Mit Regionalligist SG Wattenscheid 09 musste mal wieder ein Traditionsverein Insolvenz anmelden. Die Geschichte des Niedergangs ist dabei geprägt von übertriebenen Erwartungen sowie der Unfähigkeit der handelnden Personen, ihre Egos zum Wohle des Vereins hintenan zu stellen. Die Leidtragenden sind erneut die Fans.
Irgendwer muss immer schuld sein. Das gilt natürlich auch für den Niedergang des deutschen Regionalligisten SG Wattenscheid 09, der sich Ende Oktober wegen Zahlungsunfähigkeit vom Spielbetrieb abmelden musste.
Die Protagonisten der Schuldfrage sind in diesem Fall der ehemalige Bundesligatrainer Peter Neururer, das Wattenscheider Aufsichtsratsmitglied Josef Schnusenberg und Unternehmer Oguzhan Can. Letzterer war bis Ende Juli Aufsichtsratsvorsitzender von Wattenscheid und der Hauptgeldgeber. Wie sich herausstellte, war der Bochumer Stadtteilklub finanziell abhängig von Can. Sein Rückzug besiegelte quasi die Zahlungsunfähigkeit.
Als Grund für diesen Schritt nannte Can mangelnden Respekt der handelnden Person ihm gegenüber. In der ARD-Dokureihe Sport Inside bezeichnete Can den Sportlichen Leiter Neururer als „Choleriker“ und machte ihn dort für seinen Rückzug mitverantwortlich: „Die letzten Tropfen waren der Peter Neururer, der ist derjenige, der mich dazu gebracht hat zu sagen, mit dem nicht.“ Neururer wäre ihm gegenüber sehr „unhöflich“ gewesen.
Neururer, der sein Amt erst im März antrat, nur um im August schon wieder hinzuschmeißen, kontert in der Dokumentation damit, dass „der gesamte Verein unter der Regenschaft von Herrn Can ein einziges Lügengebilde“ gewesen sei. Und tatsächlich verlautbarte eine Pressemitteilung des Vereins im Juni noch, dass Can und ein weiterer Geldgeber die beiden nächsten Spielzeiten gesichert hätten. Neururer selbst hat von den finanziellen Schwierigkeiten des Vereins nach eigenen Angaben erst aus den Medien erfahren. Auch zwischen Can und Aufsichtsratsmitglied Schnusenberg kam wohl es immer wieder zu Streitigkeiten.
Gegenüber Reviersport sagte Neururer über die Zeit in Wattenscheid: „Das ist die größte Enttäuschung, der größte Fehler meiner Karriere. Ich habe schon viel Mist im Fußball miterlebt. Aber das in Wattenscheid überbietet nochmal alles. Das alles passt gar nicht ins Fußballgeschäft. Das Konstrukt basiert auf Lügen.“
Schon die Verpflichtung von Neururer, der zuvor nur als Trainer und noch nie als Sportlicher Leiter fungierte, war wohl eher ein verzweifelter Versuch, wieder etwas Glanz von der vermeintlich großen Fußballwelt abzubekommen.
Denn seit den sportlich erfolgreichen 90er Jahren, als Wattenscheid 09 vier Jahre in der Bundesliga spielte, geht es mit dem Verein eigentlich nur noch bergab. Eine Schlüsselfigur sowohl für Aufstieg als auch Niedergang, ist der ehemalige Mäzen Klaus Steilmann, der den Klub über Jahrzehnte prägte – vor allem durch seine finanziellen Zuwendungen. Doch die versiegten irgendwann: Steilmanns Textilunternehmen ging Pleite und so war auch seine Unterstützung nicht mehr gewährleistet.
Im Podcast Liga Inside heißt es, Wattenscheid 09 hätte sich von seinem endgültigen Rückzug Ende der 90er nicht mehr erholt; bis in die sechste Liga wurde man zeitweise durchgereicht. Dennoch blieb der Wunsch allgegenwärtig, irgendwann doch noch einmal der großen Fußballwelt anzugehören. Ständig wurden dabei neue Luftschlösser gebaut, wie eine Kooperation mit Galatasaray Istanbul 2015, die nach kurzer Zeit aber schon wieder hinfällig war. 2018 peilte Wattenscheid 09 gar mit Hilfe des Hamburger Start-up-Unternehmen Haalo an, wieder in die Bundesliga zurückzukehren. Es blieb letztendlich Wunschdenken.
Ein Wunschdenken, das bereits bei vielen Vereinen dazu führte, sich finanziell zu übernehmen. Träume und Tradition können auch zur Belastung werden. Gerade Klubs in den Regionalligen können ein trauriges Lied davon singen. Denn dort gibt es kein vom DFB vorgeschriebenes Lizenzierungsverfahren, so dass jeglicher Art von finanziellem Unfug getrieben werden kann, ohne dass es ausreichende Kontrollen gibt.
Viele Vereine in den Regionalligen sind teils hochverschuldet. Wattenscheid hat es jetzt erwischt, nach 110jähriger Geschichte. Ob die Schwarz-Weißen einen Neustart in der Oberliga oder darunter antreten dürfen, ist noch nicht gesichert. Zumindest konnte die Jugendabteilung, aus der einst die Altintop-Brüder oder Leroy Sane hervorgingen, finanziell gerettet werden. Das verhindert zunächst auch die endgültige Löschung der SG Wattenscheid 09.
Die Fans jedenfalls hätten die Möglichkeit eines Neustarts sicherlich verdient, sind sie doch die Hauptleittragenden der Machtkämpfe und des mangelnden Realitätssinns seitens der Verantwortlichen. Ein Anhänger hofft in der Doku von Sport Inside, dass das Schicksal von Wattenscheid 09 auch eine Mahnung für andere Klubs ist und zudem „vielleicht Stein des Anstoßes für Reformen oder zumindest Diskussionen“ sei. „Dann wäre unser Tod nicht ganz umsonst.“
Ral
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