Für Fans von Borussia Mönchengladbach war das letzte Weihnachten wohl das schlimmste, das sie je erlebten. Zehn Punkte zur Winterpause bedeuteten die schlechteste Hinrunde... Gladbach unter Lucien Favre – so wurde die beste Hinrunde seit 35 Jahren möglich (Teil 2)

Für Fans von Borussia Mönchengladbach war das letzte Weihnachten wohl das schlimmste, das sie je erlebten. Zehn Punkte zur Winterpause bedeuteten die schlechteste Hinrunde der Vereinsgeschichte. Zwölf Monate später sieht die Sache ganz anders aus. Zur Saisonhalbzeit liegen die Fohlen mit 33 Punkten auf einem Champions-League-Qualifikationsplatz und blicken auf die beste Herbstsaison seit 35 Jahren zurück. Dabei gelang der Wandel ohne große Investitionen und Neuzugänge. abseits.at wirft einen Blick auf die Maßnahmen, mit denen Lucien Favre der Borussia wieder zu altem Glanz verhalf.

Gestern beschäftigten wir uns vor allem mit der Defensive und der Mittelfeldabsicherung der Gladbacher – doch wie kamen nun die 25 Hinrundentore zustande? Zunächst lässt sich vermuten, dass die Mannschaft, ob ihrer physisch starken Spieler, zu den besten nach Standardsituationen zählt. Die Realität zeigt das Gegenteil: Nur vier Mal ging einem Gladbach-Tor ein Eck- oder Freistoß voran – nur Hoffenheim, Freiburg und Kaiserslautern sind schlechter. Das Geheimnis im Spiel nach vorne ist die extrem hohe Laufbereitschaft der vier Offensivkräfte.

Auf den Flügeln wird viel rotiert, während die beiden Spitzen sehr zurückgezogen agieren. Vor allem Mike Hanke geht, wie man an obiger Grafik erkennen kann, extrem weite Wege und erschafft so für seine Mitspieler viele freie Räume, in die diese hineinstoßen können. „Mike arbeitet viel für die Mannschaft“, sagt Favre über den WM-Teilnehmer von 2006, der „vorne immer eine Anspielstation“ ist. Und obwohl der 28-Jährige über 1000 Minuten auf sein erstes Saisontor warten musste, galt er immer als Stammspieler. „Ich bin sehr zufrieden mit ihm“, hielt Favre dem Stürmer auch während seiner torlosen Phase die Stange. „Ich bin froh, dass ich nicht nur an Treffern gemessen werde. Auch von den Fans nicht. Alle sehen, dass ich mein Spiel dem Erfolg unterordne statt selbst den Abschluss zu suchen“, erfuhr der fast schon Abgeschriebene stets das Vertrauen des Umfelds. „Lucien Favre hat schon früh erkannt, dass ich auch andere Stärken habe, als nur vorne reinzugehen und den Torabschluss zu suchen. Ich soll die Bälle verteilen, Marco Reus einsetzen, die Flügel bedienen, mich oft zurückfallen lassen, Anspielstation für Doppelpässe sein“, beschreibt er seine Rolle im System des VfL, das sich als 4-2-4-0-Formation ohne wirklichen Stürmer auffassen lässt.

Marco Reus – der Superstar

Die Schlüsselfigur in der Elf vom Niederrhein ist allerdings zweifellos Marco Reus. Zu Saisonbeginn noch auf dem rechten Flügel zuhause, forcierte Favre das Angriffspiel des flinken Technikers und funktionierte ihn zum Stürmer um. Wobei er sich im Stile einer „falschen Neun“, wie oben gezeigt,

vermehrt zurückfallen lässt um die Verbindung zwischen Mittelfeld und Angriff zu intensivieren und am Spielaufbau wesentlich beteiligt ist. Ein sehr kluger Schachzug des Schweizer Trainers, erfüllt Reus doch mit seiner hohen Dynamik und Torgefahr, sowie einer starke Ballkontrolle und Handlungsschnelligkeit alle Anforderungen an den modernen Spielertypus.

Es war wohl die wichtigste und schwerste Aufgabe des Managements den Tempodribbler im Sommer von einem Verbleib beim Fast-Absteiger zu überzeugen. Dass dies gelungen ist, ist Sportdirektor Max Eberl hoch anzurechnen. Sich selbst erwies er damit allerdings einen Bärendienst. Kaum eine Woche vergeht, in der er nicht zu Wechselgerüchten seines Superstars Stellung nehmen muss. Für 18 Millionen Euro kann der dreifache deutsche Nationalspieler den UEFA-Pokalsieger von 1975 und 1979 verlassen und, dass das der Fall sein wird, daran zweifelt trotz Vertrags bis 2015 kaum jemand. Als heißeste Abnehmer gelten Rekordmeister Bayern München und Reus‘ Ex-Verein Borussia Dortmund. Für fast alle war der 22-Jährige nicht nur aufgrund seiner zehn Tore der beste Spieler der Hinrunde.

