Am 5. Juni dieses Jahres hatte man nach wochenlangem Hin und Her endlich Gewissheit: Shinji Kagawa wechselt vom Borussia Dortmund in die Premier League... Kagawa raus, Reus rein – steht Borussia Dortmund ein weiterer Philosophiewechsel ins Haus?

Am 5. Juni dieses Jahres hatte man nach wochenlangem Hin und Her endlich Gewissheit: Shinji Kagawa wechselt vom Borussia Dortmund in die Premier League zu Manchester United. Rund 15 Millionen Euro überwies der englische Rekordmeister auf das Konto des deutschen Doublesiegers. Den Kaderplatz des Japaners nimmt ab der kommenden Saison Marco Reus ein. Auf dem ersten Blick scheint dieser ein exzellenter Ersatz zu sein, doch wird der 23-Jährige seine Leistungen bestätigen können? Und was ändert dieser Tausch an der Spielausrichtung der Dortmunder?

Mit dem offiziellen Ziel die Saison 2012/2013 mit einem Tabellenplatz, der zur Teilnahme an der Champions League berechtigt, abzuschließen, startete Borussia Dortmund am 4. Juli in die Vorbereitung. Zwar sind die Ansprüche im Ruhrpott gestiegen, dennoch scheint die Zielvorgabe konservativ gewählt worden zu sein, bedenkt man, dass der BVB in den letzten zwei Jahren drei Titel gewann. Vor allem die Art und Weise wie man die Meistertitel Nummer sieben und acht sowie den dritten DFB-Pokalsieg einfuhr, macht die Schwarzgelben wieder zum ersten Herausforderer des FC Bayern München. Im Gegensatz zu den Münchnern, die viel Geld in neue Beine investierten, hielt sich der Ballspielverein am Transfermarkt vergleichsweise zurück.

Durchschnittlicher Neuzugang ist 20,8 Jahre alt

Einmal mehr holte die Borussia in erster Linie junge Kicker ins Boot. „Wir sind sicher gerade bei den jungen Spielern, die erfolgshungrig sind, die sich weiterentwickeln und den nächsten Schritt machen wollen, eine erstklassige Adresse, das stimmt. Wir haben bewiesen, dass wir in der Lage sind, junge Spieler sehr gut entwickeln können“, meint Sportdirektor Michael Zorc. Das Durchschnittsalter der Neuzugänge, inklusive eingegliederter Nachwuchs- und Amateurkicker, beträgt 20,8 Jahre. Wenn Trainer Jürgen Klopp im Trainingslager in Kirchberg in Tirol, wo die erste Vorbereitungsphase ohne die EM-Teilnehmer und Ersatzkeeper Langerak verbracht wurde, Alt gegen Jung spielen ließ, musste Thomas Meißner (Jahrgang 1991) bei den Alten ran. Ebenfalls für diese streifte Oliver Kirch das Markierungsleibchen über. Mit 29 Jahren ist der Ex-Lauterer der mit Abstand älteste Neue im Kader. Am Betzenberg rieb man sich die Hände als die Ablösesumme in Höhe von 400.000 Euro am Konto einlangte, stand Kirch doch nicht auf der Liste der Spieler, mit denen die Roten Teufel den Wiederaufstieg angreifen wollten. In Dortmund sieht man ihn als wichtige Kaderergänzung, da er sowohl als Rechtsverteidiger als auch im defensiven Mittelfeld eingesetzt werden kann. „Wer sagt denn, dass man nicht auch mit 29 noch lern- und entwicklungsfähig ist?“, spielt Kirch ein wenig auf Lukasz Piszczek an, der 2010 ebenfalls von einem Absteiger kam. Während man an Kirch wohl auch trotz ausbleibender Entwicklung festhalten wird, ist dies an die anderen Neuzugänge die oberste Anforderung. Leonardo Bittencourt (18, von Energie Cottbus) und Mustafa Amini (19, von Central Coast Mariners) stehen vor einem großen Umstieg, während Julian Schieber (23, vom VfB Stuttgart) schon viel Bundesligaluft geschnuppert hat.

Reus wird das Spiel verändern

Den Königstransfer tätigten die Dortmunder bereits im Jänner. Für 17 Millionen Euro holte man Marco Reus, der bereits im Nachwuchs die Schuhe für die Schwarzgelben schnürte, von Borussia Mönchengladbach. Eine besondere Rolle bekommt der 23-Jährige aufgrund seiner Ablösesumme jedoch nicht, wie Klopp klarstellte: „Marco Reus braucht keine Sonderstellung, er will sie nicht, und ich vergebe sie auch nicht.“ Der Cheftrainer geht dennoch davon aus, dass die Eingliederung des Dortmunder Jung Auswirkungen auf die Spielweise seiner Mannschaft haben wird. „Unser Spiel wird sich ein bisschen verändern“, so der 45-Jährige. „Doch ich sehe darin auch eine Chance, auf Sicht einen größeren Variantenreichtum in unser Spiel zu bekommen.“ Einer ähnlichen Konstellation sahen sich die Verantwortlichen bereits letzten Sommer gegenüber, als mit Nuri Sahin der beste Spieler der vorangegangenen Meistersaison zu Real Madrid wechselte. Klopps Plan sah es vor die dadurch entstandene Last auf mehrere Schultern zu verteilen. Dieses Vorhaben verlangte allerdings einige Zeit, so dass der BVB nur mäßig in die Saison startete. Die Automatismen und Abläufe griffen nur teilweise, Abstimmungsprobleme in der Defensive zwangen selbst Führungsspieler wie Hummels zu katastrophalen Schnitzern. Am Innenverteidiger blieb auch einiges im eigenen Aufbauspiel hängen, nachdem Gündogan zu Beginn nur wenig überzeugte. Mit Fortdauer der Saison schaukelte sich das ganze jedoch zu einem Perpetuum mobile hoch. Der schwarzgelbe Zug eilte von Sieg zu Sieg und fuhr schließlich mit der Rekordmarke von 81 Punkten im Ziel ein. Dass diese beste Bundesligasaison in der Geschichte möglich wurde, lag zu einem Gutteil an der Philosophieänderung. Das Spiel wurde unausrechenbarer. Über die Seiten sorgten die Außenverteidiger vehement für Gefahr, Hummels‘ präzise Pässe hinter die Abwehr waren ein ebenso effizientes Mittel wie das Überladen des Zentrums durch die einrückenden Flügelspieler und Lewandowski, der sich viel bewegte. Hand in Hand mit dem Aufschwung der Borussia ging jener von Spielmacher Kagawa.

Wie sich das Spiel verändern wird

Nach anfänglichen Probleme, die auch mit seinem im Jänner 2011 erlittenen Mittelfußbruch zu tun hatten, entwickelte sich der Japaner in rasend schnellen Tempo weiter. Während er in der Hinrunde 2010, so wie die gesamte Mannschaft, oft von großen Räumen profitierte, zeigte er in der abgelaufenen Saison, dass er auch trotz Platzmangels für entscheidende Impulse sorgen kann. Er war stets bemüht den Ball zu empfangen und ihn mit Schnittstellenpässe an seine Mitspieler weiterzuleiten oder im Dribbling selbst den Weg zum Tor zu suchen. Einen ähnlichen Nachweis muss auch Reus bringen, denn Gladbachs überfallsartiges Vertikalspiel baut auf ähnliche Räume in der Offensive wie sie der BVB 2010/2011 vorfand. Im BVB-Trikot wird er jedoch mit tiefer stehenden Gegnern und im schlimmsten Fall mit einer harten Manndeckung zu kämpfen haben. Die technischen Voraussetzungen dafür bringt er allemal mit, wovon man sich auch kürzlich bei der Europameisterschaft überzeugen konnte. Eine vergleichbare Positionen wie Kagawa sie in Dortmund ausfüllte, besetzte er in der Vergangenheit jedoch streng genommen nicht. In der Nationalelf agiert er auf dem Flügel beziehungsweise wurde im Training von Bundestrainer Löw als Sturmalternative getestet, am Niederrhein begann er seine Bundesligakarriere ebenfalls auf der Außenbahn um von Lucien Favre zum modernen Stürmer umfunktioniert zu werden. Im Stile einer falschen Neun legte er große Distanzen zurück, driftete auf die Flügel ab um mit den kreativen Flügelspielern zu kombinieren. Genau in dieser Vielseitigkeit sieht Klopp die Chance mehr Variantenreichtum ins Spiel bringen zu können. Kagawa wurde stets auf der Zehnerposition eingesetzt. Nur zu Beginn seiner Deutschland-Zeit, in der Vorbereitung vor zwei Jahren, sah man in ihm eine Option für den Flügel. Da er allerdings nur überschaubare Flankenqualitäten mitbrachte, dafür enormes Potential im Dribbling besaß, zog ihn Klopp in die Mitte. Reus hingegen dürfte oft in Rochaden mit Götze, der laut eigenen Angaben seine Stärken im zentralen, offensiven Mittelfeld sieht, mit einbezogen werden. Sollte zusätzlich auf der anderen Seite noch Perisic auflaufen, gäbe es eine weitere Option, da der Kroate ebenfalls als hängende Spitze agieren kann. Allerdings darf man keinesfalls vergessen, dass es einige Zeit in Anspruch nimmt bis die Automatismen bei solchen Umstellungen greifen, deshalb sprichtKlopp auch davon, dass diese Änderungen auf Sicht“  mehr Optionen ins Angriffsspiel bringen. Dies sollte auf alle Fälle berücksichtigt werden, wenn vonseiten des medialen Mainstreams nach kurzer Zeit eine Krise heraufbeschworen wird.

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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