Der feine Unterschied (7) – Stefan Kießling
Deutschland 23.Oktober.2012 Ral 1
In dieser Serie soll pro Bundesliga-Verein ein Spieler portraitiert werden, der im Vergleich zu den anderen Mannschaften, den Unterschied ausmachen kann. Hierbei sollen nicht nur die vermeintlich besten Fußballer, sondern auch die Führungspersönlichkeiten oder interessante Talente, von denen dieses Jahr der große Sprung erwartet wird, begutachtet werden.
Stefan Kießling (Bayer Leverkusen)
Es gibt Spieler in der deutschen Fußball-Bundesliga, die aus teilweise unerfindlichen Gründen oder längst widerlegten Vorurteilen, einen gewissen, eher wenig schmeichelhaften Ruf genießen. Der 28-jährige Stefan Kießling ist ein Paradebeispiel für diese Gattung Spieler. Dem Stürmer von Bayer Leverkusen heftet seit einigen Jahren das Image des Chancentods an den Stollen – eigentlich vollkommen unbegründet. Der gebürtige Franke ist saisonübergreifend mit insgesamt 17 Toren im Kalenderjahr 2012 der treffsicherste Angreifer der Bundesliga, neben Klaas-Jan Huntelaar, der in der Öffentlichkeit als der Prototyp des eiskalten Vollstreckers gilt.
Trotzdem würde in Deutschland wahrscheinlich so gut wie niemand Kießling in einem Atemzug mit Stürmern der Kategorie eines Huntelaar nennen; auch vom Bundestrainer wird der Leverkusener seit der WM 2010 weitgehend ignoriert. Kurioserweise wird nämlich scheinbar ausgerechnet eine normalerweise positiv konnotierte Eigenschaft zum Problem des Stürmers Kießling, ist dieser doch ein ausgewiesener Teamplayer. Er ist einer der am härtesten arbeitenden Stürmer, der sich während einem Spiel in Zweikämpfen aufreibt, weite Wege geht und so Löcher für seine Mitspieler reißt. Sicherlich ist Kießling kein besonders athletischer Spieler und seine Aktionen sehen manchmal etwas ungelenk aus, trotz allem ist er aber ein Instinktfußballer, der weiß, wie er sich im Strafraum zu verhalten hat und über die Lunge eines Dauerläufers verfügt.
Trotzdem wird dem Leverkusen-Stürmer in der deutschen Öffentlichkeit wenig Wertschätzung entgegengebracht. Woran das liegt, darüber kann nur spekuliert werden. An seiner Torquote kann es jedenfalls nicht liegen. An seiner Einstellung und seinem Einsatz auch nicht. Vielleicht ist der bodenständige Franke einfach nicht schillernd genug für die Gattung „Mittelstürmer“ oder seine uneigennützige Spielweise zu unspektakulär. Rationale oder sportliche Gründe hat der Mangel an Wertschätzung jedenfalls nicht. Aber damit muss Kießling wohl zu leben lernen, denn noch nicht mal 21 Tore in der Saison 2009/10 haben Jogi Löw dazu veranlasst, ihn bei der Weltmeisterschaft in Südafrika auch nur eine Sekunde spielen zu lassen, wobei er im Vorfeld der WM sogar lange auf der Streichliste für den endgültigen Kader stand.
Seine Karriere startet beim TSV Bamberg, ein Verein, der von seinem Opa mitbegründet wurde. Er entwickelt sich schnell zum größten Talent des Vereins. Die Scouts des fränkischen Vorzeigeclubs 1. FC Nürnberg werden auf den Jungen aufmerksam und Kießling wechselt mit 17 Jahren in die A-Jugend des „Clubs“. Nach guten Leistungen und 13 Toren in 21 Spielen für die zweite Mannschaft der Nürnberger debütiert der Angreifer 2003 in der Bundesliga. Nürnberg steigt nach dieser Saison jedoch in die zweite Liga ab, was für die Entwicklung Kießlings nicht unbedingt negativ ist, wird er doch in der darauffolgenden Saison zu einem festen Bestandteil des Profiteams der Franken. Der Durchbruch gelingt dem Familienmenschen in der Saison 2005/06. Kießling erzielt in der Bundesliga zehn Tore und gibt zusätzlich noch vier Vorlagen. Viele Topclubs, darunter auch der FC Bayern, buhlen um die Dienste des Sturmtalents. Letztlich bekommt Bayer Leverkusen den Zuschlag, für die er bisher 194-mal auflief und dabei starke 78 Tore und 33 Vorlagen lieferte. Werte eines Bundesliga-Topspielers.
Auch diese Saison ist Kießling, neben Gonzalo Castro, der beste Feldspieler der Leverkusener und hat mit seinen bisherigen fünf Saisontoren maßgeblichen Anteil daran, dass Bayer 04, trotz eines spielerischen Stotterstarts, mit 12 Punkten im oberen Drittel zu finden ist. Wie lange es sich Löw also noch leisten kann Kießling links liegen zu lassen, wird sich zeigen.
Ral, abseits.at
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