Der spielende Fan – Klubhelden der Neuzeit (1): Kevin Großkreutz (Borussia Dortmund)
Deutschland 22.September.2013 Marie Samstag 5
Vereinstreue, Engagement und Identifikation fordern die Anhänger von ihren Spielern. In einer Welt des Wettkampfes und des Geldes müssen diese aber oft zweitrangig sein. Vereinswechsel in bessere finanzielle und sportliche Perspektiven sind an der Tagesordnung. So ist Fußball.
Aber es gibt auch Ausnahmen: Kicker, die selber Fans ihrer Farben sind und für diese ihr Herzblut vergießen. Bubenträume, die mit einem Profivertrag beim Traumklub wahr wurden.
In dieser achtteiligen Serie wollen wir euch nun einige Musterexemplare dieser Gattung vorstellen: Urgesteine und Legenden, sowie noch aktive Kicker, die Spieler und Anhänger in Personalunion sind. Unterschiedliche Typen in unterschiedlichen Ligen. Wir gehen der Frage nach ob und warum man ihnen eines Tages ein Denkmal meißeln wird…
Wir beginnen unsere Reihe mit:
Kevin Großkreutz – Borusse durch und durch
Kevin Großkreutz wusste mit vier Jahren wahrscheinlich noch nicht genau was er will. Eines war ihm aber schon bekannt, als er auf der Südtribüne des BVB, mitten in der schwarz-gelben Wand, saß: „Das will ich auch mal am Feld erleben.“
Kein Wunder, schließlich kommt der heute 25-Jährige aus einer fußballbegeisterten Dortmunder Familie. Selbst die Oma war Dauergast im damaligen Westfalenstadion. Da dauert es nicht lange bis das Samenkorn der Borussenliebe auch beim damals jüngsten Spross der Familie gesät wurde. Selbige Liebe blüht immer noch in Kevins Herzen. Vermutlich sogar mehr denn je.
Geboren wird der spielende Fan am 19. Juli 1988 im Dortmunder Stadtteil Eving, in einem Viertel mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosenquote und erheblichem Migrationsanteil. Das Ruhrgebiet ist bekannt für seine Kohle- und Stahlindustrie, es ist das Bundesland der „Malocher“. Auch Großkreutz kommt aus der Arbeiterschicht: Sein Vater ist Schlosser, die Mutter Hausfrau.
Mit vier Jahren kickt Klein-Kevin erstmals im Verein, nämlich beim VfL Kemminghausen in seinem Heimatbezirk. Heute wohnt der Mittelfeldspieler nur einen Steinwurf weit davon entfernt: Eine Doppelhaushälfte darf er sein Eigen nennen. Gleich nebenan wohnen die Eltern mit Bruder Lenny. Trotz seines Erfolges ist Kevin also doch bescheiden geblieben. Das passt zu ihm, schließlich repräsentiert er den Ruhrpottkicker, der sich mit viel Herzblut in jede Partie „hineinhaut“ als wäre es seine letzte. Darüber hinaus ist Großkreutz ein „Typ“, ein Charakter, den die BVB-Fans lieben, weil sie spüren, dass er einer von ihnen ist.
Der Tausendsassa
Schon als Jugendlicher wurde Großkreutz‘ Traum eine Zeit lang war, er spielte bis 2002 in der Nachwuchsabteilung seines Herzensvereines. Danach war Rot-Weiß Ahlen jahrelang sein Arbeitgeber, in seiner Freizeit traf man den Dortmunder aber nach wie vor auf der Südtribüne des BVB an. Sein Ahlener Trainer untersagte Kevin die lange Steherei sonntags aber irgendwann.
Schwere Beine hin oder her, Großkreutz spielte 2008 eine Top-Saison bei den Westfalen und trug maßgeblich zu deren Aufstieg in die 2. Bundesliga bei. Mit zwölf Toren wurde er in die Kicker-Elf des Jahres gewählt und bald darauf wurde sein wohl größter Wunsch wahr: Am 24. Jänner 2009 unterzeichnete der Nordrhein-Westfale einen 3-Jahres-Vertrag bei Borussia Dortmund.
Schwarz-Gelb trägt er ab diesem Zeitpunkt nicht nur im Herzen, sondern auch auf der Haut. Und es passt. Er passt.
„Kevin“, sagt BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, „ist prädestiniert dafür, noch lange für uns zu spielen.“ Warum? Ein technischer Dribblanski ist der Dortmunder Junge nicht gerade. Dafür ist er vielseitig: Ob im Mittelfeld oder in der Verteidigung, außen oder innen: Großkreutz rennt sich stets die Füße wund.
