Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (96) –  Lieber Karl-Heinz Rummenigge!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an den Vorstandsvorsitzenden der FC Bayern München AG…

Lieber Karl-Heinz Rummenigge!

Oft wirft man euch Fußballern und Fußballfunktionären vor, dass ihr längst die Bodenhaftung verloren habt: Ihr würdet in einer Blase leben, keine Ahnung von den Alltagsproblemen sogenannter „normaler Menschen“ haben. Gleichzeitig werdet ihr oft, als Millionäre, die wissen wo sie herkommen bezeichnet: Schließlich sind die meisten (Ex-)Kicker in einfachen Verhältnissen großgeworden, mussten sich ihre Erfolge hart erarbeiten und kennen die Entbehrungen, die eine derartige Kindheit und Jugend mit sich bringt. Es ist also ein stetiger Spagat zwischen zwei Polen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Deine jüngst getätigten Aussagen, man solle Profi-Fußballer doch beim Corona-Impfen vorziehen, da sie eine wichtige Vorbildfunktion für die Gesellschaft hätten, kann man getrost erster Kategorie zurechnen: Sie scheinen von jemandem zu stammen, der den Blick für das Wesentliche verloren hat.

Lieber Karl-Heinz, lieber Kalle, ich weiß, Bayern-Funktionär zu sein ist nicht leicht. Es ist – genauso wie oben Gesagtes – ein stetiger Spagat: Zwar hat man zum einen viel Erfolg, zum anderen aber auch viel Druck diesen zu erreichen. Die „Mia san mia“- Siegermentalität, die jeder von der FCB-Klofrau zum FCB-Spieler, vom Ticketverkäufer bis zum Sportdirektor verkörpern muss, kann sich schon einmal ungut auswachsen. Mit dir sind die Pferde schon öfters durchgegangen, sei es die peinliche „Grundgesetz-Pressekonferenz“ oder der aufgedeckte Uhrenschmuggel.

Ganz ehrlich, deine Forderung bezüglich der Corona-Schutzimpfung ist einfach nur peinlich. Du hast argumentiert, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Impfung wachsen würde, wenn sich „beispielsweise“ ein Spieler des FC Bayern impfen lassen würde. Aktuell wollen sich rund 60% aller Deutschen jedenfalls (!) gegen das Coronavirus impfen lassen, also jeder Zweite. Von welcher notwendigen Vorbildfunktion sprichst du?

Lieber Kalle, dein Tunnelblick ist fragwürdig, wie auch jene Geschichte beweist, die der kuriosen „Impfforderung“ vorausging: Hinter der Nicht-Erteilung einer Sondererlaubnis wegen des Nachtflugverbotes witterten du und Uli Hoeneß Dolus Malus eines Verantwortlichen der Flugsicherung. Zitat: „Wir fühlen uns von den zuständigen Stellen bei der brandenburgischen Politik total verarscht. Die Verantwortlichen wissen gar nicht, was sie unserer Mannschaft damit angetan haben.“ Hoeneß sprach von einem „Skandal ohne Ende“. Nicht böse sein, Kalle, aber eine Reise kann schon mal ein bisschen holpriger ablaufen. Außerdem solltest du nicht vergessen, dass es nicht um Krieg und Frieden oder ähnlich schwerwiegende öffentliche Interessen geht, sondern um ein Fußballturnier für das sich so gut wie niemand interessiert in einem Land mit – gelinde ausgedrückt- umstrittener Politik. Es geht um junge, topfitte Männer, denen sowieso jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird. Es geht um eine verschobene Regenerationseinheit. Mehr nicht. Das ist keine Staatsaffäre.

Lieber Kalle – um Fredi Bobic – zu zitieren: Sage was du denkst, aber denke vorher: Überlege, wer prioritär geimpft werden soll oder das (hoheitliche) Regeln eben auch für den FC Bayern gelten. Oder mach dir Gedanken darüber, was wirklich ein Skandal ist: Menschenrechtsverletzungen in Katar. Zum Beispiel.

Das rät dir

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag