Eine erste Zwischenbilanz: Julian Nagelsmanns Arbeit bei der TSG 1899 Hoffenheim
Deutschland 7.März.2016 David Goigitzer 0
In Deutschland gab es durchaus einen kurzen Hype um den jüngsten Bundesligatrainer der Geschichte: Der 28-jährige Julian Nagelsmann, ehemaliger Analyst von Thomas Tuchel bei Augsburgs zweiter Mannschaft, übernahm aufgrund der gesundheitlichen Probleme von Huub Stevens die TSG Hofffenheim einige Monate früher als geplant. Seine Spielphilosophie passt gut in die, zugegeben nicht sehr lange, Hoffenheimer Geschichte: Direktheit, Tempo, schnelles Umschalten. Eine erste Bilanz seiner bisherigen Amtszeit ziehen wir anhand drei analysierten Spielen.
Die Premiere für den jüngsten Bundesligatrainer | Werder Bremen – Hoffenheim 1:1
Das mediale Interesse war natürlich groß an der Personalie Nagelsmann, die Vorberichterstattung drehte sich fast nur um ihn. Doch wichtiger als das ganze Spektakel rund um den jungen Coach war natürlich, was seine Mannschaft auf dem Spielfeld zeigt: Mit einem vor allem für die deutsche Bundesliga unüblichem 3-1-4-2, was sich oft auch ein 3-4-1-2 wandelte, verzückte Nagelsmann bereits in den ersten Sekunden seines Bundesligadebüts die Taktik-Hipster dieser Welt. Gegen den Ball gestaltete sich die Abwehrreihe eher in einer pendelnden Viererkette, sodass sich immer wieder sehr kompakte 4-4-2 Staffelungen bildeten. Ebenfalls interessant waren vereinzelte mannorientierte Aufrückbewegungen im Pressing, für diese war vor allem meist Zehner Amiri zuständig. Volland, normalerweise Mittelstürmer, agierte erstmals als rechter Flügelverteidiger. Eine Idee, die aufgrund seiner hohen Dynamik und restlichen, gut ausgeprägten physischen Fähigkeiten durchaus einleuchtend schien. Mit kurzen, schnellen Dribblings zeigte er die Gründe seiner Aufstellung als am Flügel. Die Hoffenheimer gingen nach nicht einmal zehn Minuten sogar in Führung: Nach einem Ballgewinn im hohen Angriffspressing, wo besagte Aufrückbewegung von Amiri ihren Nutzen fand, köpfte Kramaric die Führung.
Mit den richtigen Absicherungs- und Nachschiebemechanismen in der Dreierkette hatte man jedoch noch einige Probleme, die Gäste konnten immer wieder vor allem über die Flügel Durchbrüche erzielen und auch einige Male aufs Tor schießen. Nagelsmann passte nach 15 Minuten an auf ein 4-3-3 im Pressing, was vor allem in höheren Zonen deutlich stabiler war. Die Bremer wurden nun immer mehr zu hohen Bällen gezwungen, welche sehr ungenau kamen. Die Norddeutschen haben sowieso nicht die aufbaustärksten Verteidiger, sodass das Zustellen der Passoptionen den Gästen meist für einen Ballgewinn genügte.
Der Aufbau war sehr auf die Halbräume und das Zentrum fokussiert, die Achter, die von den mit Ball recht weit aufrückenden Hablverteidigern mit Pässen gefüttert wurden, sollten durch vertikale Läufe der Flügelverteidiger Räume bekommen. Funktionierte dies jedoch nicht innerhalb weniger Pässe wurde durchaus der lange, aber kontrollierte Ball versucht, Zielspieler war hierbei oft Vargas. Schär, bis dahin nicht oft eingesetzt, war für viele der fokussierten Vertikalpässe, denen meistens Ablagen folgten, im Aufbau zuständig, die teilweise noch unsauber waren, jedoch seine Übersicht zeigten. Die Folgeaktionen waren jedoch oft ebenfalls nicht sauber genug, sodass diese eigentlich tollen Pässe nicht wirksam genug waren. Strobl als Sechser war noch relativ wenig eingebunden, die Bremer konnten die Gäste immer wieder zurückdrängen und oft konnte Baumann nur mehr weit abschlagen. Im Ballbesitz konnte man sich selten in der Hälfte der Gegner festsetzen, die Bewegungen passten nicht zueinander, sodass man wiederholt nach hinten spielen musste und nur unpassende Optionen im Passspiel hatte.
