Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (84) –  Lieber Jogi Löw!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an den (noch) amtierenden DFB-Bundestrainer…

Lieber Jogi Löw!

14 Jahre bist du nun schon Teamchef der DFB-Nationalmannschaft. Das ist eine lange Zeit. Vor 14 Jahren war ich selbst noch Schülerin und die deutsche Fußballnationalmannschaft stand nach der Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaftsendrunde im eigenen Land auf Platz 9 der FIFA‑Weltrangliste. Damals machte dir Jürgen Klinsmann den Platz auf der Trainerbank frei. Eben jener Jürgen Klinsmann, der jetzt sagt, er sehe weder einen Grund zur Panik noch für einen neuen Trainer. Da ist der gebürtige Baden-Württemberger momentan allerdings einer der wenigen deutschen Fußballkenner, die diese Meinung vertreten.

Lieber Jogi, Helmut Schulte hat einmal gesagt, wenn ein Trainer seinen Vertrag unterschreibt, unterschreibt er gleichzeitig seine Entlassung. Es kann leider nicht ewig gutgehen. Der ein oder andere Coach schafft es, kurz bevor das Licht ausgeht selbst um eine Vertragsauflösung zu bitten. Manchmal werden Trainer aber auch überraschend vor die Türe gesetzt. In fast allen Fällen läuft es jedoch schon einige Spiele lang nicht rund: Wenn Medien und Fans unruhig werden, muss der Trainer ‑ den Mechanismen im Fußball folgend ‑ als schwächstes Glied seinen Hut nehmen. In deinem Fall wäre eine Entlassung besonders bitter, schließlich hast du ‑ bis zur enttäuschenden Endrunde in Russland ‑ deine Mannschaft stetig gesteigert und 2014 den vierten Stern (mit)geholt. Aktuell kannst du dir von diesen Erfolgen aber wenig kaufen. Für viele Deutsche bist du im Moment der Buhmann der Nation.

Lieber Jogi, ich verstehe nicht, dass viele die Kritik an dir an jener Entscheidung festmachen, mit der du Hummels, Boateng und Müller endgültig aus der Auswahl gestrichen hast. Du sagtest damals, es sei Zeit einen neuen Weg zu beschreiten. Selbst Jürgen Klinsmann, der dir ja die Stange hält, meint nun, es fehle an Führungsspielern. Aber so ist nun mal Fußball ‑ auf den Leistungszenit folgt der Umbruch und der Generationswechsel: Neue, junge Spieler müssen sich erst zu einem Team zusammenfinden, Erfahrungen sammeln, ehe es – mit einer gehörigen Portion Glück – zum großen Coup reicht. Leadertypen kristallisieren sich heraus. Klar, eine 0:6‑Niederlage gegen Spanien ist eine richtige „Schraub‘n“, die nicht nur weh tut, sondern auch peinlich ist. Aber – nicht vergessen – selbst „diese“ Furia Roja scheiterte als amtierender Weltmeister einst mit Pauken und Trompeten in der Gruppenphase der Endrunde 2014. Du selbst scheinst das zu wissen und gibst an, dass die Probleme tiefgründiger sind und nicht nur mit drei ausgebooteten Spielern gelöst werden können.

Ich finde es respektlos, wie dich jetzt beinahe der gesamte Sportjournalismus in die Pension schicken will. Mut sollte belohnt werden. Für mich jedenfalls ist es inspirierend, dass du dich nicht am Höhepunkt des Erfolges zurückgezogen hast, sondern weitergemacht hast, obwohl du wusstest, dass du einen WM-Sieg wohl nur schwer toppen kannst. Klar ist, dass man viel an deiner Arbeit kritisieren kann und muss. Sicher ist auch, dass irgendwann eine Frischzellenkur auf der DFB-Trainerbank durchgeführt werden muss. Zu einer neuen Mannschaft gehört auch ein neuer Trainer, der frische Impulse gibt. Ich hoffe, dass du weise genug bist zu wissen, wann es genug ist. Das wünscht dir

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag