Begeisternde Dortmunder: Julian Weigls Rolle beim BVB
Deutschland 23.September.2015 Rene Maric 0
Der BVB begeistert zurzeit Fans und Experten. Von allen Seiten gibt es Lob, ob der berauschenden Spielweise. Die Spieler wirken nach der schwachen Saison wie neu; alle scheinen hungriger, aggressiver und fitter als im Vorjahr. Dazu sind mit Thomas Tuchel nicht nur Veränderungen in puncto Ernährung, Trainingsmethodik und Taktik einhergegangen, sondern auch personelle. Diesen Sommer wurden einige Spieler verkauft oder verliehen, welche nicht zu Tuchels neuer Spielphilosophie passen oder schlichtweg nicht mehr dem Niveau des BVB genügten.
Es gab aber auch einige Neuverpflichtungen. Eine davon ist der junge Julian Weigl. Bei 1860 München galt er zwar als großes Talent, doch trotz der Vorschusslorbeeren wurde seine Leistung nicht immer entsprechend gewürdigt und war auch nicht so konstant, wie zurzeit.
Der BVB hilft
Nur wenige haben sich deswegen die Leistungen Weigls und den damit einhergehenden Stammplatz – trotz Konkurrenz wie dem ehemaligen Nationalspieler Sven Bender oder Multimillionen-Neuzugang Gonzalo Castro – erwartet. Eigentlich galt der Transfer Weigls als Perspektivkauf. Weigl sollte langsam in die Mannschaft wachsen, womöglich noch in der zweiten Mannschaft Erfahrung sammeln und nur als Rotationsspieler in die Mannschaft rücken. Das Gegenteil ist der Fall: Von Beginn an erhielt Weigl das Vertrauen Tuchels.
Das Beispiel Weigl zeigt auch die dynamische Natur des Fußballs. Bei einer schwächeren Mannschaft und in einem anderen System hätte Weigl womöglich durchaus noch Anlaufprobleme. In der Dortmunder Struktur profitiert er vom System (und den Mitspielern) ebenso wie das System von ihm. Durch Nebenmann Ilkay Gündogan und Vordermann Shinji Kagawa im leicht asymmetrischen 4-1-4-1/4-2-3-1-Hybridsystem hat er als intelligenter, aber physisch schwacher Passspieler immer zwei Anspielstationen, die den Ball auch unter Druck hervorragend behaupten können.
Weigl ist zwar durchaus gut in der Ballbehauptung, weil er mit seiner guten Raumfindung und einfachen Körpertäuschungen den Ball kurz halten und Gegner ausmanövrieren kann, doch direkt unter Druck ist es erfolgsstabiler den Pass zu spielen – und im Gegensatz zu vielen anderen findet Weigl diesen nicht nur, sondern hat auch die Mitspieler, welche im passenden Moment diese Anspielstationen generieren.
Allerdings sind es natürlich nicht nur die Nebenmänner, welche Weigls Leistung schaffen.
Deutschlands Antwort auf Sergio Busquets?
Der Vergleich ist natürlich übertrieben, doch rein vom Spielertypus gibt es einige Gemeinsamkeiten zu Sergio Busquets. Weigl verfügt über einen sehr ausgeprägten Sinn für offene und geschlossene Räume. Dadurch bewegt er sich sehr intelligent, verschiebt geschickt mit ein paar Schritten in offene Räume, um den Ball drucklos empfangen zu können oder kann vom Gegner verschlossene Räume auf dieselbe Art und Weise aufbrechen. Bei Bedarf kippt er zwischen Außen- und Innenverteidiger auf links heraus, sichert die Vorstöße Hummels ab oder geht in die Mitte, um das Aufrücken Gündogans und/oder Kagawas Zurückfallen auf halblinks zu balancieren.
Dazu hält Weigl den Ball selten lang. Busquets‘ womöglich größte Stärke ist seine extreme Handlungsschnelligkeit bei weiterhin technisch hochwertiger Umsetzung, wodurch er auch schwierige Anspiele mit nur einer Ballberührung präzise zu freien Mitspielern weiterleiten kann. Barcelona im Sechserraum zu pressen ist dadurch enorm schwierig und früher oder später finden die Katalanen den freien Mann im Mittelfeld.
