Die Tuchel-Nachfolge und die taktischen Auswirkungen auf den BVB
Deutschland 31.Mai.2017 Shahin Bazani 0
Mit einem DFB-Pokal-Sieg beschließt Thomas Tuchel nach internen Querelen seine zweijährige Amtszeit bei Borussia Dortmund. Trotz verhältnismäßig geringer Zeit hat er den Westfalen eine eigene spielerische Handschrift mitgegeben, die sich bemerkbar gemacht und immerhin zu zwei Top 3-Platzierungen hintereinander ausgereicht hat. Dieser Artikel soll einen groben Blick auf die wichtigsten Veränderungen beim BVB unter Thomas Tuchel werfen und eine Vorschau auf die Zukunft der Schwarzgelben bieten.
Tuchel dreht Klopps BVB auf links
Nach seiner Amtsübernahme im Juli 2015 hat Thomas Tuchel den BVB taktisch sowie personell verändert und das enorme spielerische Potenzial des Kaders ausgenutzt. Die vielleicht interessanteste Neuerung war eine Umstellung auf ein 4-1-4-1/4-2-3-1-Hybridsystem, in dem der Neuzugang Julian Weigl, der zuvor von 1860 München kam, eine zentrale Rolle als Solo-Sechser eingenommen und Nuri Sahin im Endeffekt langfristig auf die Bank verbannt hat.
Es wurde schnell klar, dass Tuchel im Gegensatz zu seinem Vorgänger Klopp einen stärkeren Fokus auf Ballbesitz legt. Wichtig wurden dafür auch Spieler wie Hummels und Schmelzer, die im Jahr zuvor für ihre Verhältnisse unterdurchschnittliche Leistungen erbracht hatten, dann aber als zentrale Bausteine in Tuchels neuem System aufblühten. Gerade Hummels baute konstruktiver auf, dribbelte viel mehr ins Mittelfeld und besserte sich auch defensiv enorm. Mit Bürki bekam ein jüngerer und spielstärkerer Torwart den Vorzug vor Roman Weidenfeller.
Oft wiederkehrende Stilmittel waren unter anderem lange Bälle hinter die gegnerische Abwehrreihe auf durchstartende Angreifer, die den Ball dann quer in den Strafraum gelegt haben, sowie Kombinationen nach Überladungen des linken Halbraums. Damit konnte der BVB in der ersten Tuchel-Saison erfolgsstabil Chancen kreieren.
Nach der ersten Saison, die man mit einem sehr guten zweiten Platz beendet hatte, brachen wichtige Stützen in Form von Gündoğan, Mkhitaryan und Hummels weg, die es zu ersetzen galt. Mit Spielern wie Dembélé, Guerreiro oder Mor kamen entwicklungsfähige junge Talente, die neben etablierten aber immernoch jungen Nationalspielern wie Götze, Schürrle oder Bartra die Lücken auch perspektivisch über längere Zeit füllen sollten. Gerade die beiden erstgenannten Neuzugänge aus der Ligue 1 konnten sich erstaunlich schnell etablieren und Dortmund Mehrwert bieten.
Im zweiten Jahr unter Tuchel spielte man öfter mit der Dreierkette, war aber formativ relativ flexibel. Spieler wie Piszczek und Castro verbesserten sich spielerisch wie taktisch enorm, sodass ersterer beispielsweise gar Einsätze als Halbverteidiger bekam. Allerdings war man defensiv nicht mehr so sattelfest, kassierte viele unnötige Gegentore und war etwas anfälliger für Konter.
Dennoch lässt sich festhalten, dass der BVB unter Tuchel wichtige Schritte nach vorne gemacht und immerhin einen Titel mitgenommen hat. All das sind Errungenschaften, auf denen der Nachfolger aufbauen kann und sollte.
Wird Favre die vakante Position übernehmen?
Viele Namen werden diskutiert, wenn es um die Nachfolge von Tuchel geht, einige davon tauchen öfter auf, andere seltener. Zur ersten Kategorie gehört definitiv Lucien Favre, der wohl als heißester Kandidat gilt. Der ehemalige Trainer von Mönchengladbach steht jedoch noch bei OGC Nice unter Vertrag und konnte eindrucksvoll in Frankreich den Platz für die Champions-League-Qualifikation ergattern.
