Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (43) –  Jack White (KW 43)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an: Die 43. Ausgabe behandelt einen Fußballer, den erst seine wahre Berufung zum Multi-Millionär machen sollte…

„Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben. Nananananana. Heute fängt ein neues Leben an. Deine Liebe, die ist schuld daran. Alles ist so wunderbar, dass man es kaum verstehen kann.“ Diese (und nicht nur diese) Zeilen haben Jack White alias Horst Nußbaum reich gemacht. Dabei sollte man meinen, dass der gebürtige Kölner bereits in seinen 20ern den Traum vieler Buben realisiert hatte. Doch anstatt als Fußballer Titel zu gewinnen, räumte Nußbaum (unter seinem Künstlernamen) in der Pop- und Schlagerwelt ab und verkaufte über eine Milliarde Tonträger. Ein Fußballer als Schlagerkomponist? Sachen gibt’s.

Erst Viktoria, dann Vicky

1976 besuchte ihn das Fernsehen in Berlin: White saß mit akkurater Föhnfrisur, offenem Hemd, zarter Goldkette auf einer grünen Samtcoach in seiner Villa. Er sei in der Branche anerkannt, habe aber keinen Anspruch in die Musikgeschichte einzugehen, erzählte er damals ruhig und gelassen. Später tönte er, dass er für einen Hit nur 20 Minuten bräuchte; Hits hat Jack White reichlich geschrieben: Angefangen von „Schöne Maid“ bis „Self Control“. Als Produzent war er mit seinen Künstlern weltweit erfolgreich. Mitte der 70er listete ihn das GEMA-Ranking auf Platz eins vor Mozart und Beethoven. Also ist Jack White doch irgendwo in die Musikgeschichte eingegangen und das in einer Zeit, in der viele Ex-Kicker ihr Leben nach dem Profisport mit Tankstellen finanzierten.

Alles andere als rosig – wie es die Schlagerwelt gerne vorgaukelt – startete Jack allerdings ins Leben: Geboren wurde der spätere Tausendsassa am 2. September 1940 in Köln – mitten im Zweiten Weltkrieg, in einer Stadt die 262 Mal bombardiert und flächendeckend zerstört wurde. Der Vater war Fleischhauer und machte sich aus dem Staub als White, der damals noch Horst oder „Hotte“ gerufen wurde, erst zwölf Jahre alt war. Das sollte ihm dieser nie verzeihen. Um seine alleinerziehende Mutter zu unterstützen, trug der spätere Schlagerkomponist Zeitungen aus und arbeitete als Laufbursche auf dem Wochenmarkt. „Eine Zeit lang lebten meine Mutter, meine Schwester und ich auf 6 m2 in einem ehemaligen Luftschutzbunker. Wir hatten tagelang nichts zu essen, da habe ich all meinen Mut zusammengenommen und in einer Bäckerei um ein Brötchen gebettelt. Das war das beste Brötchen, das ich je gegessen habe.“, erinnert sich der nunmehr 82-jährige an die schwerste Zeit seines Lebens.

Doch Talent und Ehrgeiz hatte der junge White en gros und nicht en detail mitbekommen: Er kickte gut, interessierte sich für Fremdsprachen und liebte die Musik. Zunächst erlernte er den Beruf des Außenhandelskaufmanns, jobbte als Marktforscher und machte in der Abendschule ein Englisch-Dolmetschdiplom. Das Schicksal in Person des legendären Hennes Weisweiler holte ihn schließlich in die Kampfmannschaft des Kölner Kultvereins Viktoria. Allerdings wusste White damals schon, dass ihm Fußball zwar Spaß machte, sein eigentlicher Traumberuf aber ein anderer war: „Ich habe stets die Gitarre dabeigehabt, ich wollte immer gerne singen. Im Bus, während der Fahrt zu den Spielen, wurde immer gesungen.“

In der Oberliga West spielte White noch unter seinem bürgerlichen Namen von 1961 bis 1963 gegen Vereine wie Aachen, Schalke, Münster oder Dortmund. Über den FK Pirmasens und Zweibrücken wurde er schließlich Profi beim PSV Eindhoven. Nachdem er in Deutschland nebenbei u.a. als Autoverkäufer gearbeitet hatte, konnte er sich nun ganz aufs Kicken konzentrieren und war als Stammspieler nicht mehr aus der Startaufstellung der Niederländer wegzudenken. Prompt wurde Eindhoven Vizemeister und Klubs aus Italien wollten Jack verpflichten. Doch er forcierte eine Musikkarriere und hängte seine Schuhe an den Nagel, als er mit Hilfe von Weisweiler einen Schlagerproduzenten kennenlernte, der ihm einen Plattenvertrag verschaffte. White verabschiedete sich vom Profisport: „Mein Traum war erfüllt.“

Der Produzent taufte Libero Nußbaum – als Pendant zu Roy Black – in „Jack White“ um und statt zu kicken, zupfte White nun auf der Klampfe. Doch seine ersten Schallplatten (15 an der Zahl) floppten gnadenlos. White ging daraufhin nach Berlin und verdingte sich zunächst als DJ. Ende der 60er-Jahre begann er sich aufs Produzieren eigener Songs zu verlegen und ein gewaltiger Erfolg sollte sich beinahe über Nacht einstellen. Nachdem Roberto Blanco mit einem seiner Songs den deutschen Schlagerwettbewerb 1969 gewonnen hatte, gaben sich rasch die Stars der damaligen Zeit die Klinke in die Hand: Tony Marshall, Andrea Jürgens, Lena Valaitis, Jürgen Marcus und viele andere verkauften mit Jacks Liedern Platte um Platte.

