Buchrezension | Sebastian Deisler – Zurück ins Leben (2/2)
Deutschland 17.Januar.2018 Marie Samstag 1
Nachdem wir gestern Sebastian Deislers Kindheit und ersten Schritte als Profi beleuchtet haben, sehen wir uns nun an wie seine kurze Karriere weiterverlief.
„Er wollte zu viel.“
Die Rechnung mit nicht auskurierter Knieoperation zu spielen, bezahlt Sebastian Deisler mit dem Versäumen der Weltmeisterschaft 2010. Er verletzt sich bei einem Zusammenstoß im Freundschaftsspiel gegen Österreich erneut schwer. Sein Arzt, Dr. Steadman, empfiehlt ihm ein halbes Jahr lang keinen Fußball zu spielen. Für den 22-jährigen bricht eine Welt zusammen: Fußball ist alles was er hat. Er habe, seine ganze Anerkennung aus dem Sport gezogen und wollte nach der Sache mit dem Scheck so schnell wie möglich auf den Platz zurück, erzählt Deisler. Mit Glück oder Pech hat der Unfall wenig zu tun, der Körper glich sich vermutlich seiner kranken Psyche an. In der Reha versucht er sich Muskeln aufzuschupfen und redet sich psychisch stark. Im Training geht er extrahart in die Zweikämpfe um bei den Kollegen ja nicht als Memme zu gelten.
Am 4. Februar 2003 spielt Deisler erstmals für den FC Bayern und nach der Sommerpause stellt man in aller Öffentlichkeit Erwartungen an ihn: Sein Knie sei nun stabil, jetzt müsse er Leistung bringen.
Und tatsächlich spielt der Mittelfeldregisseur wie beflügelt. Seine Einstellung zur Fußballwelt hat sich jedoch nicht geändert: Er ist misstrauisch gegenüber den Schulterklopfern, den Journalisten, die nur marktschreierische Oberflächlichkeiten von sich geben und auch den Kollegen, die hinter vorgehaltener Hand verächtlich übereinander spotten.
Geschickt verknüpft Rosentritt seine Gespräche mit Deisler und dessen Biografie. Halb zurückhaltend, halb fordernd agiert der Reporter wie ein Tierfilmer: Er lässt Deisler erzählen, gibt Gedankenanstöße und versucht dessen Antworten so präzise wie möglich einzufangen. Das Buch wirkt wie mit einer Film-Noir-Kameraführung gedreht. Die beiden Männer treffen sich in Berlin – mal bei Deisler Zuhause, dann wieder im Café oder im Tiergarten.
Der Ex-Profi legt eine Art Lebensbeichte ab. Manchmal macht es den Leser schon stutzig, dass sich Deisler ständig benachteiligt gefühlt hat. Das Fundament um mit Talent, Anspruch, Hoffnungen und Erwartungen umzugehen, habe ihm gefehlt, diagnostiziert er bei einem Spaziergang. „Ein bisschen sauer“, sei er auf sein Knie, das nicht gehalten hat. Eine Lösung bietet das Buch nicht.
Im Herbst 2003 ruft Uli Hoeneß Sekretärin bei Deisler in Grünwald bei München an um einen Adidas-Termin zu koordinieren. Als sie den Chef mit dem Fußballer verbindet, sagt dieser nur: „Ich bin fertig. Ich brauch Hilfe.“ und legt auf. Hoeneß und Hitzfeld machen sich prompt auf den Weg und zwei Tage später checkt Deisler im Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie ein. Auf seinen Wunsch hin wird seine Depression öffentlich gemacht. Professor Holsboer beruhigt die Medien: „Ein Karriererisiko besteht nicht.“ Der Mittelfeldspieler wird mit Medikamenten und einer Gesprächstherapie behandelt. Die Presse strickt sich trotzdem wieder einmal ihre eigene Geschichte, demnach sei Deisler in die Fängen einer Psychosekte geraten oder Opfer eines obskuren Freundeskreises geworden. In einem Interview mit dem Tagesspiegel äußert sich der Fußballer zu den Vorwürfen und fordert von seinem Arbeitgeber eine Entschuldigung: Bayern hätte Privatdetektive auf seine engsten Freunde angesetzt. Erstmals lässt er auch anklingen, dass er mit dem Druck nicht mehr zurechtkomme.