Not sure if Busquets or Schär
Mit 25 Minuten zu spielen richteten sich die Hoffenheimer etwas offensiver aus, rückten mit vielen Spielern in des Gegners Hälfte, selbst wenn das Ballbesitzspiel noch nicht ganz ausgereift war. Aufgrund der vielen Vertikalpässe, die sehr risikoreich gespielt wurden, konnte man trotz der vielen Spieler in der Nähe nicht richtig Zugriff im Gegenpressing generieren, da die Verbindungen oft nicht passend genug waren. Dies ermöglichte den Bremern immer wieder Konter, da man zweite Bälle gewinnen und auf den zockenden Ujah spielen konnte. Kramaric musste zehn Minuten vor Schluss mit Gelb-Rot raus, was Nagelsmann zu einer Umstellung auf 4-4-1 mit Einwechslung von Polanski veranlasste. Effektive Angriffe konnte man danach nicht mehr erspielen. Das erste Spiel Nagelsmanns als Cheftrainer der TSG 1899 Hoffenheim brachte jedoch einige interessante Aspekte mit sich.
Der Schüler trifft auf seinen Lehrer | BVB – Hoffenheim 2:1
(Link zu genauerer Spielanalyse http://spielverlagerung.de/2016/02/29/begegnung-auf-augenhoehe/)
Im Spiel gegen jenen Mann, der ihn einst als Analysten einstellte, zeigte Nadelsmann seinen Mut zu interessanten Ideen. Gegen die Dortmunder in ihrer linkslastig asymmetrischen 4-2-3-1-Grundordnung setzte er ein 5-2-1-2 entgegen, das den Spielaufbau der Dortmunder früh stören sollte, weshalb man stets recht hoch aufrückte. Im Pressing rückte Zehner Amiri immer wieder zwischen die Stürmer, um den Spielaufbau der Dortmunder auf den rechten Flügel lenken zu können, wo man immer wieder Ballgewinne erzielen konnte. Das Anlaufverhalten vom rechten Stürmer Mark Uth war deutlich im Bogen und auf das Versperren des linken Halbraums abgestimmt, was den Dortmundern große Probleme im Aufbau bescherte. Im Zentrum gab es dann gegen Reus und Kagawa immer wieder leichte Mannorientierungen, falls diese weit auf den Flügel auswichen.
Auch das Zurückfallen von Aubameyang wurde situativ verfolgt, obwohl darin potentiell Gefahr bestand, wenn Kagawa und Reus diagonal in die Tiefe sprinteten.
Der eigene Aufbau wurde sehr direkt gestaltet, wie auch gegen Bremen wurden scharfe, flache Vertikalpässe gesucht, die oft auf nachrückende Spieler abgelegt wurden. So fand man einige Male gute Wege in die Formation der Dortmunder, die jedoch im Gegenpressing meist zu gut organisiert waren, um gefährliche Situationen zuzulassen. Nach Ballgewinn wurden schnelle Gegenstöße fokussiert, immer wieder auf den ballfern startenden Volland, der bei Kontern individualtaktisch interessante Wege ging, bzw. antäuschte. Dieser legte auch in der 25. Minute die Führung auf, als er einen Diagonalpass empfing, aufs Tor schoss und sein abgewehrter Schuss von Rudy, der wenige Sekunden zuvor noch den Pass aus der Tiefe gespielt und nun nachgerückt war, ins Tor befördert wurde.
Ab Minute 39 agierte man primär in einem 5-4-1. Diese Umstellung stand vermutlich auf dem Zettel, den Nagelsmann an Strobl gereicht hatte, dieser gab den Zettel an seine Mitspieler weiter.
In Halbzeit zwei reagierte man auf die Umstellung von Dortmund auf ein 4-3-3 zunächst nicht, musste dies jedoch nach der roten Karte für Rudy tun, wo man in Person von Polanski statt Amiri einen zweiten Sechser brachte und 5-4-0 spielte. Der Ausgleich fiel nach einer Ecke, was nicht unbedingt dem Spielverlauf entsprach: Hoffenheim agierte sehr kompakt in Horizontale und Vertikale, der BVB konnte sich kaum in den Strafraum kombinieren, sondern spielte nur um diesen herum. Man verlor schnell die Geduld und brachte deutlich zu viele Flanken, die jedoch keinen Abnehmer fanden. Bis Tuchel Ramos brachte, der nur kurz nach seiner Einwechslung das 2:1 köpfte. Trotz der Niederlage zeigte Hoffenheim eine taktisch sehr ansprechende Leistung: Das Pressing bereitete den Dortmundern ziemliche Probleme, die Vertikalpässe in die Offensive kamen deutlich sauberer und dosiert eingestreuter als noch gegen Bremen, was sie umso effektiver machte. Leider konnte man aufgrund eines etwas unglücklichen Spielverlaufs keine Punkte aus Dortmund mitnehmen.