Für den Ex-Fußballer gab es keine Viktoria Köln mehr, dafür aber Vicky Leandros. Fußball spielte der Musikproduzent nur mehr in Amateurteams, um sich fit zu halten. In jenem TV-Beitrag von 1976 stählte er sich jedoch im hauseigenen Fitnessraum, um bei TeBe Berlin ein Comeback zu geben. Tatsächlich lief er in der kommenden Pokalsaison nochmals als Libero für den Kultklub auf und fungierte später als Trainer der Frauenabteilung sowie als Präsident der Violetten.

Nummer Eins in Amerika

Als Musiker war White in seinem Element; er schrieb Hit auf Hit, verdiente jede Menge Geld und genoss sein Leben zwischen Berlin und Kitzbühel. Ende der 70er schienen seine goldenen Jahre jedoch vorerst vorbei zu sein: „Mit dieser Neuen Deutschen Welle konnte ich nichts anfangen, denn ich war immer ein Melodienmann.“ Der Ex-Fußballer siedelte daraufhin in die USA über, wo er allerdings bei Null anfangen musste. Doch auch hier biss sich White mit jener Disziplin, die er als hungernder Bub lernen musste, durch und hatte das richtige Näschen für Künstler.

Bis heute erinnert er sich an eine legendäre Autofahrt, die zu den schönsten Momenten seines Lebens zählt: „Das Management hat mich informiert, dass wir weit oben in den Charts sind. Ich war im Auto auf dem Weg zum Essen und die neuesten Charts liefen übers Radio. Als die Top Ten angekündigt wurden und eine Nummer nach der anderen runtergezählt wurde, wurde ich immer aufgeregter. Wann würden wir dran sein? Plötzlich spielte man die neue Nummer Eins und das war ‚Gloria‘. Das war einfach unglaublich.“ Mit der bis dahin erfolglosen Laura Branigan sollte es White später mit „Self Control“ ein zweites Mal an die Spitze der US‑Charts schaffen. Plötzlich war er auch als Popproduzent in der Weltspitze angekommen. Paul Anka oder Barry Manilow arbeiteten schließlich mit ihm zusammen; „When the rain begins to fall“ von Jermaine Jackson und Pia Zadora wurde ebenfalls ein weltweiter Verkaufsschlager.

Bis heute nennt der Kölner über 400 Gold- und Platin-Auszeichnungen sein Eigen und ist sogar für David Hasselhoffs „Looking for freedom“ verantwortlich: Nicht nur, dass er den damaligen Knight Rider-Star von seinen Qualitäten als Sänger überzeugte, auch hatte er die Melodie des Songs ursprünglich für Marc Seaberg komponiert. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wandte sich Jack White der volkstümlichen Musik zu und feierte in den 2000ern mit einem anderen Ex-Sportler, der nun singen wollte, Erfolge: Hansi Hinterseer.

So weit, so Märchen; doch, wo Licht ist, ist auch Schatten. Mit eben jenem Hansi zerstritt sich White schließlich und teilte kräftig gegen den ehemaligen Skiprofi aus. Auch mit seinem Kollegen Dieter Bohlen wird er nicht auf einen Kaffee gehen, so sagte der gebürtige Rheinländer: „Bohlen hat ein großes Problem: Der wird nie dahin riechen, wo ich schon längst hingeschissen habe.“ Außerdem stand der Ex-Kicker dreimal vor dem Scheidungsrichter und wurde am Ende von seiner eigenen Firma hinausgeschmissen. Selbst mit der nicht zimperlichen Boulevardpresse gab es Ärger; die Bunte nannte ihn einmal einen „selbstverliebten Multimillionär“.

2014 erklärte White seine Musikkarriere für beendet und zog sich ins Privatleben zurück. Fünf Jahre später wurde er mit 78 Jahren zum sechsten Mal Vater. Jack White ist ein Macho der alten Schule („Ich werde nie Windeln wechseln. Oder den Kinderwagen schieben – das habe ich bei keinem meiner Kinder gemacht.“) und eitel, so behauptet er weder eine Lesebrille zu benutzen noch sich die Haare zu färben. Seine gute Verfassung schreibt er seinen Genen sowie seiner kurzen Sportlerkarriere und regelmäßigen Einheiten im Fitnessraum zu.

White gehört tatsächlich zu jenen Kickern, die Fußball als Hobby gesehen haben und nicht als Beruf ausüben wollten. „Fußball ist unser Leben“ war nur ein Lied, das der ehemalige Mittelfeldspieler in den 70ern schrieb, aber drückt bestimmt nicht seine Einstellung zum Kicken aus. Trotzdem kam er über den Sport zu seiner eigentlichen Berufung und ließ sich auch durch Niederlagen nicht unterkriegen. Der Kumpel von Uli Hoeneß und Jupp Heynckes erwirtschaftete sich mit simplen Melodien ein Millionenvermögen und jettet bis heute um die Welt. Klar, dass er seine 2010 erschienene Biografie „Mein unglaubliches Leben“ .

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag