Luhukays Handschrift: Die taktischen Stärken und Schwächen der Hertha
Deutschland 18.Januar.2015 Rene Maric 0
Die Mannschaft von Jos Luhukay war in der vergangenen Saison eine der Überraschungen in der deutschen Bundesliga. Lange hielten sie sich in der Spitzengruppe der Liga, aber bereits da begannen sie schwächer zu werden und dieser Trend setzte sich in dieser Saison fort. Interessante taktische Punkte gibt es dennoch zu sehen – werden aber nicht ausreichend genutzt.
Simple, aber saubere Abläufe in erster Linie
Im Aufbauspiel agieren die Herthaner meistens in einem 2-4-4 oder 2-4-1-3. Zwei Sechser besetzen vor den Innenverteidigern die Mitte, die Außenverteidiger rücken vor, tun dies allerdings weder allzu weiträumig noch aggressiv. Die Flügelstürmer halten die Breite und schieben nur situativ in die Mitte, während je nach Situation sich einer der zwei Stürmer zurückfallen lässt oder man grundsätzlich mit einem Zehner agiert. Dieser spielt allerdings häufig wie ein hängender Stürmer. Besonders Ronny und Kalou haben diese Rolle in dieser Saison schon erfüllt.
In der ersten Linie wirken die Mannen von Luhukay gut gecoacht. Die Bewegungen im Aufbauspiel, die Abstände und die Reaktionen auf Bewegungen der Mitspieler wirken sehr sauber und aufeinander abgestimmt. Das ist beim Abkippen eines der Sechser – meistens macht dies der sehr unterschätzte Hosogai – am eindrücklichsten zu sehen.
Darum ist die Hertha nur in einzelnen Spielen und Situationen anfällig für das Aufbauspiel; meistens, wenn Hosogai nicht spielt oder der Gegner den Zugriff im Pressing sehr gut vorbereitet. Allerdings werden diese Strukturen von der Hertha häufig nicht in höhere Zonen übertragen oder auch im Mittelfeld nicht genutzt.
Probleme beim Übergang ins letzte Drittel
In den höheren Zonen wirken ihre Bewegungen nicht mehr so harmonisch, desweiteren nutzen sie hier aus Stabilitätsgründen deutlich weniger Spieler. Damit möchte man nach Ballverlusten und bei Kontern stehen, was aber zulasten des Gegenpressings und der Angriffseffizienz geht. Insbesondere die Flügelstürmer müssen sich häufig alleine durchsetzen und können von den gegnerischen Mannschaften mit simplen Mitteln beim ballorientierten Verschieben isoliert werden. Das erklärt auch, wieso die Hertha vergleichsweise wenige Schüsse pro Spiel herausspielt.
Das Spiel aus dem Mittelfeld in die Spitze und zum gegnerischen Tor hin leidet unter der geringen Nutzung von Vertikalläufen, unterstützenden Kombinationen und einem grundsätzlich zu hohen Fokus auf Vertikalität. Immer wieder probieren sie schnell zum Abschluss zu kommen, wodurch die Chancenqualität abnimmt. Die Staffelungen im Abschluss sind unpassend, die Situationen werden nicht sauber kreiert und man muss sich mit zahlreichen Halbchancen oder misslungenen Angriffsversuchen zufrieden geben.
Desweiteren haben sie auch Probleme konstruktiv ins letzte Drittel zu kommen. Die Hertha spielt eine große Anzahl von langen Bällen, hat eine geringe Passquote (in der Hinrunde nur 68%) und wenig Ballbesitz (42%). Dadurch liegen sie in der Liga in diesen Kategorien jeweils unter dem Schnitt, obwohl sie in der eigenen Hälfte durchaus passende Aufbaumuster hätten, um Druck des Gegners konstruktiv auszuspielen. Viele Angriffe werden vom Gegner auf die Seite geleitet und die Hertha kann nicht mehr in die Mitte kombinieren.
Die langen Bälle im Spielaufbau sind ein weiteres Problem. Während bei den Angriffen zumindest vereinzelt der ballnahe Außenverteidiger oder der zweite Sechser vorschieben und unterstützen können, sind die Offensivspieler bei den langen Bällen komplett isoliert. Der Gegner erhält die meisten langen Bälle, wodurch ein hohes Pressing gegen die Hertha effektiv ist. Obwohl sie den Druck umspielen könnten, weigern sie sich häufig und spielen lange Bälle. Dadurch verschieben sie den Druck aber nur nach vorne, verlieren den Ball und lassen Angriffe des Gegners zu (wenn auch weniger gefährlich als nach tiefen Fehlpässen oder Ballverlusten).