Weigl ist natürlich nicht auf dem Niveau Busquets‘, doch in diesen Fähigkeiten ebenfalls weit überdurchschnittlich. Seine geringen Ballkontaktzeiten, seine gute Entscheidungsfindung, seine Mischung aus simplem Spiel und dem Verständnis komplexer taktisch-strategischer Zusammenhänge sind für einen Spieler seines Alters beeindruckend.
Diese Fähigkeiten sorgen auch für seine Schlüsselrolle im System des BVB unter Thomas Tuchel.
Busquets in Tuchels Positionsspieläquivalent?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Tuchel in den letzten Monaten verstärkt mit Josep Guardiola zum fachlichen Austausch getroffen hat. Vorrangiges Thema: Das konzeptionelle Positionsspiel oder „Juego De Posición“. Wie müssen die Abstände der Spieler zueinander sein? Wie generiert man offene Räume? Wie werden sie besetzt und der Raum letztlich gewonnen? Wie sehen die Nachschiebebewegungen aus, wie überwindet man Linien mit Läufen? Ewige Diskussionen scheinen gefruchtet zu haben – im Vergleich zu seiner Mainzer Zeit scheint Tuchels Mannschaft dieses Mal deutlich sauberer, dynamischer und effektiver beim eigenen Ballbesitzspiel.
Das Spielermaterial ist nicht ausschließlich Ursache dafür; die Abstände sind schlichtweg besser, die Entscheidungsfindung ist kohärenter und die Bewegung im Raum hervorragend. Ein Faktor ist aber eben auch Julian Weigl und seine Position gehört zu den interessantesten im System.
Als linker Sechser besetzt er nominell die gleiche Position wie Ilkay Gündogan, nur auf der anderen Seite der Mitte. Im Spiel sind sie aber selten auf der gleichen Höhe anzutreffen. Gündogan positioniert sich vielfach schon im Aufbauspiel etwas höher, in der Endphase der Angriffe steht er ohnehin deutlich zentraler und ist mit Ball am Fuß deutlich präsenter, weil er auch mit Ball am Fuß nach vorne schiebt, Dribblings sucht und Pässe in Strafraumnähe verteilt.
Weigl hingegen hält sich zurück, schiebt häufig in der Endphase eigener Angriffe in Richtung Mitte und verhält sich dann oft wie eine alleinige Sechs. Er sichert die Angriffe ab und fungiert als Anspielstation nach hinten. Dies erlaubt Gündogans Aufrücken und Omnipräsenz, wodurch beide sehr viele Ballkontakte haben. Gleichzeitig teilen sich Gündogan und Kagawa in der Linie vor Weigl die Halbräume auf. Kagawa gibt im linken offensiven Halbraum die Verbindungen, Gündogan im rechten.
Diese Rolle entspricht verblüffend jener Aufgabenteilung Barcelonas 2010-2012. In dieser Zeit spielten Xavi und Iniesta immer seltener auf einer Höhe, Iniesta besetzte den linken offensiven Halbraum schon früher und höher, während Xavi eher aus dem rechten Halbraum nach vorne stieß. Busquets pendelte zwischen einer Position als alleiniger Sechser und halblinker Sechser mit Xavi neben sich. Allerdings waren hierbei die Abläufe natürlich etwas anders, dazu gab es eine andere Zielsetzung in diesen Bewegungen, die Defensivstruktur war anders und man hat beim BVB keine falsche Neun, dafür aber anders eingesetzte Flügelstürmer. Die reine Mittelfeldaufteilung ist dennoch verblüffend ähnlich.
Ein Kandidat für die Nationalmannschaft
Tuchel hat beim BVB in kurzer Zeit eine beeindruckende Mannschaft geschaffen; auf Augenhöhe mit den besten Klopp-Teams der letzten Jahre. Mit Julian Weigl ist hierbei eine Überraschung in der Stammelf aufgetaucht, die sich trotz geringer Erfahrung festspielen konnte. Seine Leistungen sind hervorragend – und langfristig könnte er auch beim DFB eine solche Rolle übernehmen.
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Rene Maric
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