Borussia Dortmunds Formtief – Das schwere Leben einer Pressingmaschine
Deutschland 22.Dezember.2013 Leonard Dung 0
Im Mai 2013, vor dem Finale der Champions League, propagierte Jürgen Klopp die Abkehr vom „Dominanzfußball“. Der BVB wollte sich wieder stärker auf seine ureigenen Tugenden, Pressing und Umschaltspiel, besinnen. Heute erkennt man die Konsequenzen dieser Zielsetzung.
In der Transferperiode wurde der Weg zur Fokussierung aufs Konterspiel geebnet, da die Schwarzgelben Götze unfreiwillig nach München ziehen lassen mussten. Er verfügt über eine grandiose Ballbehandlung, die kaum jemand toppen kann. Mit Mkhitaryan ersetzt ihn ein weniger filigraner Akteur, der dafür dem Ideal des schnörkellosen Konterspielers entspricht. Er hat extrem kurze Ballbesitzzeiten, ist sehr geschickt im Pressing und strahlt Torgefahr aus, Götzes Genialität lässt er jedoch vermissen.
Mit Bittencourt und Leitner verließen zwei Spieler den BVB, die eher dazu neigen, den Ball lange zu führen. Im Gegenzug erhielt Hofmann verstärkt Einsatzchancen. Er beherrscht den Ball gut und zeichnet sich ebenfalls durch seine direkte Art aus. Um für Steilpässe anspielbar zu sein, legt er weite Wege zurück. Diese Vertikalität ist beim zweiten großen Offensivzugang noch viel markanter ausgeprägt. Pierre-Emerick Aubameyang wird von jedem Kommentator mindestens ein Mal pro Spiel für seine herausragende Sprintgeschwindigkeit gelobt, die seine Konterstärke begründet. Im Kombinationsspiel plagen ihn jedoch noch Defizite. Die Taktik des BVB ist darauf ausgelegt durch weit ins Zentrum tendierende Flügelspieler Überzahl zu schaffen, allerdings müssen sich die Flügelspieler dafür in den engen Räumen der Spielfeldmitte zurechtfinden.
Zudem wurde das Pressing flexibler gestaltet. Aus dem klareren 4-4-2 der Vorsaison wurde ein Gebilde, das sich durch überraschendere Verschiebungen auszeichnet. Es können sich ein 4-3-3, 4-3-1-2, 4-2-4, 4-4-1-1 oder 4-4-2 bilden. Zudem setzen sie häufig auf eine Pressingfalle, bei der Mkhitaryan sich hinter Lewandowski positioniert, während der Kontrahent im Halbraum den Ball führt. Während der ballnahe Flügelspieler sich zum Ball orientiert, deckt der ballferne den gegnerischen Außenverteidiger. Daher entsteht ein großer Raum im ballfernen Halbraum, den Mkhitaryan mit seinem Deckungsschatten versperrt. Aufgrund der klaffenden Lücke wird der Gegner dennoch verleitet, einen riskanten Pass hineinzuspielen. Wenn es gelingt, diesen abzufangen, kann Dortmund durch den freien Raum kontern.
Das aggressive und kompakte Pressing und Gegenpressing ist weiter ein essentieller Baustein der Taktik. In der Offensive sucht die Mannschaft ihr Heil mit schnellem Spiel in die Spitze, weswegen ihr durchschnittlicher Ballbesitz auf 54% und ihre Passpräzision auf 79% geschrumpft sind. Das sind angesichts ihrer Mannschaftsstärke und ihres Pressings keine hohen Werte, in der Vorsaison betrugen sie noch 56% und 81% Prozent.
In dieser Saison versucht die Mannschaft vor allem über den rechten Flügel Tore zu erzielen. Sie spielen 30% Prozent der Angriffe über links, 29% durchs Zentrum und 41% über rechts. Reus driftet deswegen vom linken Flügel oft bis auf die gegenüberliegende Seite, um Überzahl zu schaffen. Dazu spielt der Rechtsverteidiger Großkreutz offensiver als sein Pendant auf der anderen Flanke. Außerdem weicht auch Lewandowski oft auf die Flügel aus.
Ein entscheidender Faktor für die Offensivprobleme, die die Mannschaft am Ende der Hinrunde heimsuchten, sind die Verletzungssorgen. Der Stammrechtsverteidiger Piszczek fiel lange aus, dementsprechend konnte er nicht unverzüglich an seine alte Form anknüpfen. Die etatmäßige Innenverteidigung, Subotic und Hummels, musste ebenfalls ersetzt werden. Schwerer wiegt aber der Ausfall von Gündogan. Sahin ist zwar ein guter Spieler, aber ein anderer Spielertyp. Er ordnet das Spiel gerne aus der Tiefe, um von dort seine langen Pässe zu schlagen, während Gündogan dank seiner Dynamik, Reaktionsschnelligkeit und Agilität weiter vorstößt, um zusätzlich am Strafraum Torchancen zu initiieren.
Jürgen Klopp erhoffte sich mit der Abkehr vom „Dominanz-Fußball“ eine Rückbesinnung auf die alten Stärken. Aber das, was die Stärke der Borussia in ihrer besten Zeit, der Rückrunde 2011/12, ausgemacht hat, waren nicht nur Pressing und Umschaltspiel, sondern auch die Fülle an Kreativspielern, die Situationen auf engstem Raum lösen konnten. Damals besaß Dortmund mit Götze, Kagawa und Gündogan drei davon, so dass sie alle gegnerischen Defensivbollwerke knacken konnten. Nun sind zwei gegangen und Gündogan verletzt, weswegen die Kreativität teilweise versiegt ist. Ersetzt wurden sie durch hervorragende Konterspieler, die jedoch weniger Spielwitz versprühen.
Klopp versuchte das abzufedern, indem er Reus eine dominantere Rolle verschaffte. Letzte Saison spielte er in der Liga durchschnittlich 30 Pässe, mittlerweile schafft er über 33 Zuspiele. Er lässt sich öfter fallen, um den Spielaufbau anzukurbeln und spielt mehr tödliche Pässe. In der vergangenen Saison gingen von ihm 1,8 „Key passes“ pro Spiel aus, in dieser Saison 2,7. Trotzdem reichte das nicht aus, das Kreativdefizit auszugleichen. Zudem mangelt es manchmal an einem Spieler, der nicht sofort den Weg in die Spitze anvisiert, sondern das Spiel situativ verlagert oder beruhigt. Die Dortmunder versuchen sehr schnell, Lewandowski einzusetzen, der jedoch von den Innenverteidigern bekämpft wird und somit nur begrenzte Möglichkeiten besitzt, den Angriff zu planen.
Daher plagen Dortmund Probleme gegen tiefstehende Mannschaften, wenn es diesen gelingt, Fehlpässe im Spielaufbau zu vermeiden. Dann trägt der BVB Angriffe manchmal zu direkt und einfallslos vor, wobei sie sich auf die Schnelligkeit ihres Offensivpersonals verlassen. Anstatt durch geschickte Kombinationen Raumgewinn zu erzielen, schicken sie die Stürmer häufig in aussichtslose Laufduelle. Dennoch zählt Borussia Dortmund weiterhin zu den Topmannschaften Europas, aber um in der Liga die Konstanz vergangener Tage zu erzielen, müssen offensiv die Kreativität erhöht und die Hektik überwunden werden. Dafür müssen sich die Neuzugänge anpassen, Gündogan genesen, und eventuell ein passender Kreativspieler verpflichtet werden. Dann ist es möglich, dass der BVB nicht nur als Umschalt-, sondern auch als Ballbesitzteam das höchste Niveau erreicht.
Leonard Dung, abseits.at
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