Der überschüssige Stratege: Darum hat Michael Ballack in Leverkusen und im DFB-Team kein "Leiberl" mehr
Deutschland 14.August.2011 Daniel Mandl 1
Die Verletzung Michael Ballacks vor der WM 2010 galt in Deutschland als der absolute Super-GAU. Doch ein Jahr später findet sich der 34-Jährige in Leverkusen auf der Bank wieder und im Nationalteam wurde ihm die Chance genommen in den elitären Klub der Spieler mit über 100 Länderspielen zu kommen. Ein Blick auf die jetztige Situation des ehemaligen Stars des deutschen Fußballs.
Wir schreiben den 15. Mai 2010. Im Wembley Stadion kämpfen Chelsea London und der FC Portsmouth um den FA-Cup, dem ältesten nationalen Pokalwettbewerb der Welt. Wenige Minuten vor dem Halbzeitpfiff kommt Kevin-Prince Boateng angerauscht und bringt den Kapitan der deutschen Nationalmannschaft mit einer brutalen Grätsche zu Fall. Michael Ballack versucht nach längerer Behandlung weiterzuspielen, muss aber schnell erkennen, dass es nicht mehr möglich ist. Wenige Tage später die schockierende Diagnose: Innenbandriss und Teilriss des Syndesmosebandes im rechten Sprunggelenk – das WM-Aus für den Starspieler. „Das ist sicherlich die schlimmste Diagnose meiner Karriere“, erklärt ein sichtlich getroffener Ballack und ganz Deutschland leidet mit ihm. Boateng rechtfertigt sich damit, dass Ballack ihn wenige Minuten zuvor geohrfeigt hat und dafür nicht belangt wurde. Diese Erklärung erscheint vielen als Beweis dafür, dass das Foulspiel absichtlich begangen wurde. Boateng wird endgültig zum „Staatsfeind Nr. 1“!
Foulspiel als Wendepunkt
Heute, ein Jahr später, könnte die Ausgangslage der zwei Spieler unterschiedlicher nicht sein. Kevin-Prince Boateng wusste bei der Weltmeisterschaft zu überzeugen und führte Ghana bis ins Viertelfinale, wo man denkbar knapp an Uruguay scheiterte. Da sein bisheriger Verein Portsmouth abstieg, war die Zeit gekommen einen neuen Verein zu suchen. Geworden ist es der FC Genua, allerdings nur für wenige Wochen, dann wurde der gebürtige Deutsche an den AC Milan verliehen. In der letzten Saison avancierte der Mittelfeldspieler zum Stammspieler und leistete einen großen Beitrag zur ersten Meisterschaft seit sieben Jahren. Anders als in Deutschland, ist der Halbbruder von Jerome Boateng (der für das deutsche Team aufläuft) in Italien, vor allem in Mailand, absoluter Publikumsliebling. Skurrilerweise sieht Boateng selbst sein Foul an Ballack als ausschlaggebendes Ereignis: „Das war wohl der Wendepunkt in meiner Karriere. Da war für mich klar: Ich will es allen zeigen!“
Nicht mehr lauffreudig genug
Als völlig verkehrt kann man die fußballerische Entwicklung von Michael Ballack beschreiben. Noch während der 98-fache Nationalspieler seine Verletzung auskurierte, unterschrieb er bei Leverkusen, seinem ehemaligen Verein, wo er große Erfolge feierte, allerdings keine Titel. Das war „Vizekusen“ damals nicht vergönnt. Seinen ersten Meistertitel feierte Ballack übrigens nicht erst mit den großen Bayern. In der Saison 1997/98 durfte Kaiserslautern als Aufsteiger sensationell den Titel bejubeln, mit dabei der damals 22-jährige Ballack, zu dieser Zeit aber noch Ergänzungsspieler. Grund für den Wechsel im Sommer letzten Jahres war wohl folgender: Als Stammspieler in der deutschen Liga sah der zentrale Mittelfeldspieler die besten Chancen bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine dabei zu sein. Nicht wenige Fußballanhänger verstanden aber den Wechsel nicht, da Leverkusen mit Vidal (der eine überragende Saison spielen sollte), Rolfes und Lars Bender schon sehr gut besetzt war. Zu allem Überfluss war für den geborenen Görlitzer nach drei Runden die Herbstsaison aufgrund einer Schienbeinverletzung auch schon wieder beendet. Im Frühjahr sollte er zwar 14 Spiele machen, zum unumstrittenen Stammspieler schaffte Ballack es unter Trainer Jupp Heynckes aber nicht. Bessern sollte sich die Situation mit dem Abgang von Arturo Vidal (zu Juventus Turin) und dem neuen Coach Robin Dutt. Doch letzterer überraschte nun mit folgender Aussage: „Rolfes und Ballack wird es in unserem Dreier-Mittelfeld nicht gleichzeitig geben.“ Als Begründung meinte der ehemalige Freiburg-Trainer, dass diese beiden Strategen seien, aber auf dieser Postition auch eine hohe Laufbereitschaft gefragt sei. Diese besitzt zweifelsfrei Lars Bender, der ab jetzt wohl als gesetzt angesehen werden darf. Auch wenn Simon Rolfes nicht in bestechender Form ist und vor kurzem auch Kritik geäußert hat, dürfte er auf kurze Sicht die Nase vorne haben. Was in wenigen Wochen oder Monaten sein wird, bleibt abzuwarten.
Unrühmliches Ende im Nationalteam
Am meisten Schlagzeilen machte Ballack mit der monatelangen Diskussion um seine Person in Sachen Nationalmannschaft. Teamchef Joachim Löw konnte sich erst im Juni dieses Jahres dazu durchringen in dieser Causa klar Position zu beziehen, zuvor wurde Ballacks Zukunft im Nationalteam immer offen gehalten. Der eines langjährigen Kapitäns unwürdigen Verabschiedung folgte kurze Zeit später eine genauso armselige Reaktion Ballacks, als er die ganze Aktion als Farce bezeichnete und Löw Scheinheiligkeit vorwarf. Mit diesen Aussagen verbaute er sich selbst die Chance eines würdevollen Abgangs, wurde ihm doch ein Abschiedsspiel gegen Brasilien angeboten, stattdessen gibt er in dieser ganzen Situation das hinlänglich bekannte Bild eines alternden Stars ab, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Denn bei allem Respekt vor Michael Ballack ist mittlerweile kein Platz mehr im jungen Team der Deutschen!
AlohaHe, abseits.at
Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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