Juan Arango – der Hurrikan der Karibik

Blendet man den Rummel um Reus aus, so ist Juan Arango der Dreh- und Angelpunkt im Aufbauspiel. Aus seinem starken linken Fuß schüttelt er so manchen schönen, öffnenden Pass und kurbelt so das Spiel seines Teams an. „Juan ist einfach ein sensationell guter Fußballer. Er ist ein richtiger Instinktfußballer, der weiß wo der Mitspieler steht, er hat eine unwahrscheinlich gute Technik, eine Weltklasse Schusstechnik und er spielt starke Pässe. Ich bin froh, dass er in Gladbach ist und ich mit ihm zusammenspielen kann“, ist Reus von den gestalterischen Fähigkeiten seines Teamkollegen angetan. „Er kann Fußball lesen und antizipieren, sein linker Fuß ist sehr, sehr stark, er spielt mit dem den Ball fast wie mit der Hand“, schwärmt auch Favre vom Spielgestalter. Dass der 31-Jährige kreativ beschlagen ist, ist aber schon seit zweieinhalb Jahren, als von Mallorca aus in die Bundesliga kam, bekannt. Vielmehr überrascht er mit seinen „neuen“ Defensivqualitäten – etwas, das also mit dem Trainerwechsel zusammenhängt. „Ich habe eine sehr gute Beziehung zu ihm“, sagt Arango über Favre, der trotz intensiver Sommervorbereitung auch während der Copa America mit seinem Mittelfeldspieler in Kontakt blieb.

Zusammenfassung

Egal ob Arango, der vom lustlosen Traber zum eifrigen Arbeiter mutierte, Hanke, der als abgeschobener Mitläufer wie ein Phönix aus der Asche stieg, ter Stegen, der einen rasanten Aufstieg zur Bundesligaspitze hinlegte, oder auch Patrick Herrmann, der als stiller Held mit seinen Aufgaben wächst, Lucien Favre setzt in Gladbach vor allem auf eines: Vertrauen. Angesichts der prekären Lage bei seinem Amtsantritt, war es eine durchaus waghalsige Entscheidung, die auch gut nach hinten losgehen hätte können. Aufgrund des durchlebten Überlebenskampfs letzte Saison sind seine jungen Spieler jedenfalls abgehärtet, können Tiefschläge leichter wegstecken. Trotz biederer Oktober-Leistungen, mit Niederlagen gegen Freiburg und Hoffenheim, sowie einem Unentschieden gegen Bayer Leverkusen, und dem drohenden Pokal-Aus in der zweiten Runde beim 1. FC Heidenheim, blieb die Mannschaft cool, wandte im Elfmeter die Pleite gegen den Drittligisten ab und antwortete in der Bundesliga mit vier Siegen in Serie. Nach der 5:0-Gala gegen Werder Bremen lobte der unterlegene Schaaf das Wirken Favres: „Mein Kollege leistet fantastische Arbeit und hat eine Mannschaft zusammengestellt, die umsetzt, was man braucht. Die sich als Team einsetzt, in dem jeder seine besonderen Fähigkeiten zusätzlich abrufen kann.“ Der Schweizer erkannte die punktuellen Stärken jedes Spielers und setzt diese gezielt ein – insbesondere Hanke ist hier hervorzuheben.

Doch auch Manager Max Eberl sollte bei all den Lobeshymnen auf den Trainer nicht vergessen werden. Neben der Reus-Bindung, stellten sich ebenjener Hanke, Stranzl und Nordtveit, die alle im letzten Winter zur Mannschaft stießen, als absolute Glücksgriffe raus. Dabei war zwischen Trainer und Manager nicht immer alles Eitel Wonne. Vor dem Bundesligastart gab es zwischen den beiden Zoff um die Transferpolitik. Mit Wendt, King, Leckie, Zimmermann, Rupp und Otsu hat man zwar in Kaderbreite investiert, richtig Fuß konnte allerdings noch keiner fassen. Und so ist die fehlende Klasse in der zweiten Reihe ein heikles Thema, das in der noch lange Saison zu einem durchaus wichtigen Faktor im Kampf um internationale Startplätze werden kann. Soweit denkt in Gladbach allerdings kaum jemand, Eberl: „Wir behalten unser Ziel, 40 Punkte plus X zu holen, und gehen weiter den Weg der kleinen Schritte.“

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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