Generell sind Favres Mannschaften bekannt für enorme systematische Disziplin. Oft lässt der Schweizer sogar, nach Vorbild von Arrigo Sacchi, dem legendären Milan-Trainer, mit seinen Mannschaften trockenes Verschieben ohne Ball trainieren. Gerade tiefes Mittelfeldpressing und Abwehrpressing gelingt Favre-Mannschaften sehr sauber und nicht selten ist die Breiten- und Tiefenstaffelung dabei beinahe unmöglich zu bespielen, da sich sowohl auf den Außen als auch in den Zwischenlinienräumen zu wenig Platz bietet.
Besonders seine Zeit bei Gladbach hat in Deutschland bleibenden Eindruck hinterlassen, da seine Mannschaften immer ziemlich kombinationsstark waren und schnell umschalten konnten. Gerade in Pressing- und Gegenpressingsituationen konnten sie sehr erfolgsstabil durch Doppelpässe und anschließende Third-Man-Runs Engensituationen auflösen und die Lücken des Gegners mit Dynamik bespielen.
Folgendes Video unterstreicht diese Kompetenzen, die Mönchengladbach in Regelmäßigkeit auf das Parkett brachte:
Zu Dortmunds Kader könnte das potenziell sehr gut passen. Durch bereits angeeignete Kompetenzen im Positionsspiel kann der BVB sich ebenfalls gut aus engen Staffelungen lösen. Die Spieler sind sehr pressingresistent und verfügen über gute Übersicht (Dembélé, Guerreiro und Weigl sind hier besonders hervorzuheben). Die geschwindigkeitsbasierten Konter können über Favres Vertrauten aus Gladbacher Zeiten, Marco Reus, oder eben über Dembélé und Schürrle gut nach vorne gebracht werden.
Ein Problem könnte die Besetzung im Sturm werden, da Favre bislang mit relativ kleinen, kombinationsstarken und zurückfallenden Angreifern den meisten Erfolg hatte (namentlich Raffael, Kruse, Balotelli) und Dortmund derzeit nur der ohnehin wechselwillige Aubameyang zur Verfügung steht. Die Transferperiode könnte daher im Falle einer Übernahme von Favre aus Sicht der Borussia genau zu beobachten sein. Notfalls wäre eine Besetzung des Sturms mit Mario Götze in einer ähnlichen Rolle wie 2013 in der Nationalmannschaft unter Joachim Löw möglich.
Wer sind die anderen Kandidaten?
Praktisch alle, die auf dem Markt sind. Mit Roger Schmidt, Martin Schmidt oder Andre Schubert sind drei Trainer vereinslos, die letztes Jahr noch europäisch gespielt haben. Gerade Roger Schmidt konnte mit seinem Pressingsystem Bayer Leverkusen bis zur Trennung erfolgreiche Jahre bescheren. Nominell würde er sich nicht anders als Favre ebenfalls an einer 4-4-2-Formation orientieren, jedoch größeren Fokus auf proaktives Angriffspressing und defensive Umschaltmomente legen. Die Fundamente des Ballbesitzspiels, die Tuchel implementiert hat, würden unter ihm allerdings zur Nebensache werden.
Auch amtierende Bundesligatrainer wie Peter Stöger oder Niko Kovac sind mit in der Verlosung. Gerade diese sind in der abgelaufenen Spielzeit durch ihren Variantenreichtum taktischer Natur aufgefallen und konnten mit ihren Vereinen mittlere bis große Erfolge feiern. Es wäre auch hier interessant zu sehen, wie diese mit einem individuell besser bestückten Kader performen würden.
Fazit
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Tuchel nicht nur punktetechnisch der beste BVB-Trainer der Geschichte war (2,09 Punkte pro Spiel), sondern der Mannschaft taktisches wie strategisches Rüstzeug mitgegeben hat und sich mit einer überragenden Bilanz verabschiedet. Die Trainersuche ist zwar noch offen, Favre soll allerdings Topkandidat sein und würde, wie oben ausgeführt, keinen schlechten Nachfolger darstellen. Der nachfolgende Trainer wird auf jeden Fall auf dem Transfermarkt aktiv werden müssen und das wird spannend zu beobachten sein.
Shahin Bazani, abseits.at
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Shahin Bazani
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