Borussia Dortmund ungewohnt fehleranfällig: Schalke 04 triumphiert im Revierderby
Deutschland 29.September.2014 David Kühhas 0
Die Kugel rollt in der 1. deutschen Bundesliga. Mit Spannung gilt es zu beobachten, ob es dem BVB, Schalke, Bayer 04 oder den „Wölfen“ aus Wolfsburg gelingt, den Titelkampf offen(er) zu gestalten. Traditionell schwächeln die Bayern in Spielzeiten nach Weltmeisterschaften ein wenig. Welches Team mausert sich zur Überraschung der Saison 2014/15? Der Abstiegskampf verspricht ebenso hohen Unterhaltungswert und wird die eine oder andere dramatische Geschichte schreiben.
Das Duell der Rumpfkader
Das 145. Revierderby stand ganz im Zeichen der Verletzten. Sowohl auf Seiten der Hausherren, als auch bei den Schwarz-Gelben fehlten etliche Leistungsträger. In beiden Lagern ist die Zahl an Rekonvaleszenten momentan außergewöhnlich hoch. In den Reihen des Vizemeisters feierte Abwehrchef Mats Hummels sein Startelfdebüt dieser Spielzeit. Überraschenderweise verordnete Jürgen Klopp Shinji Kagawa eine Pause, der japanische Rückkehrer und einstige Derbyspezialist nahm vorerst nur auf der Bank Platz.
Bei den Gelsenkirchner kehrte der zuletzt Gelb-Rot gesperrte Kevin-Prince Boateng in die Anfangself zurück, von der 6er-Position aus sollte der 27-Jährige die Angriffe der Keller-Elf injizieren und die vor ihm im 4-2-3-1 agierende Dreierreihe Choupo-Moting, Meyer und Sidney Sam mit Bällen füttern. Im Sturmzentrum agierte, wie gewohnt, Klaas-Jan Huntelaar. Jürgen Klopp hingegen setzte auf ein klassisches 4-4-2 mit den beiden Spitzen Ramos und Immobile, die Besetzung auf der Doppelsechs stellte mit Ginter und Bender ein erstmaliges Experiment dar. In der Viererkette erhielt der junge Durm erneut den Vorzug vor Marcel Schmelzer.
Schalke bissiger und frischer
Die Schalker erwischten den klar besseren Start, vor allem Choupo-Moting stellte seinen direkten Gegenspieler Piszceck immer wieder vor erhebliche Probleme. Den ‚Königsblauen‘ gelang es oft, das Mittelfeld schnell zu überbrücken, die neuformierte Doppelsechs Ginter und Bender hatte im Zentrum nicht den gewünschten Zugriff. Dies lag unter anderem auch daran, dass der BVB nicht wie gewohnt sein extrem energisches Pressing aufzuziehen vermochte, die gegnerischen Verteidiger so relativ unbedrängt und in Ruhe Zuspiele ins Mittelfeld anbringen konnten.
Dort agierte Kevin-Prince Boateng als Ballverteiler in Spiellaune, er versorgte die Teamkameraden mit brauchbaren Bällen, füllte die Chefrolle im Zentrum mit Bravour aus. Allgemein waren die Löcher zwischen Mittelfeld und Verteidigung beim BVB zu groß, die Verteidigung geriet einige Male in die Bredouille, weil die Schalker ohne lange zu fackeln, meist den direkten Weg zum Tor suchten und ihn auch fanden.
Das Gros der Schalker Angriffe wurde über links vorgetragen, der früh angeschlagene Piszcek erhielt gegen den quirligen Ex-Mainzer Choupo-Moting zu wenig Unterstützung von Vordermann Aubameyang. Vorstöße über diese Seite führten letztlich zu jenen Eckbällen, die dem BVB zum Verhängnis werden sollten.
Individueller Fehler bei Standardsituation
Aogo mit dem Corner, Joel Matip trickst Hummels aus, und köpft, begünstigt durch den Patzer des Weltmeisters, der die Orientierung verliert, aus fünf Metern Entfernung freistehend zum auf Gelsenkirchen umjubelten frühen 1:0 ein. Das Comeback verlief unglücklich für den Dortmunder Abwehrchef, auch als spielmachender Innenverteidiger konnte er lediglich selten Akzente setzen. Nicht nur, dass die Dortmunder dem Erzrivalen zu viel Zeit und Raum gewährten, sie luden die „Knappen“ förmlich zum Toreschießen ein. Nach sensationeller Weidenfeller-Parade, der Routinier entschärfte einen Huntelaar-Kopfball aus kurzer Distanz, fabrizierte Ramos einen völlig unerklärlichen, riesigen Bock: komplett überhastet und ohne jede Not schlug er das Leder wieder in Richtung Zentrum, mitten in den Sechzehner. Er machte so einen an sich „toten Ball“ wieder gefährlich. Choupo-Moting, dem sich unverhofft diese Chance aus kürzester Distanz auftat, ließ sich nicht zweimal bitten: 2:0 nach 23 Minuten. Ein derartiger Aussetzer wird nicht nur in der Bundesliga unweigerlich bestraft, sondern treibt wohl auch jedem 2.–Klasse-Trainer die Zornesröte ins Gesicht.
