Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (42) –  Cacau (KW 42)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an: Heute porträtieren wir einen brasilianischen Kicker, der seine sportliche und persönliche Heimat über Umwege in Deutschland gefunden hat…

Während sich der Mercedes vorsichtig den Weg durch Fanmassen mitten in der Stuttgarter Innenstadt bahnte, wusste er, dass es sich ausgezahlt hatte. Seine Grundtugenden – Beharrlichkeit, Vertrauen, Arbeitseifer – hatten ihn hierhergebracht: Cacau trug die brasilianische Fahne um die Schulten geknotet und bewegte die Arme zum Takt der Musik. Er saß gemeinsam mit Heiko Gerber auf dem Heck des schwarzen Cabrios und genoss die Jubelfahrt. Der VfB Stuttgart war Meister der Bundesligasaison 2006/07 und diesen Erfolg hatten die Weiß-Roten auch ihm zu verdanken. Dabei hatten ihn die Schwaben noch vor wenigen Monaten loswerden wollen, der gebürtige Südamerikaner hatte jedoch darauf bestanden seinen Vertrag zu erfüllen und postwendend seinen Klub zusammen mit Mario Gomez zur Schale geschossen. Tatsächlich war Cacaus Fußballkarriere mit Auf und Abs gespickt, schon als Junger musste der Stürmer kämpfen um dranzubleiben. Dabei gab ihm sein Glaube Kraft.

„Sei mutig und stark!“

Dieses Bibelzitat erklärte der Profi einst zu seinem Mantra. Nach jedem Tor deutet er mit den Fingern in Richtung Himmel: „Ich wollte zeigen bei wem ich mich für die Möglichkeit zu spielen und meinen Traum zu leben, bedanke.“ Ein Traum, der angesichts der Verhältnisse, in die der gebürtige Brasilianer am 27. März 1981 hineingeboren wurde, zunächst weit weg schien. Heute kann Cacau reflektiert über seine Kindheit, die von Armut und dem Alkoholismus seines Vaters geprägt war, sprechen: „Ich bin schnell gereift, weil ich früh Verantwortung übernehmen musste.“ Seine Mutter rackerte sich als Putzfrau und Dienstmädchen ab, der spätere Legionär und seine beiden Brüder mussten zuhause mithelfen. Cacau, der eigentlich auf den Namen Claudemir Jerônimo Barreto getauft wurde und seinen Spitznamen der Aussprache seines Vornamens als Kleinkind schuldet, verkaufte neben der Schule Snacks auf der Straße, um das Familieneinkommen aufzubessern. Obwohl er und seine Geschwister oft nicht einmal satt wurden, unterstützte die Mutter die hochtrabenden Träume ihrer Buben im Profifußball zu reüssieren.

Cacau schaffte es als Dreizehnjähriger in die prestigeträchtige Jugendmannschaft von Palmeiras im Großraum von São Paulo, wurde jedoch drei Jahre später wieder ausgemustert und schlug sich daraufhin als Hilfsarbeiter durch. Nebenbei kickte er wieder bei Mogi das Cruzes, seiner ersten Vereinsstation. Seinen Wunsch mit dem Fußball Geld zu verdienen, erfüllte er sich schließlich bei Nacional AC São Paulo, doch seine Profikarriere endete (erneut) mit einer Ausmusterung nach nur 32 Spielen.

Der Cousin seines ehemaligen Trainers nahm den damals 18-jährigen daraufhin mit nach Deutschland, wo Cacau zunächst erfolglos einige Probetrainings absolvierte und nebenbei als Tänzer und Roadie in der Samba-Tanzgruppe seines „Reiseleiters“ arbeitete. 2000 landete er schließlich – ohne als große Zukunftshoffnung zu gelten – bei einem bayerischen Fünftligisten.

Ein Brasilianer bei einem türkischen Verein in Deutschland.

