In dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien,... Der verlorene Weltklassefußballer (14) – Willi Lippens

Holland gegen DeutschlandIn dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien, Verletzungen oder einfach die Umstände ihrer Karriere: zur falschen Zeit am falschen Ort kann manchmal schmerzhaft wahr sein.

Wir lassen die Karrieren dieser Akteure Revue passieren, spekulieren über die mögliche Auswirkung ihres fehlenden Durchbruchs in der Geschichte des Fußballs und ein kleines „was wäre, wenn…?“ darf natürlich auch nicht fehlen. Immerhin besitzt für solche Spieler nahezu jeder Fußballfan noch eine schöne Erinnerung und jene fragende Wehmut, welche Erinnerungen man nicht alles verpasst hat.

In diesem Teil widmen wir uns …

Willi Lippens

„Ich verwarne Ihnen!“, sagte der Schiedsrichter.  „Ich danke Sie!“, antwortete Lippens und erhielt für diese Aussage die zweite gelbe Karte. Es sollte sein einziger Platzverweis bleiben, denn Lippens galt als zutiefst fairer Fußballer. Für manche war er sogar zu fair, zu weich und zu sensibel. Kein Fußballer der in die 60er und 70er-Jahre passte, als die Bayern dreimal den europäischen Meisterpokal gewannen, aber dafür kaum Lob von Fußballeuropa erhielten. Die deutsche Nationalmannschaft hatte zwar besonders 1972 ihre ästhetisch wertvolle Zeit, doch hier war für Lippens kein Platz – denn sein Vater war Niederländer.

Nationalmannschaftsverbot

Eigentlich plante Helmut Schön mit Willi Lippens. Zu jener Zeit war Lippens Flügelstürmer bei Rot-Weiß Essen, denen er von 1965 bis 1976 die Treue hielt. Erst mit 31 Jahren wechselte er zu Borussia Dortmund. Auch Lippens hätte gerne für die deutsche Nationalmannschaft gespielt, ein Einsatz wurde ihm aber von oberster Stelle verboten – nämlich seinem Vater. Dieser bzw. dessen Familie war Jahre zuvor ein Opfer des deutschen NS-Regimes gewesen, weswegen er Groll gegen die Deutschen hegte; ähnlich wie es zu jener Zeit auch viele niederländische Fußballer taten, allen voran der große Wim Van Hanegem.

„Er hat mir gesagt, dann bräuchte ich nicht mehr nach Hause kommen“ – Lippens über seinen Vater und dessen Meinung zu einem potenziellen Nationalmannschaftseinsatz.

Auch darum spielte letztlich Lippens für die einzige Nationalmannschaft, die noch in die Verlosung kam: Die niederländische. Kurioserweise hatte er bei ihnen ähnliche Probleme, wie er sie wohl zuhause als deutscher Nationalspieler gehabt hätte. In seinem einzigen Spiel gegen San Marino erzielte er zwar einen Treffer, wurde aber im niederländischen Kombinationsfußball geflissentlich von seinen Spielkollegen übersehen. Für sie galt er als Deutscher – und war somit in der Nationalmannschaft unerwünscht.

Es blieb sein einziges Spiel in der Nationalmannschaft, obgleich Lippens nach der WM 1974 behauptete, dass man mit ihm die Weltmeisterschaft gegen die Deutschen gewonnen hätte. Sich selbst sah Lippens als perfekten zusätzlichen Spieler.

Die Ente auf dem Flügel

Wieso auch nicht? Für viele galt er mit Stan Libuda als der technisch stärkste Flügelstürmer Deutschlands damals. Sein Spitzname „Ente“ tat dieser Meinung keinen Abbruch. Ähnlich wie Garrincha hatte er einen eigenwilligen Laufstil – bei Garrincha entstand dies aus einer Deformierung der Beine, beim „deutschen Garrincha“ aus Essen waren es seine Plattfüße und sein Watschelgang, die mitunter seltsam anmuteten. Mit Ball am Fuß aber war Lippens das wohl größte Schlitzohr seiner Zeit.

Besonders beeindruckten sein Fintenrepertoire und seine extreme Agilität. Lippens war außerdem einer der ersten inversen Außenstürmer Europas; im Gegensatz zu den klassischen Flügelstürmern jener Zeit, die meistens mit Ball am Fuß Richtung Grundlinie marschierten und das Mantra des Linksfußes auf Linksaußen und des Rechtsfußes auf Rechtsaußen galt, war Lippens ein deutlich freierer Spieler. Aufgrund seiner „Falschfüßigkeit“ auf dem Flügel konnte er immer wieder in die Mitte ziehen, zum Abschluss kommen oder spielte gefährliche Lochpässe.

Seine Stärke beim tödlichen Pass wird bis heute unterschätzt, weil sie bei seiner guten Torausbeute und seiner spektakulären Spielweise unterging. In 394 Spielen für Rot-Weiß Essen in der 1. und 2. Bundesliga erzielte er über 200 Tore, mit 172 Spielen und 79 Toren ist er Rekordspieler und Rekordtorschütze von Rot-Weiß Essen in der höchsten deutschen Spielklasse.

Ob es tatsächlich für die niederländische Nationalmannschaft gereicht hätte, ist dennoch fraglich. Lippens war der klassische Straßenfußballer, kein Athlet und der Star einer kleinen Mannschaft, die er auf dem Platz wie abseits davon dominierte. Seine Späße in der Kabine, wo er gerne Funktionäre parodierte oder ihnen Kontra gab, sorgten für viel Popularität in der Mannschaft.

Zwei Zitate zeigen, wie diese aussahen:

„Vor einem Gastspiel von Bayern München in Essen machte Lippens, wie der Münchner Torwart Sepp Maier berichtete, den Vorschlag, bei einem Abschlag der Bayern solle Maier zur Belustigung der Zuschauer den Ball auf Lippens spielen, er spiele diesen dann auch wieder zurück, worauf sich Maier jedoch nicht einließ.

Angeblich soll er auch zumindest verwarnt worden sein, als er mit der Begründung, er wolle endlich mal ein Kopfballtor erzielen, den Ball im Liegen mit dem Kopf über die Linie beförderte.“

Beim autoritären Rinus Michels und auch noch als „deutscher Außenseiter“ in der Mannschaft hätte er sich dies wohl nicht erlauben können. Auch als Star der Mannschaft hätte er neben dem Kopf der niederländischen Nationalmannschaft, Johan Cruijff, nie eine Chance gehabt. Umso trauriger ist es, dass er sich durch den Einsatz die Chance auf eine WM- oder EM-Teilnahme im Dress der deutschen Nationalmannschaft gebracht hatte. 1972 und 1974 gab es nämlich trotz starker Leistungen Kritik an einer Position: Den oftmals vakanten Außenstürmerposten.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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