Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (40): Lieber Jürgen Klinsmann!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an einen Ex-Spieler, den sie einst „Flipper“ nannten …

Lieber Jürgen Klinsmann!

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Kurz nach deinem Amtsantritt als Trainer bei Hertha BSC Berlin hast du die „falsche“ Handyhülle gehabt, jetzt ist herausgekommen, dass deine Trainerlizenz nicht mehr gültig ist. Flugs hast du die notwendigen Dokumente auf den letzten Drücker noch nachreichen können, jetzt wartet der Ligakracher gegen Bayern auf dich. Schlagzeilen in der Presse machst du also nicht mit den acht Punkten aus fünf Spielen, sondern mit „Nebengeräuschen“. Das ist interessant. Wird sich in Fachkreisen doch oft mit „Aufs Sportliche kommt es an“-Sagern in Trance getanzt. Bei dir scheint man sich aber auf jeden faux pas abseits des Platzes zu stürzen, wie sich nur ein Cristiano Ronaldo auf einen ruhenden Ball stürzt.

Lieber Jürgen, ich erinnere mich noch an die Zeit, als du Trainer beim FC Bayern München wurdest: Das war letztendlich eine kurze und unglückliche Ehe. Die Roten haben vieles nach deinen Vorstellungen umgebaut und dann doch die Reißleine gezogen. Irgendwie war der bayerische Konservatismus für deine innovativen Ideen und die Mischung aus Reform und Rebellion nicht bereit. Dabei hast du durch die Umstrukturierungen, die du im DFB-Team angestrengt hast, dazu beigetragen, dass dein Heimatland später in Brasilien Weltmeister wurde. Dein und der (Wieder)aufstieg der DFB‑Elf begann nämlich mit dem Sommermärchen 2006. Doch im Fußball wird schnell vergessen.

Mit der Endrunde von vor 14 Jahren wirst du zwar immer noch in Verbindung gebracht, dennoch gibt es Spötter bei denen du vorwiegend als „Kalifornien-Jürgen“ mit Videokonferenzen, buddhistischem Positivismus und dem Hang zu Fettnäpfchen firmierst. Diesen Übelmeinenden gibst du jetzt wieder Zunder, weil du eine als unlösbar geltende Aufgabe gewählt hast.

Du willst dem Hauptstadtklub neuen Glanz verleihen. „Die Arbeit mit der Hertha ist keine kurzfristige.“, hast du bei deiner Antrittspressekonferenz gesagt. Das mag stimmen, doch du weißt, wie schnell es im modernen Fußball gehen kann. Drei, vier schlechte Ergebnisse und weg ist der Trainer. Du bist sehr an neuen Herangehensweisen interessiert, aber kein Taktikfuchs. Du bist ein Trainer, der mittels seiner Persönlichkeit auf die Mannschaft einwirkt und so Erfolg hat. Du hast den Fußball in den USA populärer gemacht, mit der Amitruppe international gut mitgehalten. Du stehst für eine Mischung aus alter Schule und neuem Esprit. Es wäre schön, wenn man in Zukunft den Fokus auf diese Aspekte deiner Laufbahn legen würde.

Das wünscht (sich und) dir

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag