Max Merkel war nicht gerade ein beliebter Trainer, die Abneigung ihm gegenüber hatte trotzdem Abstufungen. Über seine Zeit bei Schalke sagte der streitbare Wiener einmal: „Das Schönste an Gelsenkirchen war schon immer die Autobahn nach München.“ Angesichts einer solchen Aussage braucht es nicht viel mehr Erläuterung dazu, dass königsblau und Merkel nicht wirklich gut zusammenpassten.
Der Ex-Defensivspieler war – wie gesagt – bei seinen Spielern kein geschätzter Übungsleiter, feierte aber dennoch – oder gerade deswegen – mehrere Meistertitel und Cupsiege. Diesen Fakt brachte er später als Pensionist mit dem Titel seiner Biografie „Geheuert, gefeiert, gefeuert.“ treffend auf den Punkt. Bei den Knappen werkte der Meistermacher knappe neun Monate, ohne aber zählbare Erfolge einzufahren. 1979 wurde Merkel Bayern-Trainer, ohne ein einziges Spiel zu coachen, weil sich die FCB-Kicker erfolgreich gegen sein Engagement zur Wehr setzten. Es schien, als sei die Glückssträhne der Rapid‑Legende gerissen. Zuvor gehörte Merkel jedoch zu den Star-Trainern Europas: Sein strenges Zuckerbrot-und-Peitsche-Konzept brachte den Grün-Weißen, 1860, Nürnberg und Atlético nationale Ligatitel und Merkel selbst reichlich Marie sowie kurzweilige Anekdoten ein. Nachdem der jeweilige Siegessekt ausgetrunken war, musste der Meistermacher jedoch meistens das Feld räumen: Merkels Arbeitshaltung machte eine langfristige Anstellung unmöglich. Auch diese Tatsache brachte er später pointiert auf den Punkt: „In meinem Beruf kommt immer wieder einmal der Tag, an dem die Wanderschaft von Neuem beginnt.“
Bei Schalke 04 arbeitete seit den 50er-Jahren ein gewisser Charly Neumann. Max Merkel machte ihn 1976 zum Mannschaftsbetreuer und Neumann wurde so in ganz Fußball-Deutschland populär: Er galt als Unikum, der den Spielern jeden Wunsch von den Augen ablas und gehörte jahrzehntelang zum Schalker Tross. Geboren wurde der Edelfan 1931 in Bochum, wo er den ehrenwerten Beruf des Bäckers erlernte. Der Legende nach lieferte er Schalke-Star Ernst Kuzorra einmal frisches Gebäck und war seit dieser Begegnung mit dem königsblauen Virus infiziert: Neumann wurde als junger Mann Vereinsmitglied, arbeitete später als Jugendleiter und eben Mannschaftsbetreuer. Er war Ansprechpartner für die Fans und mischte in den Gremien mit. Der Gelsenkirchner Fußballverein war sein Lebenssinn: „Wo ich hinkomme, habe ich Heimspiele. Manchmal frage ich mich, wie populär ich erst hätte werden können, wenn ich auch noch Fußball gespielt hätte.“, meinte er später.
Als Merkel im Sommer ’75 seine Zelte im Ruhrpott aufschlug, verkündete er zunächst vollmundig mit den Knappen Meister zu werden. Doch so richtig kam der königsblaue Express unter seiner Führung nicht in Fahrt: 1:4 ging Schalke z.B. beim HSV unter und Merkel kritisierte öffentlich seine Mannschaft. Nach mäßigen Ergebnissen erklärte der Trainer schließlich den Verein nach Saisonende wieder zu verlassen. Das hinderte seine Schalker Vorgesetzten jedoch nicht daran ihn bereits am 9. März 1976 freizustellen: Eine 2:3-Niederlage gegen Bayern besiegelt das Aus des Wahl-Bayern – Merkel hatte seinen Hauptwohnsitz in Putzbrunn bei München.
Der frisch entlassene Coach besuchte an diesem Frühlingsabend nochmals Charly Neumann – die treue Seele – in seinem Haus außerhalb von Gelsenkirchen, um sich zu verabschieden. Als Merkel abends mit seiner Frau in sein Auto einsteigen wollte, um gen Süden zu fahren, riefen ihm allerdings zwei Passanten von der anderen Straßenseite zu: „Herr Merkel! Sie haben was vergessen!“ Merkel blickte seine Frau an, diese sah nur fragend zurück. Beide überlegten: Sie hatten doch alles dabei und überhaupt, woher sollten die beiden Fremden wissen, was ihnen fehle?! Merkel wandte sich den beiden Männern zu und wollte sie fragen, worauf sie anspielten. Da deutete einer der Beiden zunächst auf den vorderen Teil des Merkel’schen Dienstwagen und dann auf den hinteren Teil des Autos. Nun fiel es dem Ehepaar Merkel wie Schuppen von den Augen: Unbekannte hatten alle vier Räder entfernt und Merkels Wagen auf Holzpflöcken aufgebockt. Während sich die Merkels von Charly Neumann verabschiedet hatten, hatten S04-Fans ganze Arbeit geleistet. Der sonst so schlagfertig Wiener war angesichts dieses Werkes schmähstad. Das war eine echte Ansage ohne Worte. Seine Frau fing sich schließlich und meinte mit einem Grinsen: „Siehst du, Max! Die Leute wollen ja doch, dass du auf Schalke bleibst.“ Nun musste auch Merkel lachen. Er wusste schließlich, wer austeilen kann, der muss auch einstecken können.
Marie Samstag, abseits.at
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