Der SV Türk Gücü München, der in den 70er Jahren von türkischen Migranten in der bayrischen Hauptstadt gegründet worden war, wurde Cacaus Sprungbrett in den europäischen Profifußball und führte auch dazu, dass sich der Stürmer dank harter Arbeit und unerschütterlichem Glauben an sich selbst neun Jahre später sogar in die deutsche Fußballnationalmannschaft katapultierte. Anfang der 2000er-Jahre backte der Offensivkicker jedoch kleine Brötchen und wechselte nach 18 Spielen für Türk Gücü zum 1. FC Nürnberg, wo er zunächst für die Amateure auflief. 2001 spielte er erstmals für die Profimannschaft der Franken, erzielte prompt zwei Tore und wurde zum Spieler des Spiels bei der 2:4-Niederlage gegen Leverkusen gewählt: „Es war der Moment, an dem ich dachte: Das ist es. Es war eine Riesenfreude und Genugtuung. Ich dachte, jetzt bin ich in der Bundesliga und möchte nicht mehr weg.“, erinnert sich der spätere DFB-Nationalspieler.

Im Jänner 2003 unterschrieb er für die kommende Saison einen Vertrag beim VfB Stuttgart. Es sollten neun erfolgreiche Jahre beim VfB werden, in denen er nicht nur die Meisterschaft holte, sondern auch zweimal im DFB-Pokalfinale stehen sollte. 2009 stand mit der Einberufung in die Nationalmannschaft ein weiterer später Karrierehöhepunkt für den Offensivspieler an. „Er ist ein spielender Stürmer und entspricht mit seinen Qualitäten genau unserer Fußball-Philosophie. Er ist beweglich, geht viele Wege, ist ballsicher und torgefährlich.“, begründete der damalige Teamchef Joachim Löw seine Entscheidung. Erst drei Monate zuvor war Cacau eingebürgert worden und wurde ab diesem Zeitpunkt von seinen Teamkameraden mit Augenzwinkern „Helmut“ gerufen.

Die Integrationsfigur

Tatsächlich war der gebürtige Brasilianer Träger „deutscher“ Tugenden: Auf dem Feld spulte er brav seine Kilometer ab und war keine launische Zaubermaus. Selbst die Tatsache, dass ihm gelegentlich die Sicherungen durchbrannten, führte zu keiner Regression auf der Beliebtheitsskala. Cacau war ein Musterbeispiel für Integration. Seine Entscheidung in Zukunft mit deutschem Pass zu reisen, nannte er zwar „rein privat“, letztendlich hatte sie aber sportliche Konsequenzen um die ihn viele beneideten. Um seiner Geschichte den letzten Schliff zu geben, peilte der Fußballer die Weltmeisterschaftsendrunde 2014 in seinem Geburtsland an. Doch schon zwei Jahre vor dem vierten deutschen WM-Titel wurde er nicht mehr in den schwarz-weißen Kader einberufen. Seine Profikarriere sollte vier Jahre länger dauern, er beendete sie nach einem Gastspiel in Japan bei den VfB-Amateuren und fing anschließend an für den DFB zu arbeiten.

Der ehemalige Profi schien die perfekte Besetzung für die ihm zugedachte Rolle: Höflich, zurückhaltend, perfekt die Landessprache beherrschend; niemals „migrantig“. Als Integrationsbotschafter des DFB blieb er allerdings farblos. Böse Zungen behaupteten, man habe einen konformen, unauffälligen Ex‑Nationalspieler installieren wollen, der bei diversen Medienterminen salbungsvolle Reden hält und für Fotos posiert. Doch immer, wenn mehr als nur Worte verlangt waren – wie etwa in der Causa Özil -, sah sich Cacau scharfer Kritik ausgesetzt. Damals wurde ihm vorgeworfen, das Thema Rassismus unterschätzt zu haben. „Ich habe immer meine Position bezogen und meine Meinung gesagt. Und diese habe ich auch stets zu 100 Prozent öffentlich vertreten, wenn sie meinem Arbeitsauftrag entsprach.“, wehrte sich der VfB-Fanliebling damals. Tja, das war eben nicht genug.

2021 beendete der DFB wegen einer Nebentätigkeit die Zusammenarbeit mit dem dreifachen Vater, aktuell ist Cacau Markenbotschafter seines schwäbischen Ex-Vereins und widmet sich seiner ehrenamtlichen Tätigkeit. Er ist der nette Brasilianer von nebenan; so beliebt, dass er bei der Bürgermeisterwahl seines Heimatortes vor über zehn Jahren sechs Stimmen bekam. Ohne je kandidiert zu haben.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag