Analyse: Austria schlittert gegen Milan in ein Debakel
Deutschland 15.September.2017 Dalibor Babic 0
Am ersten Spieltag der UEFA Europa-League-Gruppenphase gastierte der italienische Traditionsklub im Happel-Stadion bei der Wiener Austria. Die violetten Gastgeber wollten dabei als krasser Außenseiter für eine Überraschung sorgen und sich nicht nur hinten reinstellen, sondern auch aktiv am Spiel teilnehmen. Dies rächte sich nach gut zehn Spielminuten bereits, und die Veilchen liefen dadurch frühzeitig einem Rückstand hinterher. Von dieser katastrophalen Anfangsphase erholte man sich danach nicht mehr und die Rossoneri hatten kaum Mühe, den Sieg trocken nach Hause zu spielen.
Austria tüftelt als Underdog einen besonderen Matchplan aus
Die violetten Gastgeber gaben vor der Partie zu Protokoll, dass man sich nicht nur hinten verbarrikadieren möchte, sondern auch vorhat mutig nach vorne zu spielen und sich nicht verstecken will. Trainer Fink musste sich gegen diesen starken Gegner naturgemäß einen besonderen Matchplan ausdenken, was er auch tat. Eine kleine Überraschung war die Aufstellung von Lee, der den Vorzug vor Tajouri bekam und hinter der einzigen Spitze Monschein auflief. Stattdessen rückte Prokop auf die rechte Seite, jedoch interpretierte er die Rolle wesentlich anders, als es auf dieser Position üblicherweise der Fall ist. Er rückte wesentlich stärker in die Mitte ein und bewegte sich viel im Zentrum, wodurch sich die Formation der Wiener immer wieder von einem 4-2-3-1, hin zu einem 4-3-1-2 veränderte.
Nicht nur Prokop bekam eine neue Aufgabe, auch die Rolle von Pires wurde an den Gegner angepasst und sollte optimiert werden. Der Brasilianer positionierte sich wesentlich höher als gewohnt und stand oft auf einer Höhe mit Monschein, was eine asymmetrische Anordnung im Mittelfeld zur Folge hatte. Man erhoffte sich wohl durch diese Anpassung, dass man die Schnelligkeit und Umschaltstärke des Brasilianers dadurch besser zur Geltung bringt und dieser die Schnittstellen der Dreierabwehr konsequent attackieren sollte.
Auch die Rolle der Außenverteidiger wurde dementsprechend angepasst. Neuzugang Klein sollte durch das Einrücken von Prokop auf der rechten Seite etwas weiter nach vorne rücken und dem Spiel Breite geben. Sein Pendant auf der anderen Seite Martschinko sollte es ihm gleichtun und er kippte nicht mehr so oft ins Zentrum, sondern blieb meist auf dem Flügel. Darüber hinaus wechselten sich Serbest & Holzhauser beim Abkippen immer wieder ab, wobei letzterer meist auf die Außenbahn bzw. hinter den Außenverteidigern abkippte, während Serbest das Zentrum hielt.
Gegen den Ball wollte man ebenfalls aktiv sein und etwas weiter vorne attackieren. Von Anfang an verlegte man die Pressinglinie etwas weiter nach vorne und versuchte die Gäste unter Druck zu setzten. Dabei versuchte man aus einem 4-3-1-2 heraus zu attackieren, wo sich Pires und Monschein etwas breiter positionierten und durch Nutzung des Deckungsschattens den Innenverteidigern die Anspielstationen in das Zentrum abschneiden sollten. Dahinter nahmen die restlichen Spieler der Veilchen ihre Gegenspieler in Manndeckung und sollten so Druck auf Milan aufbauen, damit die Gäste keinen ruhigen Spielaufbau von hinten gestalten konnten. Aber nicht nur beim höheren Attackieren griff man zu Manndeckungen, auch wenn man etwas tiefer stand wurden speziell die zentralen Mittelfeldspieler von Milan mannorientiert verfolgt, aber auch die restlichen Spieler in der Offensive. Man rückte also damit vom üblichen raumorientierten Defensivkonzept ab und wollte so den Rossoneri die Optionen in der Offensive nehmen, ähnlich wie es Lazio immer wieder gelang am Wochenende. Ebenso mutig wurde die Höhe der Abwehrlinie gewählt, die immer wieder weit nach vorne schob und sich nach Ballverlusten teilweise an der Mittellinie aufhielt.