Luhukays Stabilitätsfokus bewirkt also ein kleines Paradoxon: Man ist stabil, aber zugunsten einer effektiveren (wenn auch vielleicht instabileren) Spielweise. Ähnliches ist auch in der Arbeit gegen den Ball der Fall.
Formative Flexibilität, aber Rigidität in der Deckung
Die Hertha ist womöglich jene Mannschaft in der gesamten Liga, welche am extremsten und intensivsten die Manndeckung praktiziert. In der letzten Dekade hat die Raumdeckung (in unterschiedlichen Ausführungen) Einzug in die Liga gehalten und die Manndeckung ist passé, doch unter Luhukay spielt die Hertha ein Deckungssystem, welches einer klassischen Manndeckung am ähnlichsten kommt. Hierbei gibt es zwar ein Kettenspiel in der Viererkette, ballorientiertes Verschieben, doch innerhalb der Formation wird insbesondere ballnah eine Manndeckung praktiziert. Jeder Herthaner in Ballnähe übernimmt dann einen Gegenspieler und verfolgt ihn. Sie werden zwar situativ übergeben, häufig gibt es aber auch sehr weiträumige und längere Verfolgungen eines Gegenspielers.
Um diese Manndeckung zu ermöglichen, nutzt Luhukay unterschiedliche Formationen und passt diese an den Gegner an. Meistens spiegelt er die gegnerische Formation. Das bedeutet, dass gegen ein klares 4-4-2 ein 4-4-2 gegen den Ball gespielt wird, gegen ein 4-2-3-1 nutzt er ein 4-1-4-1 und gegen ein 4-1-4-1 nutzt er ein 4-2-3-1/4-4-1-1. Dadurch sollen die eigenen Spieler möglichst geringe Abstände zu einem Gegenspieler haben und simpel manndecken können.
Im Pressing gibt es aber einzelne Positionen und Zonen, wo nicht manngedeckt wird.
Leiten und Raumdeckung der Stürmer
Die Manndeckung verbindet Luhukay mit einer situativen Raumdeckung der Stürmer, der Verteidiger und der ballfernen Spieler sowie einem Leiten im Pressing.
Die Verteidiger dürfen ihre Position weiträumig verlassende Gegenspieler in den Raum überlassen. Dadurch hat der Gegner zwar Überzahl im Mittelfeld, jedoch steht die Hertha weiterhin stabil vor dem eigenen Strafraum. Die ballfernen Spieler dürfen sich von ihren Gegenspielern entfernen und die Mitte unterstützen, um nach Hereingaben in die Mitte die Kompaktheit dort zu wahren und keine einfachen Chancen für den Gegner zu gewähren.
Am interessantesten ist aber die situative Raumdeckung und asymmetrische Formation der Stürmer. Oftmals positionieren sich die zwei Stürmer im 4-4-2 extrem tief und decken nicht die Innenverteidiger, sondern besetzen den gegnerischen Sechserraum. Dadurch stellen sie ein 4-4-2-0 her, welches sehr kompakt ist und den Gegner auf die Seite leitet. Dort pressen sie sehr aggressiv und mannorientiert, um Ballgewinne zu verbuchen.
In einigen Spielen haben sie auch mit einem asymmetrischen Sturm agiert, wo einer der Stürmer konsequent einen gegnerischen Innenverteidiger deckte, der andere aber das Mittelfeld unterstützte. Damit leiten sie den Gegner im Idealfall immer auf eine Seite und stellen diese zu.
Wie sieht die Zukunft aus?
Insgesamt ist die Hertha also schwächer als im Vorjahr zu bewerten, obwohl sie mit Heitinga, Kalou und Co. einige tolle Verpflichtungen gemacht haben. Weniger Verletzungen, eine bessere Nutzung dieser Spieler und Mut zum Risiko würden unter Umständen dafür sorgen, dass sich die Hertha in der Rückrunde wieder nach oben orientieren kann. Das Coaching und das Spielermaterial sind an sich gut, sie werden nur nicht ihren Stärken entsprechend eingebunden – der Stabilitätsfokus ist hier nachteilig. Wie Luhukay in Zukunft umgeht, könnte eventuell die Tabellenmitte der Bundesliga durcheinanderwirbeln.
Rene Maric, abseits.at
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