RB Leipzig konnte dem Tabellenführer Borussia Dortmund erstmals wieder seit April 2015 eine Bundesliga-Heimniederlage zusetzen. Die Mannschaft von Ralph Hasenhüttl überzeugte erneut mit einer... Analyse: Wie Leipzig drei Punkte aus Dortmund entführte

RB Leipzig konnte dem Tabellenführer Borussia Dortmund erstmals wieder seit April 2015 eine Bundesliga-Heimniederlage zusetzen. Die Mannschaft von Ralph Hasenhüttl überzeugte erneut mit einer sehr kompakten und aggressiven Ausrichtung im Spiel gegen den Ball und, vor allem in der ersten Hälfte, mit vielen guten Umschaltmomenten. Dortmund hatte gegen den RB-Matchplan relativ wenig entgegenzusetzen und verlor zunehmend, trotz mehr Ballbesitz, die Kontrolle über das Spiel.  Eine ziemlich chaotische zweite Halbzeit sollte aber noch einmal mächtig Schwung in die ansonsten recht statischen Ausrichtungen bringen.

Grundordnungen und Personal

Peter Bosz schickte seine Mannschaft in der bisherigen 4-1-4-1 Stamm-Grundordnung in das Topspiel gegen Leipzig. Vor Torhüter Bürki bestand die Viererkette aus den beiden Innenverteidigern Toprak und Sokratis sowie den Außenverteidigern Toljan auf rechts und Zagadou auf der linken Abwehrseite.
Auf der alleinigen Sechser-Position bekam erneut Nuri Sahin den Vorzug vor Julian Weigl. Die Achter-Positionen neben bzw. vor Sahin bekleideten Götze im linken und Castro im rechten Halbraum.
Die Sturmlinie bestand aus den „klassischen“ Flügelspielern Philipp und Yarmolenko sowie Mittelstürmer Aubameyang.

Auch Bosz’s Gegenüber Ralph Hasenhüttl änderte an seiner erprobten Grundordnung nichts. Während der 4-2-2-2 Mantel unverändert blieb, wechselte Hasenhüttl im personellen Bereich aufgrund der anstehenden englischen Runden doch erheblich durch. So waren zum Beispiel ein Willi Orban, Timo Werner oder Emil Forsberg zu Beginn nur auf der Bank wieder zu finden.
Das Innenverteidiger-Duo wurde daher wieder von Ilsanker und Upamecano gebildet, welche von Halstenberg auf links und Bernardo auf rechts flankiert wurden.
Keita und Kampl besetzten die zwei Sechser-Positionen, auf der Zehn kamen Sabitzer und der äußerst stark aufspielende Bruma zum Zug. Augustin und Poulsen bekleideten die intensiv zu spielenden Sturmpositionen.

Leipzigs Pressing nimmt Dortmund die Spielkontrolle

Die Leipziger Bullen fokussierten sich in ihrem Matchplan wieder auf das, was sie am besten können: dem Spiel gegen den Ball. Die Pressinghöhe wurde dabei traditionell hoch angelegt. Die Stürmer Augustin und Poulsen positionierten sich dabei wieder knapp vor den Dortmunder Innenverteidigern und behielten permanent den Zugriff auf diese. Unter dem Deckmantel „falsches Angriffspressing“ wurde diese Ausrichtung bereits mehrmals erläutert. Dabei agierten sie vor allem in den ersten 15 Minuten noch wesentlich aggressiver als sonst. Poulsen und Augustin liefen dabei häufig „durch“ und attackierten die ballführenden Innenverteidiger, welche dadurch bis auf den Rückpass auf Bürki oder einem langen Ball auf die Flügel keine effektiven Passoptionen hatten. Nach dieser sehr aggressiven Angriffsphase zogen sich die Bullen aber wieder in ihre gewohnten Positionen zurück und ließen horizontale Pässe zwischen der beiden Dortmunder Innenverteidiger zu. Bei einem vertikalen Pass oder einem diagonalen Pass der Innenverteidiger auf die beiden Außenverteidiger wurde der Pressingmechanismus der Leipziger aber sofort auf scharf gestellt.
Die nachfolgende Grafik zeigt die Strukturen beider Mannschaften im ersten Durchgang.

Äußerst wirkungsvoll war, wie die Stürmer Poulsen und Augustin Nuri Sahin aus dem Aufbauspiel genommen haben. Dabei agierten sie nicht mannorientiert, wie das vermutlich viele Mannschaften gemacht hätten, sondern mit einer äußerst intelligenten Raumbesetzung. Beide bewegten sich meist auf einer Höhe mit Sahin und unmittelbar neben ihm, wodurch ihm schlichtweg der Raum für Ballannahmen und Drehungen genommen wurde. Ein Pass auf ihn wäre fast durchgehend sehr riskant gewesen, weil die Leipziger nur darauf lauerten, Sahin von allen Seiten (Augustin und Poulsen von der Seite, Keita von hinten) unter Druck zu setzen. Dadurch war ein wichtiger Anspielpunkt für die Dortmunder in deren Aufbauspiel nicht stabil anspielbar. Dies wirkte sich auf den gesamten weiteren Angriffsverlauf des amtierenden Pokalsiegers aus.

Taktisch interessant war auch die Position von ÖFB-Spieler Marcel Sabitzer im Angriffspressing. Dabei schob er von seiner etwas tieferen Position neben Kevin Kampl situativ in die vorderste Linie neben Augustin und Poulsen vor und es entstand dadurch eine Art Dreierkette. Bereits im Spiel gegen Gladbach machte Emil Forsberg genau das Gleiche, um auf das Abkippen von Christoph Kramer zu reagieren. Der geöffnete Raum hinter ihm (oder einfacher gesagt Zagadou) war aber nur mit langen Pässen zu bespielen, welcher dann meist vom Außenverteidiger Bernardo aufmerksam verteidigt worden ist. Der Druck und Zugriff in der vordersten Pressinglinie konnte durch dieses Aufrücken erneut erhöht werden.
Ein interessanter Nebeneffekt war auch, dass durch dieses Aufrücken von Sabitzer der linke defensive Halbraum für die Dortmunder nicht bespielbar war. Schließlich sind ja dies oft die Zonen, welche 4-4-2 Pressingformationen nicht in den Griff bekommen und zu Instabilitäten führen.

Hinter der ersten Pressinglinie waren die Zuordnungen ebenfalls recht klar, ohne dabei stark mannorientiert agieren zu müssen. Die Sechser Kampl und Keita konnten in deren Bewegungsradien recht simpel die Achter Götze und Castro aufnehmen. Auch die Außenverteidiger Bernardo und Halstenberg konnten sich gut auf die Dortmunder Flügelspieler einstellen. Zuordnungs- bzw. Übergabeprobleme entstanden dadurch bei den Leipzigern praktisch nie, was auch wesentlich an der Statik des Dortmunder Aufbauspiels lag.

Zusammengefasst kann man festhalten, dass das Pressing der Bullen wieder sehr kompakt, griffig und gut abgestimmt war. Durch die klaren Zuordnungen und die engen Abstände innerhalb und zwischen den Linien konnten sie mit einer hohen Aggressivität im Zweikampf punkten, was gegen das ansonsten pressingresistente Dortmund ein ganz entscheidender Punkt gewesen sein dürfte.

Dortmunder kamen nicht bis zu ihren Offensivspielern durch

Das große Problem des BVB war, dass sie die erste Pressinglinie der Leipziger nicht überspielen konnten und dadurch auch ihre Offensivspieler nicht in Aktionen brachten. Sie wirkten mit dem Angriffspressing der Leipziger etwas überfordert und die Aufbaustrukturen und Positionen waren dementsprechend auch nicht passend dafür.
Trainer Peter Bosz sprach daher im Nachgang der Partie von „keinem guten Fußball“, welche seine Mannschaft in der ersten Hälfte bot. Es sei laut Bosz „zu viel zurück und nicht nach vorne“ gespielt worden. Er hat natürlich Recht, aber man muss an dieser Stelle auch dazu sagen, dass die Innenverteidiger keine wirklichen Optionen hatten, um den Ball nach vorne zu spielen. Mehr Bewegung und eine etwas höhere Variabilität im Ballbesitzspiel des BVB hätten dafür sicher nicht geschadet. Dies allerdings scheint in Dortmund in der bisherigen Saison noch nicht so recht Einzug gehalten haben.

Rote Karte von Sokratis machten Bosz’s Umstellungen obsolet

In der Halbzeitpause reagierte Bosz auf das bisher Gesehene in der ersten Hälfte und stellte sowohl taktisch wie auch personell um. Für Sahin kam Weigl und Außenverteidiger Toljan musste für Pulisic in der Kabine bleiben. Von der Grundordnung her ergab sich dadurch ein 3-4-3 mit Zagadou auf der halblinken Innenverteidiger-Position und den schnellen Pulisic und Philipp auf den Flügelverteidigerpositionen. Weigl und Castro bekleideten die Doppelsechs, während Mario Götze von der Acht auf den linken Flügel schob.
Der Gedanke dahinter war wohl, dass durch die Dreierkette und die beiden Sechser mehr Bahnen besetzt werden sollten und dadurch mehr und bessere Passverbindungen zwischen diesen fünf Spielern hergestellt werden sollten.
In der Theorie mag dies schlüssig klingen, in der Praxis führte es aber nach dem Ballverlust von Weigl (nachdem einmal ein Pass in den Sechserraum gespielt wurde) zur roten Karte von Sokratis und einer erneuten Systemumstellung.

Nach dem Ausschluss stellt Bosz wieder auf ein 4-4-1 um. Marc Bartra wurde dafür eingewechselt und spielte neben Toprak in der Innenverteidigung, Zagadou ging wieder auf seine angestammte Linksverteidigerposition.

Allerdings dauerte diese Zeit in Unterzahl gerade einmal 10 Minuten, nachdem Stefan Ilsanker mit zwei mehr oder weniger unnötigen Fouls innerhalb von zwei Minuten zwei Mal den gelben Karton sah. Die letzten 35 Minuten fanden daher wieder in nummerischer Gleichzahl statt, welche von beiden Mannschaften mit recht konventionellen Herangehensweisen bespielt worden sind.

Nach den Ausschlüssen: 4-4-1 Grundordnungen auf beiden Seiten

Die Leipziger machten es den Dortmundern nach und stellten ebenfalls auf ein 4-4-1 um. Nach ein paar chaotischen Minuten mit Sabitzer als rechter Außenverteidiger brachte Hasenhüttl mit Laimer den nächsten Österreicher, der sich dann auch gleich auf der rechten Abwehrseite einordente.
Die folgende Grafik zeigt beide Mannschaften in den letzten 35 Spielminuten.

Angepasst wurde aus Leipziger Sicht aufgrund der roten Karte und der 3:1 Führung auch die Pressinghöhe. Vereinzelt, hauptsächlich von Sabitzer, gab es noch ein aktives Anlaufen des Dortmunder Spielaufbaus zu sehen, ansonsten zogen sich die Bullen in ihrer 4-4-1 Grundordnung in die eigene Hälfte zurück und fokussierten sich darauf, das Zentrum und die Halbräume zu schließen. Die Dortmunder gewannen dadurch endlich wieder mehr Spielkontrolle und man konnte sofort sehen, dass sie sich damit wesentlicher wohler fühlten.
Zu zwingenden Torchancen kamen sie nach dem Anschlusstreffer von Aubameyang allerdings auch nicht mehr, bis auf die größte Chance von Yarmolenko in der Nachspielzeit.

Überblick über die physischen Tracking-Daten

Als Zuseher wirkte dieses Topspiel unheimlich intensiv und schnell, wodurch sich ein Blick auf die erfassten physischen Tracking-Daten lohnt. Leipzig liegt zwar in allen Bereichen leicht vorne (vielleicht macht das genau den Unterschied, wer weiß?), allerdings erkennt man beim Blick auf diese auch recht schnell, dass sich beide Mannschaften vom physischen Aspekt nicht wesentlich unterscheiden. Bei Spielen von Leipzig hat man ja oft recht schnell das Gefühl, dass deren Spieler mindestens doppelt so oft sprinten als ihre Gegenspieler. Dies ist aber nicht der Fall, zumindest nicht gegen Dortmund.

Von der physischen Seite waren daher beide Mannschaften in etwa gleich gut aufgestellt für diese Partie. Dies wiederum betont die taktischen und mentalen Aspekte, welche ausschlaggebend gewesen waren.
Das Spielmodell von Leipzig hat sich in dieser engen und guten Partie gegen jenes von Dortmund durchgesetzt, die Entwicklungen beider Teams bleiben aber in naher Zukunft sehr interessant.

Sebastian Ungerank, abseits.at

Sebastian Ungerank

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