Analyse: Ralph Hasenhüttls kontrolliertes Chaos gegen Gladbach
Deutschland 18.September.2017 Sebastian Ungerank 0
Nach dem Unentschieden zum Auftakt der Champions League gegen die AS Monaco erwartete RB Leipzig im Topspiel der Runde die Borussia aus Mönchengladbach. Obwohl Ralph Hasenhüttl ordentlich rotierte, zeigte seine Mannschaft in der ersten Halbzeit nahezu perfekt das anvisierte Spiel mit dem „kontrollierten Chaos“, über das die Verantwortlichen in Leipzig so gerne sprechen. Gladbach zeigte sich äußerst effizient vor dem Tor und kämpfte sich im zweiten Durchgang dank eines viel aggressiveren Spiel gegen den Ball zurück und war sogar die bessere Mannschaft. Unterm Strich konnte man daher von einem leistungsgerechten Unentschieden sprechen.
Grundordnungen und Personal
Im Vergleich zu der Partie unter der Woche gegen Monaco blieben lediglich Torhüter Gulacsi, Upamecano, Klostermann, Ilsanker, Forsberg und Werner in der Startformation. An der 4-2-2-2 Grundordnung änderte Hasenhüttl natürlich nichts.
Stefan Ilsanker rückte von der Sechs in die Innenverteidigung neben Upamecano, wobei dies für ihn keine große Umstellung gewesen sein dürfte. Bereits in der letzten Saison spielte er einige Male auf dieser Position. Klostermann blieb auf der rechten Außenverteidigerposition, während Bernardo die linke Seite beackern durfte.
Auf der Sechs kam der von Salzburg gewechselte Konrad Laimer neben Naby Keita zum Einsatz. Laimer agierte meist als Fixpunkt vor den beiden Innenverteidigern und sicherte die fluiden Rochaden seines Nebenmanns sehr sauber ab.
Die Zehner-Positionen besetzten Forsberg und Kampl. Die Stürmerpositionen nahmen Werner und Augustin ein.
Borussia Gladbach reiste mit einem 4-4-2 Mantel nach Leipzig. Vor Yan Sommer bestand die Viererkette aus den beiden Innenverteidigern Vestergaard und Ginter sowie den Außenverteidigern Wendt und Elvedi. Zakaria und Kramer bildeten im Zentrum die Doppelsechs, während Hazard auf links und Hofmann auf rechts die Flügeln besetzten. Die Sturmlinie bestand aus den sehr spielstarken und ballsicheren Stindl und Raffael, welche aber vor allem in der ersten Halbzeit durch die passive Ausrichtung lange Zeit auf verlorenen Posten standen.
Leipzig kontrolliert das Chaos
Ohne zu übertreiben kann man festhalten, dass RB Leipzig Gladbach in der ersten Halbzeit regelrecht überrollt hat. Durch die passive Ausrichtung der Gladbacher konnte Leipzig das Aufbauspiel ruhig und strukturiert vorbereiten und sich den Gegner quasi zurechtlegen.
Dabei zeigte die Truppe von Coach Hasenhüttl erneut, dass sie mittlerweile auch sehr viele und durchschlagskräftige Lösungen gegen einen tiefstehenden Gegner haben. Vor ca. einem Jahr war diese Facette des Spiels bei den Bullen noch nicht so weit entwickelt wie jetzt.
Dabei kamen im Ballbesitzspiel die typischen RB-Elemente zum Einsatz: Ballungsräume im Zentrum und in den offensiven Halbräumen, enge Abstände zwischen den Spielern (zwecks Zugriff im Gegenpressing), hohe Präsenz im Zwischenlinienraum, Fluidität im dritten Drittel und viele kleinräumige Kombinationen mit Ablagen, Doppelpässen und Sprints in die Tiefe. Dazu wird diese gesamte Offensiv-Power vom defensiven Dreieck aus dem Sechser (in diesem Fall Laimer) und den beiden Innenverteidigern abgesichert. Wobei die beste Absicherung für das eigene Angriffsspiel sowieso das Gegenpressing selbst ist. Dafür schaffen die Leipziger mit ihren Positionen und Staffelungen die besten Voraussetzungen für ein griffiges und schnelles Umschalten nach einem Ballverlust.
All diese Aspekte waren auch in der ersten Halbzeit im Spiel gegen Gladbach zu sehen. Dabei fokussierte man sich vor allem auf den linken offensiven Halbraum. Naby Keita schob von seiner Sechser-Position häufig in diese Zonen vor bzw. leitete die Angriffe über diese Seite ein. Emil Forsberg positionierte sich ebenfalls in diesem Bereich und bot sich häufig genau zwischen Kramer und Hofmann für kurze Pässe an.
Die notwendige Breite auf der linken Seite gab Außenverteidiger Bernardo, während Timo Werner ebenfalls häufig auf den Flügel auswich und dort Elvedi ab und an in 1 gegen 1 Situationen verwickelte.
Leipzig überlud diese Zonen bewusst und stellte Überzahlsituationen her, um einerseits den Kombinationsfluss aufrechterhalten zu können und andererseits den maximalen Zugriff im Gegenpressing herstellen zu können.
Diese taktische Herangehensweise in Verbindung mit einer guten Passqualität, einer fast schon extremen Ballsicherheit und guten individuellen Aktionen der Offensivspieler in engen und unübersichtlichen Räumen führte zu einem sehr dominanten Auftritt von RB Leipzig in den ersten 45 Minuten.
In der Grafik sieht man die Struktur von Leipzig im Aufbauspiel. Auffallend ist natürlich der Ballungsraum im linken Halbraum mit den vielen Passverbindungen sowie dem dadurch eng gestrickten Gegenpressing-Netz.
Keita, der die meisten Angriffe aus dem linken Halbraum einleitete, bekamen die Gladbacher nie gefasst.
Gladbach zu passiv im Pressing
Wie man ebenfalls im obigen Spielausschnitt sehen kann, verteidigte Gladbach aus einer 4-4-2 Ordnung heraus. Positionieren wollte man sich vermutlich in einem Mittelfeldpressing, wobei sich das Kollektiv aufgrund des fehlenden Zugriffs häufig wesentlich tiefer im Abwehrpressing positionieren musste.
Leipzig kontrollierte den Ball und den Raum und Gladbach reagierte nur, wodurch immer wieder der Eindruck entstand, dass die Gladbacher zu weit weg von ihren Gegenspieler standen. Leipzig hatte nicht nur einen (physischen) Schnelligkeitsvorteil, sondern konnten sich auch gedanklich schneller auf die wechselnden Spielsituationen einstellen.
Die erste Pressinglinie rund um Raffael und Stindl hatte praktisch nie wirklich Zugriff. Vor allem das Herauskippen von Keita bereitete ihnen große Schwierigkeiten. Es wurde auch gar nicht versucht, diese Pässe zu unterbinden, indem man die Innenverteidiger von RB höher attackiert hätte.
Dieser fehlende Zugriff zog sich auch in den Linien dahinter durch, bedingt vor allem das das Überladen von Leipzig.
Gladbachs Dreierkette und Leipzigs Reaktion darauf
Obwohl Gladbach, vor allem in der ersten Halbzeit, wenige Ballbesitzphasen und dadurch kaum klare Aufbausituationen hatte, war das Abkippen von Kramer in die erste Aufbaulinie aus taktischer Sicht durchaus interessant. Vor allem die Konsequenz, mit der er das machte, war erstaunlich.
Dabei ließ er sich nicht wie bei den meisten Mannschaften üblich zwischen die beiden Innenverteidiger fallen, sondern kippte zwischen Ginter und Elvedi in den rechten Halbraum heraus. Zakaria besetzte dadurch alleine den Sechserraum. Elvedi konnte dadurch nach vorne schieben und ein Einrücken von Hofmann ermöglichen.
Das Ziel dahinter war vermutlich, Leipzig herauszulocken und den Raum hinter dem Außenverteidiger von RB zu bespielen. Auch einige flache Pässe in den rechten Halbraum hätte man sich dadurch vielleicht erhofft.
Leipzigs Reaktion darauf war aber reif und gut überlegt. Ähnlich wie zurzeit in Salzburg positionieren sich die Spieler von Leipzig in einem „falschen Angriffspressing“. Das heißt, die Innenverteidiger plus Kramer wurden nicht sofort angelaufen und attackiert, sondern zuerst einmal wurden Passwege zugestellt und Verbindungen zu den vorderen Spielern von Gladbach getrennt.