HIER findet ihr eine ausführliche Analyse zu diesem Spiel!
Schlecht abgesichertes Risiko | Stuttgart – Hoffenheim 5:1
Die Hoffenheimer agierten gegen Stuttgart in einem 5-3-2, wobei auch immer wieder recht eindeutige 4-4-2 Staffelungen zu sehen waren. Nach ungefähr 25 Minuten (und einem 1:0 Rückstand nach einer Ecke) passte Nagelsmann an, erneut via Zettel. Nun agierte man im 4-1-4-1/4-3-3 um die Flügelangriffe des VfB besser verarbeiten zu können, hatte jedoch Probleme im Aufbau. Polanski als einziger Sechser fand nur schwer Anspielstationen im Zentrum und den Halbräumen, das Stuttgarter Mittelfeld stand horizontal sehr kompakt. Zu wenig passende Freilaufbewegungen gab es im sehr engen Zwischenraum, sodass die in den vorigen Spielen sehr fokussierten Vertikalpässe nicht wirklich gespielt werden konnten. Zudem gehören diese Bälle nicht unbedingt zu Polanskis herausstechenden Fähigkeiten. Nagelsmann wechselte auch bereits in Minute 35, Bicakcic wurde als Halbverteidiger nun nicht mehr benötigt, für ihn kam Kramaric als Stürmer. Trotz der Umstellung bekam man das 2:0 (das 1:0 war nach einem Freistoß gefallen) durch eine Flanke, bei der der Durchbruch zu simpel gelang und die Strafraumverteidigung ebenfalls schwach war.
Das 3:0 fiel nach einer Ecke, in der Niedermaier recht einfach an den Kopfball kam, weil die Raumdecker nicht konsequent genug den Ball attackiert hatten. Eine weitere Umstellung hatte Nagelsmann vorgenommen, und zwar auf 4-2-3-1 in der Defensive, um die Formation des VFB zu spiegeln, jedoch stellten die Gastgeber selbst auf 4-4-2 um. Der Anschlusstreffer in Minute 73 fiel dann auch nach einer Situation, in der man die Überzahl im Zentrum für eine kurze Kombination ausnutzen konnte, Kramaric schloss im Strafraum dann ab. Durch das am Tag prinzipiell schwache Gegenpressing konnten die Stuttgarter aber nach einem Konter in der 79. Minute auf 4:1 erhöhen. Die Verbindungen bei den Hoffenheimern waren nicht stabil genug, sodass man oft den berühmten „Schritt zu spät“ war, um im Gegenpressing ausreichend Zugriff zu bekommen.
Die Hoffenheimer gingen vor allem in der zweiten Halbzeit großes Risiko, wussten dies jedoch nicht gekonnt abzusichern. Polanski wurde gut isoliert, sodass der Ballvortrag stets über zwei Linien erfolgen musste. Die konterstarken Stuttgarter nutzten dies immer wieder für Interceptions und fuhren schnelle Konter durch die nicht optimal abgesicherten Räume der Hoffenheimer, die durch die teilweise zu offensiven Achter offen gelassen wurden. Trotz der guten Ansätze im Angriffsspiel was Kombinationen und Überladungen bestimmter Räume betraf, war es dann die fehlende Stabilität in der Defensive, beziehungsweise die passende Wechselwirkung zwischen Offensive und Defensive bei den Kraichgauern.
Fazit
Julian Nagelsmann ist ein junger Trainer, der sich gut ausdrücken kann. Grund genug für viele ihn entweder zu feiern, oder zu behaupten er würde zu viel gefeiert werden, ohne dass was dahinter steckt. In den bisherigen Hoffenheimer Spielen konnten man jedoch eine deutliche Verbesserung, taktisch sowie spielerisch, zur bisherigen Saison erkennen. Nagelsmann leistet interessante Arbeit, die mit etwas mehr Zeit durchaus zum Erfolg führen kann.
David Goigitzer, abseits.at
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