In dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien, Verletzungen oder einfach die Umstände ihrer Karriere. In einigen Fällen tragen die Spieler für ihr Scheitern selbst die Verantwortung, in anderen kamen sie unschuldig zum Handkuss, da nicht zu beeinflussende Faktoren von außen das Ende der Karriere herbeiführten.
Wir lassen die Karrieren dieser Akteure Revue passieren, spekulieren über die mögliche Auswirkung ihres fehlenden Durchbruchs in der Geschichte des Fußballs und ein kleines „was wäre, wenn…?“ darf natürlich auch nicht fehlen. Immerhin besitzt für solche Spieler nahezu jeder Fußballfan noch eine schöne Erinnerung und jene fragende Wehmut, welche Erinnerungen man vielleicht verpasst hat.
In diesem Teil widmen wir uns …
Sebastian Deisler
Der Hype um Sebastian Deisler kannte in Fußballdeutschland Ende der 90er-Jahre keine Grenzen. Da wirkt die aktuelle Berichterstattung um Mario Götze und Co. nahezu lachhaft, denn Deisler wurde als der Messias, der Heiland, des deutschen Fußballs ausgemacht.
Bei der Weltmeisterschaft 1998 schoss Kroatien das deutsche Nationalteam klar und deutlich ab. Im Kader befand sich damals kein einziger Spieler unter 24 Jahren, einzig Jens Jeremies und Dietmar Hamann waren unter 26 Jahre alt. Elf der 19 Feldspieler waren sogar über 30 Jahre alt. Bei der Europameisterschaft 2000 waren abermals nur zwei Spieler jünger als 26, nämlich Michael Ballack und eben jener Sebastian Deisler, der mit knapp zwanzig Jahren der jüngste Akteur im Kader war.
Trotz zahlreicher Einsatzminuten konnte er jene Mannschaft der dunklen Ribbeck-Ära nicht vor dem Untergang bewahren. Das Team wirkte nicht gefestigt, war spielerisch wie taktisch ins Hintertreffen geraten. Dennoch war Deisler oftmals mit dem verletzungsanfälligen und deutlich älteren Mehmet Scholl der einzige kreative Lichtblick dieser Mannschaft. Zwei Jahre später hätte er beim überraschenden Finaleinzig eventuell die Weltmeisterschaft zugunsten der durchaus gleichwertigen Deutschen (57% Ballbesitz, 12:9 Schüsse, 13:3 Ecken) entscheiden können; doch seine Leidensgeschichte fing bereits an.
1999 wechselte er von Bundesligaabsteiger Borussia Mönchengladbach zu Hertha BSC Berlin. Es gab angeblich Angebote vom AC Mailand und anderen Topteams, doch das Supertalent wollte in der Bundesliga bleiben. Außerdem bot ihm die Hertha die Chance, in der Champions League zu spielen und sich einfach einen Stammplatz zu sichern. Obwohl er sich vor seinem Wechsel das Kreuzband gerissen hatte, wurde er bald Stammspieler bei der Hertha. Und ein Publikumsliebling.
Nach drei Saisonen, in denen er 56 Meisterschaftsspiele absolvierte, verließ er Berlin – und wechselte zum FC Bayern. Es war wohl dieser Transfer, welcher Deisler psychisch (zumindest nach eigener Aussage) „zerstören“ sollte. Der Wechsel wurde von der Bild als öffentlich vermeldet, obwohl alle Parteien auf Drängen von Hertha-Manager Dieter Hoeneß Stillschweigen vereinbarten. Die Hertha-Fans reagierten erzürnt, es gab Morddrohungen und sogar der Verein schlug sich auf die Seite der geringen Anzahl an radikalen Fans, während Deisler alleine und wehrlos war. Die Bild stachelte in der Zwischenzeit an, veröffentlichte Zahlen über das Handgeld von 20 Millionen Mark, welches Deisler für den Wechsel erhielt.
Wegen einer weiteren schweren Verletzung konnte er sich auch nicht auf dem Platz revanchieren. In einem Interview in dieser Phase hörte man sogar bereits einen kleinen interessanten Hinweis auf etwas, was Deisler nach seiner Karriere öfters erwähnen sollte – auf die Frage nach seinem Vorbild, antwortet er wie folgt:
„Weil er der absolut Beste war. Weil er so unter Druck stand. Weil er dabei ein richtiger Mensch geblieben ist.“ – Sebastian Deisler über Michael Jordan
Nach seiner Karriere sollte sich Deisler dahingehend äußern, dass er sich im Profigeschäft nie wohl fühlte. Er war nicht er selbst. Eigentlich wollte er nur Fußball spielen, doch er wurde in die vielen kleinen Oberflächlichkeiten der Medien und Kollegen (über die er sich kritisch äußerte) hineingezogen.
Aus dem „Megatalent Deisler“ in den Medien wurde in der Bayernkabine „Die Deislerin“. Auf dem Platz konnte er sich nur selten rehabilitieren, die Verletzungen sorgten für lange Spielpausen, mangelnde Spielpraxis und Formschwächen. Dass er sich dennoch einige Male zu herausragenden Leistungen aufschwang, zeugt davon, wie gut er ohne Verletzungen und mit stetiger Entwicklung hätte werden können.
„Einer, der sich verkriecht und sich über seine Wehwehchen beklagt“ – Franz Beckenbauer, Präsident des FC Bayern, 2003
Zu den physischen Problemen gesellten sich auch psychische. In der Saison 2003/04 wurde er wegen einer Depression behandelt. 2005 ging es wieder aufwärts und er schien sich auf dem Weg zur Topform zu befinden, verletzte sich dann aber ein paar Monate vor der Weltmeisterschaft im eigenen Lande ein weiteres Mal – wer weiß, wie Fußballdeutschland gegen Italien mit einem Kreativposten in der Mitte oder einem zweiten technisch versierten Flügelspieler ausgesehen hätte?
Im Januar 2007 war es dann so weit: Sebastian Deisler beendete seine Karriere.
Sebastian Deisler: Megatalent und doch immer falsch eingesetzt
Bis heute sprechen die meisten noch von Deislers Freistößen, Ecken, Flanken und seiner Schusstechnik. Doch seine Spielweise war viel mehr als die hervorragende Präzision, die unglaublichen Flugkurven und die Beidfüßigkeit – es war ein von Emotionen geprägtes Spiel.
Sebastian Deisler sagte dazu selbst einmal, dass er immer intuitiv wusste, wie seine Mitspieler die Pässe brauchen:
Ich hatte auf dem Feld nicht diesen einen festen Plan, ich habe gesehen, wo die Stärken und Schwächen meiner Mitspieler waren, ich habe gesehen, welchen Ball, welchen Pass wer braucht. Verstehen Sie, was ich meine? Das ist meine Intuition, meine Kreativität, das ist meine Fantasie. Das ist es, warum ich so gut Fußball gespielt habe in meiner guten Zeit. – Deisler, 2007, in der ZEIT
Letztendlich wurde Deisler kaum auf seiner Idealposition eingesetzt. Er spielte auf dem Flügel, er sollte flanken und Räume überbrücken. Aber seine Position hätte die Mitte sein müssen. Eventuell wie Pirlo, als Spielgestalter aus der Tiefe. Vielleicht wie Xavi oder Iniesta, welche sich frei auf dem Feld bewegen und den Ball zirkulieren lassen, nur um plötzlich kreativ und gefährlich durch ihre Pässe zu werden. Wohl eher sogar noch als eine Art Zidane, als Lenker und Denker im letzten Spielfelddrittel, der bei Bedarf seine Schusstechnik und Torgefahr einsetzen kann.
Sebastian Deislers Karriere ist im Grunde die Geschichte eines jungen Talents aus dem Amateurfußball, welches nur auf dem Papier, doch nie in seinen Wesenszügen zu einem Profispieler wurde. Mit 27 Jahren beendete er dann seine Karriere im besten Fußballalter. Ein Genie hörte auf – ein Genie, welches dem Fußball wohl mehr hätte geben können, als dieser ihm selbst.
René Maric, www.abseits.at
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Rene Maric
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