Emil Forsberg spielte darin eine entscheidende Rolle. Aufgrund des Abkippens von Kramer rückte er häufig eine Linie nach vorne zu den beiden Stürmern Werner und Augustin und stellte dadurch eine 3 gegen 3 Situation her. Aus mannschaftstaktischer Sicht ergab sich dadurch ein recht asymmetrisches 4-3-3. Dadurch war es schwierig für die Gladbacher, durch diese Dreierkette in die vorderen Bereiche zu spielen.
Das (selten gesehene) Aufbauspiel von Gladbach und die Reaktion von Leipzig darauf. Dadurch, dass Forsberg nach vorne schiebt wird Elvedi frei. Bernardo spielt aber aufmerksam mit und verlässt seine Position aus der Viererkette und stellt Elvedi zu.
Die Restverteidigung ist zwar riskant, aber ein Augenschmaus für alle Liebhaber des extremen ballorientierten Verteidigens.
Gladbach findet in Hälfte zwei in die Partie zurück
Es ist schwierig zu beurteilen, ob Gladbach wirklich um so viel besser aus der Kabine zurückgekommen ist oder Leipzig einfach auch zwei Gänge zurückgeschalten hat. Allerdings ist es bei einem 2:1 Zwischenstand schwer vorstellbar, dass dies eine bewusste Reaktion gewesen sein kann. Vielleicht war auch die physische und mentale Frische nach dem Champions-League Spiel nicht mehr hundertprozentig vorhanden, wodurch die Bereitschaft und Aktivität nachgelassen hat. All das ist aber reine Spekulation.
Gladbach hat aber auch eine gute Reaktion gezeigt. Am auffälligsten war hauptsächlich die erhöhte Aktivität im Spiel gegen den Ball. Stindl und Raffael attackierten nun wesentlich höher und aktiver als noch in der ersten Halbzeit. Allgemein fanden die Spieler durch diese erhöhte Aktivität besser in die Zweikämpfe und zwangen so die Leipziger zu unvorbereiteten Aktionen.
Kramer konnte aus seiner tiefen Position das Spiel besser ankurbeln und brachte einige Bälle zu Stindl und Raffael durch. Da hat die Kompaktheit und Intensität im Spiel von Leipzig aber bereits nachgelassen.
Ralph Hasenhüttl brachte nach einer Stunde Diego Demme für Augustin und stellte auf ein 4-1-4-1 um. Laimer blieb auf der Sechs, Keita und Demme besetzten die Achter-Positionen. Wirklich gefruchtet, indem man das Spiel wieder mehr kontrollieren konnte, hat diese Umstellung aber nicht.
Nach der roten Karte für Naby Keita wurde in einer 5-3-1 Ordnung das Unentschieden über die Zeit gebracht.
Ilsanker und Laimer mit guten Leistungen
Mit Stefan Ilsanker und Konrad Laimer kamen auch zwei Österreich-Legionäre und Ex-Salzburger über 90 Minuten zum Einsatz.
Vor allem der zu Saisonbeginn gewechselte Laimer bot eine grundsolide und taktisch sehr passende Leistung auf der Sechs neben Keita. Er war der Fixpunkt vor der Abwehr und hielt seine Position sowohl im Spiel mit dem Ball als auch im Pressing konstant. Genau diese stabilisierende Rolle neben einem so beweglichen und umtriebigen Spieler wie Keita ist hier gefordert. Dabei spielte er 34 Pässe mit einer Erfolgsquote von 91 % und führte 11 Zweikämpfe, von denen er 55 % gewann.
Mit 11,45 km war er hinter Timo Werner (11,81 km) der laufstärkste Spieler der Ostdeutschen.
Wie von Stefan Ilsanker mittlerweile gewohnt zeigte auch er wieder eine sehr solide und leidenschaftliche Vorstellung. Bedingt durch das tiefe Pressing von Gladbach spielte er die meisten Pässe (93) im Team von RB. Dabei kamen 91 % an den eigenen Mann. Daneben hatte er sechs Balleroberungen. Sein Nebenmann Upamecano hatte deren zwölf.
Alles in allem zeigte er eine gute Leistung und man hat erneut gesehen, dass er mit seiner Spielintelligenz und Antizipationsstärke sehr gut in eine solche Restverteidigung passt.
Sebastian Ungerank, abseits.at
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