Anekdote zum Sonntag (125) – Hey, das geht ab! Wir feiern die ganze Nacht!
Deutschland 29.April.2018 Marie Samstag 0
„Wenn’s drauf ankommt, eine Geliebte zu betrügen, da ist der Dümmste ein Philosoph.“, sagte Johann Nestroy. Der Wiener Autor mit dem Röntgenblick für Seelenregungen analysierte die Natur des Menschen schon im 19. Jahrhundert wie kein Zweiter. Es ist doch so: Um die eigenen Wünsche zu verwirklichen, findet man immer Mittel und Wege. Da war auch Franz Hasil keine Ausnahme.
Der Offensivspieler war sogar der Stereotyp des schlitzohrigen Fußballers, der sich die Umstände gerne so hinbog, wie es ihm gerade passte. In der Silvesternacht 1968 gelang Hasil ein besonderer Coup: Schalke 04 mag zwar als Arbeiterverein von fußballspielenden Knappen Gelsenkirchens gegründet worden sein, gehörte aber spätestens seit den 30ern zu den bekanntesten Fußballvereinen Deutschlands. Dies brachte auch zahlreiche gesellschaftliche Verpflichtungen mit sich. Das Ehepaar Hasil sowie Franz jüngerer Bruder Johann, der gerade zu Besuch weilte, waren anlässlich des Jahreswechsels 68/69 zu einem eleganten Silvestersouper des Vereines eingeladen worden. In dem Lokal wimmelte es vor Prominenz, die Fußballer trugen Anzüge, die das Schalker Vereinswappen zeigten, und mussten höflich Konversation machen.
Hasil war von der ersten Minute an unruhig. Der kreative Spielgestalter fühlte sich in einem solch steifen Rahmen einfach nicht wohl. Kurz vor dem Dessert – während der Zeiger immer näher auf Mitternacht zuging – brach der Niederösterreicher eine Diskussion mit seiner Frau vom Zaun: Wie es wohl Wolfgang und Silvia, den beiden Kindern, gehen mochte. Hoffentlich sei alles in Ordnung. Vielleicht sollte er aber doch nach ihnen sehen. Johann sollte – zur Sicherheit – mitkommen, falls einer bei den Kleinen bleiben müsse. Ingeborg Hasil machte daraufhin ein Gesicht als hätte sie Zahnweh. Ungern entließ sie die beiden Männer nachhause, während sie sitzen blieb. Nun musste sie den Abend allein bewältigen. In der Wohnung angekommen war natürlich alles in bester Ordnung: Der Nachwuchs träumte, der Babysitter vertrieb sich die Zeit. Der Kontrollbesuch war allerdings nur ein geschickter Schachzug von Franz: Er und einige seiner Spielerkollegen hatten sich während des langweiligen Restaurantbesuches ausgemacht mit fadenscheinigen Ausreden zu entschwinden und für einige Stunden ein anderes Lokal unsicher zu machen.
Gesagt, getan. Die Hasil-Brüder feierten in lockerer Atmosphäre, bis es Zeit war Ingeborg abzuholen. Auf dem Weg zurück zum Restaurant strickten sich Johann und Franz ein abenteuerliches Lügenmärchen zusammen: Die Kinder seien erwacht, hätten Angst gehabt. Zu zweit habe man versucht sie wieder in den Schlaf zu schaukeln. Das sei jedoch bei dem Krach des Silvesterfeuerwerks nicht gerade leicht gewesen. Also habe man bis weit nach Mitternacht mit den Kindern Raketen in den Nachthimmel über dem Ruhrpott gezündet. Frau Hasil glaubte diesen Schwachsinn natürlich nicht und war bitterböse, dass ihr Mann und ihr Schwager sie im Stich gelassen hatte. Sie musste sich mehrere Stunden langweilen. Johann Nestroy sagte dazu so treffend: „Glück und Verstand gehen selten Hand in Hand.“
Marie Samstag, abseits.at
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