Der damalige bayerische Ministerpräsident bezeichnet ihn als „eines der größten Verlustgeschäfte des FCB“ und meint, „er gehe davon aus, dass Deisler nie wieder für den FC Bayern spielt.“. Politisch wird Stoiber für diese unbedachte Äußerung hart kritisiert. Uli Hoeneß nennt die Aussage „unglücklich“. Doch Deisler kommt zurück und zwar „lockerer und offener“, wie Trainer Hitzfeld findet. Hitzfeld stammt ebenfalls aus Lörrach, ist mit Kilian Deisler bekannt und hat deshalb ein fast väterliches Verhältnis zu Sebastian. Damals ist dieser selbst gerade Vater eines Sohnes geworden und schöpft so neuen Lebensmut. Schon bei den Amateuren der Roten zeigt er seine Qualitäten und erzielt bei seinem ersten Spiel für die Profis gegen den SC Freiburg gleich ein Tor. In Absprache mit seinem Verein sagt er jedoch die Teilnahme an der EM in Portugal ab.
Der Himmel verdunkelt sich jedoch wieder, als Hitzfeld seinen Trainerposten räumen muss. Neo-Coach Felix Magath und Sebastian Deisler werden keine Freunde mehr: „Magath wollte mir einen festen Plan geben, wie ich auf der rechten Außenbahn zu spielen habe.“ Die Konsequenz: Deisler wird zum Back-Up, der Bonus des Supertalents ist weg. Selbst Mehmet Scholls Hilfe lehnt er ab: „Vom Ansatz her teilte ich seine Ansichten. Ich hatte aber bald das Gefühl, dass er mich an die Hand nehmen wollte. Ich ließ mich aber nicht an die Hand nehmen.“ Später bereut Deisler diese Einstellung, verflucht seine Eitelkeit, sich nicht helfen lassen zu wollen.
Der letzte Knacks
„Es ist ein Schock.”, muss Jürgen Klinsmann leise zugeben. Sebastian Deisler hat sich nach einem Zusammenstoß im Bayern-Training erneut am Knie verletzt. Es ist die siebente Operation – eine an der Leiste, die übrigen am Knie – für ihn. Professor Steadman weiß nicht, ob sein Patient jemals wieder professionell Fußballspielen kann. Die Reha wird die letzte seines Lebens. Als der Offensivsakteur im November in der zweiten Hälfte eingewechselt wird, dreht er die Partie und Bayern gewinnt nach einem 0:1-Rückstand noch mit 2:1. Schleifer Magath spricht von Hoffnungen auf eine Zukunft, doch am 16. Jänner 2007 eröffnet Uli Hoeneß eine spontane PK mit den Worten „Ich mache es kurz, Sebastian Deisler beendet seine Fußball-Karriere.” Die TV-Kameras fangen einen letzten ungelenken Gruß und die dicken Stirnfalten des Profis, der am Profigeschäft scheiterte, ein. Deisler redet sich auf sein Knie aus: „Klar, kann ich noch so ein bisschen mitspielen, aber mit der richtigen Freiheit ist es vorbei. Ich habe kein Vertrauen mehr in mein Knie.” Knackpunkt ist ein Mediengespräch während des Trainingslagers in Dubai: Als Deisler gefragt wird, wie es weitergehen soll, weiß er nicht so recht, was er antworten soll. Nur Stunden später teilt er Hoeneß mit, dass er seinen Vertrag auflösen möchte. Er mag nicht mehr – ohne Schmerzen geht es nicht mehr, er sieht keine Chance unter Magath ins zentrale Mittelfeld zu rücken, die Lust ist ihm schon lange vergangen.