Milan stellt das System um und bringt frische Kräfte
Nach der bitteren 1:4 Schlappe gegen Lazio, hatte der Trainer der Gäste Montella bereits eine Systemumstellung angekündigt, welche dann tatsächlich auch vollzogen wurde. Zapata und Romagnoli rückten in die Mannschaft und bildeten mit Kapitän Bonucci die Innenverteidigung. Ebenfalls neu waren die beiden Stürmer Kalinic und Silva, wodurch sich das System zu einem 5-3-2/3-4-1-2 veränderte. Dabei nutzten die Innenverteidiger die Breite des Feldes im Spielaufbau aus und die Flügelverteidiger Abate & Antonelli rückten dafür sehr weit nach vorne, wodurch sich die beiden teilweise auf Höhe der Mittelstürmer aufhielten. Dies hatte zum Ziel, dass man einerseits den Gegner strecken wollte und andererseits die Außenverteidiger hinten binden wollte, um Übernahmeprobleme der Gegenspieler zu provozieren. Im Zentrum vor der Abwehr boten sich Biglia und Kessie meist als Anspielstationen an, wobei Biglia konstant den Kontakt zur Abwehr behielt, während Kessie auch mal etwas weiter aufrückte. Der dritte Mann im Zentrum Calhanoglu stand dafür etwas höher und sollte für die Verbindung zu den beiden Mittelstürmern sorgen.
Gegen den Ball zeigte man vor allem zu Beginn ein aggressives Gegenpressing und rückte bei Ballverlusten in der gegnerischen Hälfte mit der gesamten Mannschaft auf, um den Ball wiederzuerlangen oder die Austria zumindest zu einem Fehler zu zwingen. Ab und an überließ man dem Gastgeber auch mal den Spielaufbau und sah sich diesen zunächst an, um dann im richtigen Moment das Kommando für das Pressing zu geben. Mit Fortdauer des Spieles und durch das komfortable Ergebnis zog man sich etwas weiter zurück und formierte sich in einem klaren 5-3-2 mit dem Fokus, das Zentrum zu verschließen. Dabei wirkten die Abläufe wesentlich sauberer als noch in den letzten Spielen und alle Feldspieler beteiligten sich ohne Ausnahme an der Arbeit gegen den Ball.
Pressing der Austria läuft ins Leere, Milan nutzt Fehler eiskalt aus
Die Gäste aus Mailand nahmen von Beginn an wie zu erwarten war das Heft in die Hand, wirkten dabei augenscheinlich äußerst zielstrebig und fokussiert. Man wollte sichtlich von Anfang an zeigen, dass man die herbe Niederlage gegen Lazio vergessen machen und ein anderes Gesicht zeigen wollte. Die Austria ihrerseits wollte sich nicht verstecken und rückte von Start weg weiter heraus und presste die Italiener bereits frühzeitig. Jedoch hatte man schon in dieser Phase Probleme damit, für einen passenden Zugriff auf den Gegner zu sorgen. Durch die breite Staffelung der Innenverteidiger, blieb man gegen die Stürmer der Austria mit drei gegen zwei in Überzahl, und konnte sich so immer wieder durch schnelle Verlagerungen dem Druck der Veilchen gekonnt entziehen. Wenn das mal nicht klappte, versuchte man durch lange Bälle die hochstehende Abwehr der Austria in Bedrängnis zu bringen. Dies gelang dabei auch ganz gut, weil das Pressing und die Mannorientierungen der Austria mit Problemen behaftet waren. Dadurch, dass die beiden Außenverteidiger der Wiener immer wieder auf die Flügelverteidiger im Pressing herausrückten, standen die Innenverteidiger gegen die beiden Stürmer oft alleine und es herrschte quasi Gleichzahl. Diese konnten die Bälle immer wieder sichern und dann gegen eine aufgerückte Abwehr den Angriff fortsetzen.
Aber nicht nur da bekam die Abwehr der Veilchen Probleme. Die vielen Mannorientierungen wurden von Milan immer wieder geschickt genutzt, um speziell im Zentrum Räume zu öffnen, da sich vor allem Holzhauser immer wieder aus dem Zentrum ziehen ließ. Diese beiden negativen Aspekte machten sich speziell beim 2:0 der Gäste bemerkbar, wie wir Anhand der folgenden Bilder sehen können:
Bonucci spielt Kessie an, der wird von Holzhauser verfolgt und lässt deshalb zurück auf Zapata prallen:
Holzhauser öffnet durch sein Attackieren den Raum hinter sich, Martschinko steht (am oberen Bildrand) breit und verfolgt den Flügelverteidiger, wodurch der vertikale Passweg ins Zentrum geöffnet wird:
Stürmer Kalinic erhält den Ball von Zapata, lässt auf Kessie prallen (schwarzer Balken) und zieht Westermann mit, wodurch der Raum dahinter komplett geöffnet wird, was Calhanoglu auch sehr gut antizipiert. Dieser startet sofort im Sprint in die Tiefe und bekommt auch den Ball von Kessie, wodurch Milan 2 vs. 1 auf das gegnerische Tor zuläuft und infolgedessen das 2:0 fällt.
Diese Szene war exemplarisch dafür, wie einfach Milan das Pressing der Austria immer wieder bespielen und auflösen konnte. Auf diesem Niveau werden von Spitzenmannschaften solche Fehler eiskalt ausgenutzt, was die Italiener beim Treffer zum 2:0 auch sehenswert taten und mit insgesamt fünf Pässen die gesamte Defensive der Gastgeber aushebelte. Davor gerieten die Veilchen jedoch bereits in Rückstand, nachdem Kadiri den Ball im Spielaufbau leichtfertig vertändelte und Milan diese Einladung dankend zum 1:0 annahm. So stand es nach zehn Minuten bereits 2:0 für den haushohen Favoriten und das Spiel war dadurch quasi entschieden. Milan zog sich mit der komfortablen Führung im Rücken daraufhin etwas zurück und ließ die Austria kommen, während man auf eigene Kontermöglichkeiten lauerte. Diese ergaben sich auch immer wieder und eine verwertete Milan nach zwanzig Minuten sehenswert zum 3:0. Nach einem Ballgewinn in der eigenen Hälfte von Biglia, ging es über zwei Stationen das gesamte Spielfeld runter und Andre Siva behielt alleine vor Hadzikic die Nerven und schnürte innerhalb weniger Minuten einen Doppelpack.
Milan zeigte sich also im Stile einer Spitzenmannschaft und nutzte die Naivität der Austria eiskalt aus, indem man drei von vier Torchancen nutzte und damit jeden Fehler bestrafte. Daraufhin schalteten die Rossoneri einen weiteren Gang herunter und überließen den Wienern öfter den Ball oder ließen ihn in den eigenen Reihen zirkulieren. Die Austria war nun naturgemäß um Schadensbegrenzung bemüht, versuchte jedoch weiterhin kontrolliert nach vorne zu spielen. Jedoch tat man sich schwer, in höheren Zonen vorzudringen, da die Italiener hervorragend standen und das Zentrum in ihrem 5-3-2 gut verdichteten. So plätscherte die Partie nun bis zur Pause etwas dahin und die Veilchen mussten mit einem 0:3 Rückstand in die Kabine.
Austria-Treffer direkt nach der Pause ohne Auswirkungen auf das Spiel
Nach der Halbzeit kam die Austria etwas engagierter aus der Kabine und erspielte sich immerhin zwei Eckbälle und eine gute Möglichkeit durch Lee. Den anschließenden Eckball verwertete der erst achtzehnjährige Borkovic zum 1:3 und erzielte damit seinen ersten Treffer für die Veilchen. An der Charakteristik des Spiels änderte das jedoch kaum etwas. Milan ließ den Ball in den eigenen Reihen laufen, die Austria versuchte auch weiterhin weiter vorne zu attackieren, bekam jedoch kaum einen Zugriff auf den Gegner. Milan schaffte es immer Lösungen zu finden, indem man die Austria streckte und sie dann problemlos bespielte, entweder mit kurzen Pässen oder einer Spielverlagerung.
Die violetten Gastgeber zahlten auch weiterhin Lehrgeld. Nachdem man versuchte, einen Abstoß spielerisch zu lösen, eroberten die Italiener im Pressing den Ball auf der linken Seite, spielten sich mit wenigen Kontakten in den Strafraum, wo dann Stürmer Silva erneut eiskalt zum 4:1 vollendete und damit einen Dreierpack schnürte. Die Rossoneri hatten jedoch noch nicht genug. Der erst kürzlich eingewechselte Suso nahm sich aus der Distanz ein Herz und traf sehenswert zum 5:1. Damit verabschiedete sich Milan endgültig vom Spiel, verlegte den Fokus auf die Verwaltung und die Defensive, welche auch die restliche Spielzeit kaum etwas zuließ. Als wäre die Höhe der Niederlage nicht schon ärgerlich genug, musste neben Westermann auch noch Torschütze Borkovic angeschlagen runter, was die Sorgenfalten im Hinblick auf die nächsten Spiele noch größer werden lässt. Somit wurde es für die Austria endgültig ein Abend zum Vergessen.
Fazit
Von Anfang an ließ Milan keine Zweifel aufkommen, wer das Spiel als Sieger vom Platz verlassen wird. Man spielte äußerst konzentriert und nutzte jede Gelegenheit eiskalt aus, was der „Expected Goal“ Wert von 1,5 Toren auch offenbart. Man schien perfekt auf den Gegner vorbereitet zu sein und beherrschte jeden Aspekt des Spieles mit Leichtigkeit. Die Austria hingegen bezahlte einiges an Lehrgeld und offenbarte mal wieder die Probleme in der Defensive. Der Mut weiter vorne zu attackieren ist zwar durchaus lobenswert, jedoch hätte man dies wesentlich besser umsetzten müssen und es gelang kaum, echten Zugriff auf den Gegner zu erlangen. Darüber hinaus machte man viele individuelle Fehler und war speziell zu Beginn zu offensiv, was sich auch sofort rächte. Wenn man ein Wörtchen um den Aufstieg mitreden will, muss man diese Naivität rasch abstellen und in Zukunft eine wesentlich reifere Performance an den Tag legen.
Dalibor Babic, abseits.at
Dalibor Babic
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