Sein Engagement und sein Kampfgeist ließen ihn sogar die Position des Torwarts übernehmen: Im Mai 2013 wurde Roman Weidenfeller wegen einer Notbremse vom Platz gestellt, nachdem schon drei Mal gewechselt worden war, meldete sich Großkreutz für den Einsatz zwischen den Pfosten. Den folgenden Elfmeter konnte er dann aber nicht halten, auch Leidenschaft hat eben ihre Grenzen.
Vorwiegend spielt Großkreutz auf beiden Flügeln, kann aber auch als „Sechser“ im Mittelfeld eingesetzt werden. Links außen ist seine bevorzugte Position. BVB-Trainer Klopp schätzt besonders, dass er seine Aufgaben sowohl offensiv als auch defensiv mit gleichem Einsatzwillen löst. Und mit seinem kurzen Einsatz zwischen den Pfosten hat Großkreutz bei Dortmund schon auf jeder Position außer der des Mittelstürmers mindestens einmal gespielt.
Das schwarz-gelbe Tuch für Schalker
Darüber hinaus wird er als „Bindeglied“ zwischen Mannschaft und Fanszene gesehen: Fotos und Autogramme? Kein Problem, Kevin dazu: „Ich war ja selber Fan, ich weiß, wie das ist.“ Das Herz trägt der Dortmunder auf der Zunge und macht auch keinen Hehl daraus, dass er Schalke 04 nicht gerade zugetan ist. Wobei: „Schalke 04“ sagt Kevin nicht. „Herne West“ nennt er den Gelsenkirchner Verein verächtlich, wie es sich eben für einen eingefleischten BVB-Fan gehört.
Für viele ist das Ruhrpott-Derby das attraktivste Derby der Welt. Nirgendwo wird der Fußball so gelebt wie in dieser Gegend, dort ist es wichtig, ob man Blau-Weiß oder Schwarz-Gelb denkt und fühlt. Der Fußball ist Freizeitmittelpunkt in einem Gebiet, das vom Kohleabbau und Stahlkochen lebt. Ehrlich, dreckig, raubeinig und mit viel Herz muss man hier kicken. Heute trifft das wohl nicht mehr ganz zu: Edeltechniker wie Marco Reus beim BVB oder einst Raul bei Schalke lassen die Vereine vorne mitspielen. Dennoch leben beide Klubs von ihrer Geschichte als Arbeitervereine.
Kevin Großkreutz repräsentiert auf der Seite der Schwarz-Gelben diesen Typus. Mitunter schlägt er auch über die Stränge:
2009 war das Derby nicht nur während dem Spiel aufgeheizt: Nach einem Schalker-Auswärtssieg kam es zur Rudelbildung am Feld. Großkreutz beschuldigte Manuel Neuer ihm absichtlich mit dem Ellbogen einen Schlag auf die Nase verpasst zu haben. Der Schalker Torwart stritt dies ab. Videoaufnahmen gaben ihm später recht: Der Schlussmann stieß mit Großkreutz zwar kurz zusammen, ein Ellbogen war jedoch weit und breit nicht zu sehen.
Die beiden Spieler werden wohl keine Freunde mehr. Egal, als Borusse verachtet Großkreutz den Lokalrivalen sowieso. „Da war mein Fernseher kaputt.“, meinte er einst auf die Frage eines Reporters ob er sich das Spiel Schalke 04 gegen Inter Mailand angesehen habe.
Selbst Ex-Schalker sind vor ihm nicht sicher: Im DFB-Pokalspiel gegen Greuther Fürth geriet er mit Gerald Asamoah aneinander. Nach der Partie gingen die Wogen hoch: Großkreutz wurde rassistischer Aussagen bezichtigt, Jürgen Klopp lenkte ein und sagte Kevin sei mit Sicherheit nicht fremdenfeindlich. „Es sind ein paar harmlose Schalke-Sprüche gefallen.“, gab der Dortmunder, der seinen zukünftigen Sohn, sollte dieser einmal Anhänger der Blau-Weißen werden ins Heim stecken würde, später zu Protokoll. Die Sache blieb ungelöst.
Das Kapitel Nationalteam
Drei Mal lief Großkreutz bereits für die deutsche Nationalmannschaft auf, die Konkurrenz dort ist jedoch gigantisch: Sein Ex-Teamkollege Mario Götze, sowie Dortmund-Mitspieler Marco Reus und auch Mesut Özil, Toni Kroos oder der Schalke-Jungspund Julian Draxler beanspruchen Teil des offensiven Mittelfeldes zu sein. Ein richtiges Talent ist der 25-jährige Dortmunder nicht mehr, die „Rivalen“ sind fast alle jünger, technisch sattelfester und haben mehr Ligaspiele in den Beinen. Dennoch wurde Großkreutz schon mehrmals für das DFB-Team nominiert. Die Teilnahme an der USA-Reise 2013 musste er jedoch wegen einer Mittelfußprellung absagen. Festzustellen ist jedoch, dass Großkreutz mehr ist als ein Backup-Spieler oder wichtiger Moralposten. Durch sein Reaktionsvermögen kann Großkreutz viel frischen Wind in eingeschlafene Partien bringen. Dass dies für einen Stammplatz reichen wird, ist wohl unwahrscheinlich.