Uli Hoeneß ist eine der Hauptfiguren in diesem Buch und in Deislers Karriere. Er nimmt sich Zeit für den sensiblen Profi und versucht ihm zu helfen. „Ich bin ihm dankbar, dass er mir zugehört und Verständnis gezeigt hat.” Selbst mitten in der Nacht kann Deisler bei ihm vorbeischauen und sie reden – in Pyjama und Bademantel – stundenlang. Doch auch Hoeneß kann dem Lörracher nicht helfen: „Er sagte zu mir: „Spiel einfach dein Spiel.”, aber ich konnte nicht mehr einfach so spielen. Ich spürte, dass ich mich maßlos überfordert hatte mit meinen Träumen.” Für Hoeneß ist es der fußballästhetische Super-Gau, ein Verlustgeschäft und eine menschliche Tragödie. Werte wie Verlässlichkeit, Fürsorge und Menschlichkeit würde es bei Bayern immer geben, solange der gebürtige Ulmer am Ruder sei, glauben Rosentritt und Deisler. Uli Hoeneß hat jedenfalls aus der Geschichte gelernt, er ist wohl der Einzige, der von ihr profitieren konnte. Schon bei Bastian Schweinsteiger und später noch bei Toni Kroos versucht der Bayern-Präsident öffentlichen Druck von den Jungstars fernzuhalten. Viele legten es ihm als Bösartigkeit aus, als Hoeneß dem heutigen Real-Taktgeber bei einem Spiel den Status des Matchwinners verweigerte, dabei hatte der mächtige Boss doch nur Deislers trauriges Schicksal im Hinterkopf.
Am 16. Jänner 2007 parkt Sebastian Deisler sein Auto nicht am Trainingsgelände, sondern ein paar Querstraßen weiter. Er verabschiedet sich von Hoeneß und fährt dann nachhause. Einzig Hasan Salihamidzic trifft er unterwegs, der ihn in den Arm nimmt. Ansonsten verweigert er jede Verabschiedung und meldet sich nie wieder bei seinen ehemaligen Arbeitskollegen. Er übersiedelt bald wieder nach Berlin – ohne Frau und Sohn. Die Schwere der Ereignisse hat seine kleine Familie zerstört.
Rosentritts Resümé ist logisch: „Sebastian Deisler ist ein bisschen an allem gescheitert: An seinem Knie, an seiner Verletzlichkeit im psychischen Sinn, insbesondere aber an den Begleiterscheinungen, die seinen rasanten Aufstieg bis hin zum Ausstieg rahmten, die jene Verletzlichkeiten vielleicht sogar hervorriefen, zumindest aber massiv verstärkten.”
Kurz nach dem Erscheinen dieses Buches erzählte Deisler der Zeit, dass er es für sich geschrieben hätte. Es sei Teil seines Heilungsprozesses, daher der Titel „Zurück ins Leben”. Nach der Lektüre bekommt man jedoch den Eindruck, dass Deisler die Geschichte immer noch nicht wirklich überwunden hat. „Ich weiß ja: Ich werde nie mehr etwas so gut können [wie Fußballspielen, Anmerkung].” War es Kismet? Schicksal? Von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Der Ex-Profi sieht es jedenfalls so. Auf die Frage, was er seinem 15-jährigen Ich heute raten würde, meinte er: „Dass er länger zu Hause bleibt. Dass er schon probiert, Fußballprofi zu werden, aber später, mit einem Fundament. Ich hätte mich mit weniger zufriedengeben sollen.” Aber das ist gar nicht so leicht in dieser Zeit der Superlative, wo alles immer jetzt, sofort und Weltklasse sein muss. Und wo jeder erwartet, dass ein Weg immer nur steil bergauf führt, wo Talent, die automatische Eintrittskarte zum Kampf gegen den Endboss ist. Womit wir wieder beim Thema wären…
Marie Samstag, abseits.at
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