Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Heute reden wir über einen Ex-Profi, der mittlerweile sehr kritische Worte über das Fußballbusiness findet…
„Unsere Wohnung in Dortmund ist 59 qm2 groß und das reicht auch.“, sagt Shari. Der Mann neben ihr am Steuer des Bootes lächelt. Das Paar macht gerade eine Bootsfahrt auf der Spree in Berlin. Der Mann heißt Neven Subotić. Gertenschlank, mit halblangem Haar, Anzug und Pullover sieht er aus wie ein Lehrer oder Bankangestellter, doch der 33‑jährige ist Ex-Fußballprofi, ehemaliger Nationalspieler, zweifacher deutscher Meister, Champions League-Finalist und Pokalsieger. Die Millionen, die er in seinem halben Leben erwirtschaftet hat, will er nicht für sich ausgeben. Er ist mittlerweile Aktivist und steckt sein Vermögen in eine nach ihm benannte Stiftung, die sich karitativen Projekten in Afrika widmet.
„Für meine Eltern waren alle Träume vorbei.“
Die meisten erfolgreichen Profifußballer behaupten, sie seien trotz Villa, Ferrari und Rolex auf dem Boden geblieben: Wenn es hart auf hart kommt, dann wüssten sie, was wirklich wichtig wäre; jetzt würden sie sich eben nur jenen Luxus gönnen, von dem sie immer fantasiert hatten oder ihr entbehrungsreiches Athletenleben mit materiellen Dingen kompensieren. Marko Arnautović hat einmal gesagt, er kenne keinen Fußballer, der in einer kleinen Wohnung lebe. Es gibt aber einen: Neven Subotić. Doch es gab auch für den ehemaligen BVB-Spieler Zeiten, in denen er sich über seinen Monatsverdienst definierte; als Jungprofi orientierte er sich noch an seinen Kollegen und schien sich schlaraffenlandmäßig sämtliche Kindheitsträume zu erfüllen: „Irgendwann habe ich mir auch meinen Cadillac Escalade mit 26 Zoll-Felgen geholt. Mit der Zeit bin ich aber zurückgerudert und habe mich dort geortet, wo ich mich wohlfühle und nicht wo andere mich gerne hätten.“
Seine sportlich erfolgreichste Zeit als Fußballer verlebte Neven in seinen zehn Jahren bei Borussia Dortmund. Der Defensivspieler bildete mit dem gleichaltrigen Mats Hummels zeitweise das beste Innenverteidigerduo der Liga und hatte so massiven Anteil am Gewinn der beiden deutschen Meisterschaften 2011 und 2012. Als 19-jähriger bekam er von Jürgen Klopp, unter dem er einst bei Mainz 05 zum Bundesligaprofi avancierte, das Vertrauen geschenkt und wurde zu einer Hälfte des schwarz-gelben „Kinderriegels“. Die Fans mochten den zurückhaltenden, klugen Kicker; der BVB reüssierte in Meisterschaft, Pokal und Champions League. Wenn man Neven aber fragt, wie es in diesen Jahren – trotz oberkörperfreiem Tanzen auf Autos, Tore verhindern gegen Benzema und Jubeln vor der „gelben Wand“ ‑ in ihm aussah, erzählt er, dass seine persönliche Entwicklung damals stehen geblieben sei. Als Mensch sei er irgendwann „auf Autopilot“ geschalten worden, resümiert er heute die Dekade als BVB-Profi. Er habe sich nur über seinen Beruf definiert; wenn es am Platz geklappt habe, habe er sich über alles andere keine Gedanken mehr gemacht. Doch sein verschüttetes Gewissen sei langsam wieder an die Oberfläche gedrungen. Diesen Prozess beschrieb Subotić in einer TV-Sendung folgendermaßen: „Wenn ich [als Spieler, Anmerkung] ‚Charity‘ gemacht habe, dann war das mal hier eine Veranstaltung, mal hier ein Pressetermin. Die Reaktion war damals immer: ,Das ist super, das ist herausragend.‘ Mein Gewissen hat aber gesagt: ,In deiner eigenen Bewertung ist es das nicht.‘ Irgendwann hat mein Gewissen aufgeholt und Vorsprung eingenommen.“ Heute interessiere ihn der Zinnober um den Leistungssport gar nicht mehr, seine Prioritäten haben sich verschoben.
Seine Profifußballkarriere startet der Verteidiger im Alter von 17 Jahren in Deutschland, als er zum zweiten Mal den Boden der Bundesrepublik betritt. Damals hat der Teenager bereits eine lange Reise hinter sich: Begonnen hat sein Leben am 10. Dezember 1988 in Banja Luka, damals Jugoslawien. Seine Eltern verlassen noch vor dem Krieg ihre Heimat und ziehen mit dem damals Eineinhalbjährigen und seiner Schwester nach Schömberg im Schwarzwald, wo sie – prophetisch – zunächst im Dachgeschoss eines lokalen Fußballklubs nächtigen. Nachdem ihre hochwertigen Ausbildungen in Deutschland nicht anerkannt werden, schuftet der Vater auf dem Bau, die Mutter arbeitet als Putzfrau. Zerplatzte Träume: Die Eltern schicken jede D-Mark, die sie übrighaben, an die zurückgebliebenen Verwandten. Der kleine Neven hat das Fußballtalent seines Papas geerbt und schnürt seine ersten Schuhe beim TSV Schwarzenberg. Trotz kargen Verhältnissen läuft das Leben recht gut, bis zehn Jahre später der Duldungsstatus der Familie abläuft.
Herz und Kopf
Zufällig erfahren die Subotićs von der Möglichkeit eine Green Card zu bekommen und starten in Salt Lake City, im konservativen Wintersportort der USA, einen Neuanfang. Es geht wieder von vorne los: Neue Kultur, neue Freunde, neue Jobs. Während Željko Subotić LKWs fährt, kickt sein Sohn aus Spaß bei verschiedenen Vereinen. Zufälligerweise ist der Coach eines seiner Klubs auch U 17-Nationaltrainer und entdeckt den Talentierten für seine Auswahl. An eine Profikarriere wagt Neven zunächst trotzdem nicht zu denken. Als er an der University of South Florida spielt, kommt allerdings die große Chance: Ein Berater spricht ihn anlässlich der U 17-WM in Peru an und fragt, ob er nicht einmal in Europa kicken möchte. Er fädelt ein Probetraining bei Mainz 05 ein, wo sich der Spieler zunächst in der zweiten Mannschaft beweist.
Obwohl er es nie für möglich gehalten hat, wird aus dem „Lauch“ (O-Ton: Subotić) ein Bundesligaprofi. Schon in seiner ersten Saison in der Mainzer Kampfmannschaft verpasste er nur ein Pflichtspiel. 2008 geht er mit seinem Entdecker Jürgen Klopp zu Borussia Dortmund. Es beginnt jene bereits beschriebene, erfolgreiche Ära. „Das ist einer der schönsten Momente in meinem Leben gewesen.“, sagt er, als er Jahre später die Videoaufnahmen von seiner Rückkehr als Union Berlin-Spieler vor der „gelben Wand“ sieht. Er gilt als BVB-Ikone; noch heute lebt er in Dortmund.
Neven ist ein intelligenter Fußballer, der gut antizipiert; kein Techniker, sondern ein „Hackler“, der läuft und grätscht aber trotzdem fair spielt. Besonders in seiner ersten Zeit beim BVB glänzt er auch mit Kopfballtoren. Der Erfolg kommt schnell, weil sich das Team den gemeinsamen Zielen unterordnet, erzählt der gebürtige Osteuropäer. Neben Motivator Großkreutz, Supertalent Götze und Stürmerstar Lewandowski fällt er in der medialen Berichterstattung nicht so auf, liefert aber trotzdem den Fußballspruch 2009: „Er muss ja nicht unbedingt dahin laufen, wo ich hingrätsche.“ In diesem Jahr gibt er auch sein Debüt für die serbische Nationalmannschaft, für die er 36 Spiele bestreiten wird. Für den jungen Mann, der einst Dejan Savićević bewunderte, geht ein Traum in Erfüllung.
Nach einem Kreuzbandriss im November 2013, ist die Saison 2014/15 Nevens letzte gute Spielzeit im Ruhrpott. In der darauffolgenden Bundesligarunde macht er nur mehr sechs Spiele und wird zum 1. FC Köln verliehen. Es folgt eine Spielzeit beim französischen Rekordmeister AS St. Etienne, danach läuft der Verteidiger für Union Berlin und in der türkischen Süper Lig für Denizlispor auf, ehe er seine Abschiedssaison in Altach spielt. Im Juni 2022 erklärt er seine Karriere für beendet. Die Fußball-WM 2010 in Südafrika bleibt sein größter Auftritt als Nationalspieler.
Der Mann, der nach Wasser gräbt
Heute steckt Neven Subotić jene Tugenden, die ihn als Spieler ausgezeichnet haben, in die nach ihm benannte Stiftung, die im November zehn Jahre alt wird. Nachdem es „klick“ gemacht hatte, habe er sich Schritt für Schritt von Jacuzzi, Harley und Co. getrennt. „Als ich materielle Dinge hatte, haben sie mich nicht glücklich gemacht.“, begründet er diese Entscheidung. Ein Freund bewegt ihn dazu sein Geld in eine Stiftung zu stecken. Nach anfänglichen Zweifeln ist Subotić heute glücklich auf diesen Freund gehört zu haben. Endlich hat er das Gefühl etwas Sinnvolles zu leisten. Er wünsche sich als jemand von dieser Welt zu gehen, der etwas Positives bewirkt hat, erzählt er. Aktuell baut die Neven Subotić-Stiftung Brunnen in Kenia und Äthiopien. Ihr Gründer hat ein Buch geschrieben „Alles geben.“, in dem er nochmals erklärt, warum er sich sozial engagiert.
Subotić hat schon seit einiger Zeit kein eigenes Auto mehr; in Berlin löste er eine Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsbetriebe. Sein Handy benutzt er trotz zersprungenem Display. Der Sohn von Kriegsflüchtlingen ist froh dem kapitalistischen Teufelskreis aus „Immer-mehr-haben-zu-müssen“ entkommen zu sein. Die Schuld für das (teilweise) extravagante Leben seiner Ex-Kollegen sucht er auch in der Gesellschaft: „Die Erwartung [an Profifußballer, Anmerkung] ist nicht nur beruflich hoch, sondern auch dahingehend, dass man ein bestimmtes Klischee erfüllt.“ Fußball habe er bis zum Ende seiner Karriere geliebt, vom Drumherum war der serbische Nationalspieler jedoch irgendwann genervt. Heute ist er angewidert. Es geht sogar so weit, dass er meint, sich im Rückblick zu schämen als Spieler zum Teil so sinnlos gelebt zu haben. Das sind harte Worte. In einer Gesellschaft, in der nur mündige Menschen und somit auch mündige Fußballer etwas verändern können, ist das aber ein absolut notwendiges, heilsames Statement.
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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