Die beiden „unzähmbaren Löwen“ im Dress der Schalker erzielten die Treffer, doch der komfortable Vorsprung war nur von kurzer Dauer. Ramos setzt sich mit einer Energieleistung am Flügel durch, bringt die Hereingabe in den Rücken der Abwehr, Fährmann hat beim abgefälschten Versuch des völlig freistehenden Aubameyang keine Chance. Der BVB ist wieder dran, hat aber ansonsten offensiv in der ersten Hälfte herzlich wenig vorzuweisen und stellt die Schalker Defensive vor keinerlei Probleme. Piszceks Mischung aus Schuss und Flanke bringt Fährmann kurz vor der Pause nicht in Verlegenheit. In der Vorwärtsbewegung offenbaren die Dortmunder ungewohnte Schwächen, die hohe Fehleranfälligkeit spielt Schalke in die Hände, viele Ansätze versanden schon im Mittelfeld. Der Halbzeitstand ist für den BVB wohl noch das Beste am Spiel.
Kagawa bringt ein Plus an Dynamik ohne zwingend zu werden
Die Klopp-Elf zeigt sich im zweiten Spielabschnitt deutlich verbessert, nimmt das Heft des Handelns in die Hand. Aus der Feldüberlegenheit resultieren aber nur selten richtig zwingende Aktionen. Aufopferungsvoll kämpfende Schalker fallen nach der Pause merklich ab, können kaum noch Entlastungsangriffe injizieren, stemmen sich aber mit aller Kraft gegen den Ausgleich. Dem BVB fehlt bei seinem Sturmlauf auf das Schalker Gehäuse ein klares Konzept und die Kombinationsfreude leidet merklich unter den Ausfällen. In Summe kann ‚Königsblau‘ seine Verletztenliste besser kompensieren als der Erzrivale, die Einwechslung von Kagawa belebt das Spiel der Schwarz-Gelben aber merklich. Durch die Hereinnahme des Japaners ist mehr Ordnung im Offensivspiel und der Zug zum Tor erhöht sich. Ramos verpasst Kagawas Zuspiel nur um Zentimeter, ein fälliger Elfer wird dem Kolumbianer nach Foul von Matip verweigert. Die Schlussphase bringt nichts Zählbares mehr ein, Huntelaar bietet sich mit der letzten Aktion des Spiels gegen eine völlig aufgelöste BVB-Defensive noch die große Möglichkeit auf das 3:1, Weidenfeller kann sich auszeichnen.
Fazit
Die „Knappen“ feiern einen verdienten Derbysieg, der BVB leistet sich zu viele grobe Schnitzer. Schalke spielt couragiert und mutig, weiß die gegen Dortmund ungewohnt großen Räume gut zu nutzen und überzeugt in Hälfte eins mit schnellem, schnörkellosem, auf den Endzweck ausgerichteten Fußball. Nach dem Seitenwechsel kommt der BVB zwar etwas auf, doch die ‚Königsblauen‘ verteidigen mit Kampfeskraft und Geschick, sodass hundertprozentige Torchancen für die Gäste ausbleiben.
Aubameyang und Co finden nicht zu ihrem gewohnten Powerfußball, können die Schalker so nur selten ins Wanken bringen. Der BVB wartet nun schon seit drei Partien auf einen vollen Erfolg, hat mit elf Gegentoren einen wenig zufriedenstellenden Schnitt an Verlusttreffer von fast zwei pro Spiel zu verdauen. Nur auf Rang zwölf liegend findet man sich nach sechs Spieltagen in ungewohnten Tabellenregionen wieder. An der Rückerlangung der defensiven Grundstabilität muss Klopps Team sicher arbeiten, die Situation wird sich aber wohl bessern, sobald sich endlich einmal eine Viererkette wirklich einspielen kann und die Akteure verletzungsfrei bleiben. Die größte Chance auf einen Punktezuwachs und die Wende im Spiel behielt ihnen zwar Referee Gagelmann vor, doch wem solche Aussetzer in der Verteidigung unterlaufen, der kann aus Gelsenkirchen einfach keine Punkte entführen. Besonders süß dürfte dieser Prestigetriumph Jens Keller schmecken, der damit den BVB hinter sich lässt und nach all den Unkenrufen zu Saisonbeginn Genugtuung verspüren dürfte.
David Kühhas, www.abseits.at
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