Eine beachtliche Bilanz hat Großkreutz in seiner Klubkarriere bis jetzt gezogen: Zwei Meistertitel (2011 und 2012) und den DFB-Pokal (2011) konnte Großkreutz mit Borussia Dortmund gewinnen.
Ebenso sehenswert ist, dass sich der Dortmunder Junge in seiner ersten Saison bei den Schwarz-Gelben zum Stammspieler mauserte und 2010 auch seine erste Einladung für die Nationalmannschaft in den Briefkasten geflattert kam.
Seine taktische Flexibilität und seine Laufbereitschaft bleiben Kevins Trümpfe. Vielleicht ist es auch tatsächlich die Zuneigung zu Borussia Dortmund, die ihn zu Höchstleistungen anspornt. Er selbst sagte, er können sich innerhalb der Bundesliga nur vorstellen auch für den 1. FC Köln zu kicken: „Die haben auch ein geiles Stadion, eine große Historie, dazu geile Fans, von denen ich viele kenne.“
Der Dortmunder Junge bei einem anderen deutschen Verein? Schwer vorstellbar. Seine weiteren Zukunftspläne sind aber durchaus überzeugend: „Nach der Karriere stehe ich wieder auf der Südtribüne.“ Glauben wir dir, Kevin.
Der abseits.at – Platzheld-Check
Name: Kevin Großkreutz
Alter: 25
Position: Mittelfeld/Abwehr
Dienstzeit beim Verein: Seit Juni 2009 (Vertrag bis 2016)
Spiele/Tore: 131/22
Unvergessener Moment? Im April 2011 stimmte Großkreutz mit der Südtribüne endlich ein erleichtertes „Deutscher Meister ist nur der BVB“ an. Die Erleichterung im Stadion war riesengroß als Verfolger Bayer Leverkusen patzte und die Dortmunder mit einem 2:0 gegen den 1. FC Nürnberg den Titel fixierten.
Darum lieben ihn die Fans: Die freche Zunge im Mund und die Liebe zum Verein im Herzen: Die Anhänger spüren, dass Kevin einer von ihnen ist. Auf seiner Wade hat Großkreutz die Silhouette Dortmunds tätowiert, seit seiner Kindheit liebt er Borussia und gibt am Platz alles für seine Farben. Deutlich wird dieses wahre „Fantum“ auch durch Seitenhiebe auf den Rivalen Schalke 04. In Interviews nach dem Revierderby vermeidet Großkreutz es oft den Namen des verhassten Gegners zu nennen, Schalke vs. BVB ist für ihn eindeutig mehr als nur ein Spiel.
Darum liebt ihn der Verein: Seine Flexibilität ist auf seine hohe Spielintelligenz zurückzuführen, Jürgen Klopp nannte ihn „ein taktisches Genie.“ Jede Position wird von Großkreutz mit Elan gespielt, er legt sich immer voll ins Zeug. Sein hohes Tempo und seine Laufwege sind erstaunlich.
Blumenspende oder Denkmal? Mit gelben Stiefmütterchen darf man Kevin bestimmt jetzt schon huldigen. Für ein Dortmunder Ehrenmal ist es aber noch zu früh, schließlich ist Großkreutz erst in seiner fünften Saison beim BVB. Obwohl er stets ein sicherer Rückhalt ist, muss der Dortmunder den großen Nachteil erleben, dass im modernen Fußball das schlampige Technikgenie beliebter ist als der lauffreudige Kämpfer.
Obwohl die Fans Großkreutz schätzen, werden „Edelzangler“ wie der Ex-BVB-Star Götze bei jedem Verein mehr in die Auslage gestellt. Kevin Großkreutz ist dagegen eher der sichere Stammspieler, der das Rückgrat der Mannschaft bildet. Andere Spieler stehen mehr im Mittelpunkt als der 25-Jährige, obwohl dieser mit seiner Aktivität und seinem Zweikampfverhalten schöne Spielzüge erst möglich macht.
Mit wichtigen Toren inklusive langer Haltbarkeitsdauer könnte Großkreutz aber zu einer zukünftigen Dortmunder Kultfigur werden.
Marie Samstag, abseits.at
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