Spieltag. Offenbach-Präsident Canellas erfragte bei Manfred Manglitz den Preis für eine Niederlage der Kölner gegen seine Kickers und bot gleichzeitig den Hertha-Spielern Bernd Patzke und Tasso Wild 140.000 D-Mark für einen Erfolg gegen Bielefeld. Doch ein Manager der Arminia war schneller und vor allem spendabler gewesen, zahlte dieser doch 220.000 Mark. Torhüter Manglitz hatte im Übrigen nicht weniger als 600.000 D-Mark für ihn und fünf andere Spieler gefordert, um gegen Offenbach als Verlierer vom Platz zu gehen.

Die besondere Rolle des Zoltan Varga

Weiter am 05. Juni des Jahres 1971 und Auftritt Zoltan Varga auf jener Bühne, die später als Skandalplattform in die Geschichte eingehen sollte. Der insgesamt 12-fache ungarische Nationalspieler und dabei zweimaliger Torschütze gehörte zu den torgefährlicheren Akteuren der damals drittplatzierten Hertha aus der Hauptstadt. Die erste Halbzeit des Spiels gegen die Arminia ging mehr oder weniger spurlos am Magyaren vorbei. Besonders war Vargas Rolle nicht zuletzt aufgrund eines Telefonats, welches als Inbegriff der Dreistigkeit in dieser Scharade in das Wörterbuch dieses Skandals eingehen könnte. In besagtem Telefongespräch, welches erst Jahrzehnte später rekonstruiert wurde, fragte Varga seine Frau, ob denn das Geld schon angekommen sei. Das Verneinen seiner besseren Hälfte kommentierte der Angreifer offenbar mit den Worten: „Diese Schweine, sie wollen ohne uns Ausländer kassieren. Aber denen mache ich die Sache kaputt!“ Die „Schweine“ waren unter anderem der erwähnte Bernd Patzke und Tasso Wild. Das Besondere an Vargas Telefonat: Er führte dieses nicht etwa vor dem An-, auch nicht nach dem Schlusspfiff, sondern im Laufe der Halbzeitpause in der Pressestelle des Münchener Olympiastadions. Eine Skurrilität erster Güte, die lange Zeit unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung verborgen blieb. Offenbar hatte Bielefeld in Person eines ungarischen Schulfreundes Vargas Überzeugungsarbeit leisten lassen – Kostenpunkt: 40.000 DM, die Varga, gemeinsam mit dem Rest der „Prämie“ vor Anpfiff verlangte und deren Ausbleiben bis zum Ende des ersten Abschnitts ihn zum „Kaputtmachen“ des Vorhabens veranlasste. Allein, es gelang ihm nicht. Denn obwohl Varga laut Aussagen seiner Teamkameraden in Halbzweit zwei, Zitat, „verrücktspielte“ und so zu einem der größten Gegner für seine Mannschaftskollegen wurde, endete das Match mit erwähnter 0:1-Pleite der Hertha. Varga saß als Folge des Skandals eine beinahe zweieinhalbjährige Sperre ab, spielte danach noch bei Ajax Amsterdam, den FC Aberdeen, Borussia Dortmund und Gent.

Ein Skandal und seine Folgen

Horst Canellas war in diesem Skandal Täter und Opfer zugleich. Nach der Veröffentlichung der Aufnahmen standen aber zunächst nicht alle Verantwortlichen Akteure am Pranger. Stattdessen galt dies vor allem für Canellas, der sich Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt sah. Viele der verdächtigen Spieler und Funktionäre bestritten zunächst, in die Machenschaften verwickelt zu sein. Auch von Seiten des DFB war Canellas schnell als Bauernopfer auserkoren. Kritiker meinen, dass dies nicht zuletzt aufgrund der im Jahr 1974 anstehenden Heim-WM passierte. DFB-Präsident Wilfried Gerhardt sprach etwa davon, dass es „keinen Fall Bundesliga“ sondern „einen Fall in der Bundesliga“ gebe und Canellas durch die Aufnahmen vor allem sich selbst reinwaschen wolle. Ein DFB-Gericht sperrte Offenbachs Präsidenten daraufhin lebenslang für sämtliche Funktionen deutschen Fußball. Der Abtritt des Unternehmers war allerdings gleichbedeutend mit dem Auftritt diverser Staatsanwälte, Steuerfahnder etc – eine bis zu diesen Tagen, Wochen und Monaten nicht dagewesene juristische Sezierung des (deutschen) Fußballsports.

Erst vor den Landesgerichten in Essen und Berlin knickten dann einige Schalke-Akteure ein und bestätigten unter Eid die Annahme von 40.000 DM für eine Niederlage. Vor dem Sportgericht und dadurch nicht unter Eid stehend waren diese Zahlungen noch ausnahmslos abgestritten worden. Und selbst einige Juristen mischten auf unrühmliche Weise bei der Aufarbeitung des Skandals mit, so wurde etwa von durch Anwälte diktierten eidesstattlichen Erklärungen berichtet, die wiederum einige Mitwisser und Akteure des Skandals be- oder entlasten sollten. Knapp 60 Personen, darunter Spieler, genauso wie Trainer und Funktionäre, wurden nach sukzessivem Aufdecken des Skandals in Form von Geldbußen oder Sperren belangt, auch hierbei wurden allerdings voreilige und oberflächliche Urteile kritisiert, deren Begründung man wie erwähnt in der anstehenden Heimweltmeisterschaft sah. Einige der gesperrten Spieler suchten ihr Glück danach im damals nicht der FIFA angehörenden Südafrika.

Das Tonbandgerät, welches den ersten großen Skandal in Deutschlands Clubfußball auslöste, ist im Übrigen heute im Deutschen Fußballmuseum zu besichtigen, sein Besitzer verstarb am 23. Juli 1999 im Alter von 78 Jahren in Offenbach, hat sich aber durch seine Offenlegungen einen Platz in der deutschen und europäischen Fußballgeschichte gesichert.

Julian Berger