Mesut Özil und die Medien: Von hängenden Schultern und fehlendem Elan
Deutschland 14.Oktober.2015 Lennart Kühl 0
Mesut Özil hat ein Problem: Er wird häufig kritisiert, es geht ihm in Fleisch und Stollenschuh über. Medienschelte gehört zu ihm wie die großen Kulleraugen und die Rückennummer Acht beim DFB. Wenn seine Mannschaft verliert, trägt er häufig Schuld. abseits.at blickt auf Bizarres wie Einzelkritiken und Panikmache.
Kritik ist die unliebsame Begleitung vieler Leben. Egal wohin es geht, sie wird schon da sein. Innige Beziehung führt sie mit Wenigen, unter anderem Lehrern oder den Medien. Letztere prahlen mit ihr derart, dass sie teils unerträglich werden – insbesondere Sportnachrichtendienste.
Entsetzen in Mediendeutschland
Mesut Özil kann davon im Singsang trällern. Sonntag schaffte er mit der Nationalmannschaft Planungssicherheit für den Sommer 2016, der DFB fährt zur Europameisterschaft nach Frankreich. Die Reaktion: Kritik soweit die freien Zeilen reichen. Von Formlosigkeit ist zu lesen, viel Glück brauchte es. Die Mannschaft – wie sie sich sinnfrei getauft hat – habe an Klasse eingebüßt. Weltuntergangsstimmung in Mediendeutschland, Österreich wird sicher Europameister. Oder doch wieder diese Ballschieber aus Iberien? Bloß nicht!
Provokante Aufklärung am Frühstückstisch
Eine altgediente Domäne der Sportschreiber schafft es, den Wirrwarr aus Hohn und Panik zu krönen. Einzelkritik wird in Deutschland von vielen Blättern groß betrieben. In kunstvoller Grafik wird der geneigte Leser aufgeklärt, was wirklich vorging und wer sein Geld nicht wert war. Zahlreiche Hobby-Bundesjogis erhalten am Morgen, was sie wirklich brauchten. Erschütternde Fakten, zerschmetternde Kritiken, jedes Spielerauge soll Feuchtigkeit fangen.
Georgische Zumutung in falschem Licht
Özil befindet sich mittendrin. Seine Offensive vergibt viele Möglichkeiten, erhält miserable Arbeitszeugnisse. Über ihn ist von „uninspiriertem Ballgeschleppe und Lethargie“ zu lesen, bemüht sähen die Journale ihn andernorts, seine Körpersprache samt hängender Schultern sei weiterhin eine Zumutung. Sobald der Blick nach unten zu den Spieldaten schweift, sprechen trockene Zahlen klare Sprache: Endstand 2:1 für den DFB, zwei Torvorlagen Mesut Özil. Fernsehbilder stärken Özils Wichtigkeit dazu, zwei Geniestreiche des Deutsch-Türken entscheiden das Spiel.
Differenz der Vorlieben
Dennoch erhalten nur Manuel Neuer, Jerome Boateng und Max Kruse gute Kritiken. Kruse schob nach Einwechslung völlig frei zum Sieg ein, Özils Anspiel durch ansatzweise ganz Georgien verkommt zur Normalität. 70 Länderspiele stellen Muster ohne Wert dar, für deutsche Berichterstatter überzeugt der Spielmacher seit Jahren nicht mehr. Eher stilisieren sie Querpassrambos und Scharfschützen des Fünfmeterraums zu Koryphäen des schönen Spiels. Dabei glänzen viele Mitstreiter gerade nachdem Özil sie einsetzt. Unbegrenzte Klasse wird deutlich, wenn das Spielgerät seinen Schuh bereits verlassen hat. Seine Pässe sezieren Abwehrreihen und Schemata. Stets versucht er, seine Mitspieler übermäßig effizient wirken zu lassen. Ein Zug, den viele Medienhäuser nicht würdigen.
Mesut Özil genießen – ein How-to
Individuelle Zusammenschnitte lassen seine Brillanz offenkundig werden. Der geneigte Zuseher muss ihn fokussieren, um seine Auswirkung zu spüren. Besonders interessant sind Auftritte, für die er medial kein Lob fand. Häufig fielen Treffer, weil durch gekonnte Zuspiele Özils überraschend Freiräume entstanden. Selbst zum Beispiel misslungene Steilpässe bringen das Kollektiv weiter, Verteidiger müssen quer ins Seitenaus klären, Raumgewinn entsteht trotzdem. Live-Ticker geben im Überfliegen zuhauf wieder, dass seine Beine bei guten Chancen meist beteiligt waren.
Ein Aufruf zur Wertschätzung
Was bleibt, ist dennoch viel Leistung für wenig Anerkennung. Deutschland, Land der Dichter und Denker, sollte lernen, auch auf dem Fußballplatz seine Künstler zu lieben. Erfolg ist wertvoll, Sport jedoch auch Unterhaltung. Ständigem Kritisieren fehlt es an Tiefe und Sinn. Spätestens bei der Körpersprache sollte es des Opportunismus zu viel sein. Fußball wurde nie aufgrund von Körperhaltung entschieden. Das Publikum sollte im Stadion nicht aufgeregt sein, wenn Özil wie am Sonntag in Minute 75 statt zu schießen lieber nochmals ablegt. Es wäre ein Schulterzucken in die richtige Richtung.
Lennart Kühl, abseits.at
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