Piszczek gegen Fuchs – ein Vergleich zweier spielstarker Außenverteidiger
Deutschland 10.April.2012 Alexander Semeliker 7
Sucht man in der deutschen Bundesliga nach Außenverteidigern moderner Prägung, stößt man zwangsläufig auf die Namen Lukasz Piszczek und Christian Fuchs. Sowohl der polnische als auch der österreichische Teamspieler zeigen Woche für Woche warum die Außenspieler in der Viererkette zu den wichtigsten Positionen in der heutigen Zeit zählen. Was vereint die beiden? Was unterscheidet sie? abseits.at erarbeitet die Gemeinsamkeiten der beiden Außenverteidiger heraus und zeigt die Differenzen auf.
Biografische Übereinstimmungen
Als „Königstransfer der letzten Jahre“ bezeichnet Borussia Dortmunds Trainer Jürgen Klopp das Engagement von Lukasz Piszczek. Eine große Ehre für den 26-Jährigen, vor allem wenn man bedenkt, dass in der Klopp-Ära unter anderem auch Shinji Kagawa, der gerne als das Superschnäppchen schlechthin bezeichnet wird, den Weg in die Bierstadt gefunden hat. Ebenso wie der quirlige Japaner wechselte Piszczek im Sommer 2010 zum amtierenden deutschen Meister – ablösefrei von Absteiger Hertha BSC. Der Hauptgrund für die Anstellung des 22-fachen Internationalen war dessen Vielseitigkeit. Bei Zaglebie Lubin, wo Piszczek seine Profikarriere startete und 2007 auch den Meistertitel holte, fungierte er häufig als Stürmer. Nach der dreijährigen Leihe beim polnischen Erstligisten kehrte Piszczek zur Hertha zurück, um in der deutschen Bundeshauptstadt sukzessive zum Außenverteidiger umgeschult zu werden.
Einen ähnlichen Werdegang vollzog auch Christian Fuchs. Beim SV Mattersburg noch als Flügelspieler eingesetzt war es der aktuelle ÖFB-Teamchef Marcel Koller, der im Niederösterreicher das Potenzial zum modernen Außenverteidiger sah. Zwei Saisonen lang sorgte Fuchs beim VfL Bochum vor allem mit seinen Offensivvorstößen und präzisen Freistößen für Aufsehen. Ebenso wie Piszczeks Klub, Hertha BSC, stieg der VfL 2010 ab und Fuchs verließ den Verein – eine weitere Gemeinsamkeit. Acht Torvorlagen für Mainz 05 in der Folgesaison blieben auch den deutschen Spitzenklubs nicht verborgen und so folgte mit dem Wechsel zum FC Schalke 04 der nächste Schritt in Fuchs‘ Karriere. Knapp vier Millionen Euro war dem amtierenden DFB-Pokalsieger aus dem Ruhrgebiet die Unterschrift des 47-fachen Teamspielers wert. Damit ist neben dem Alter – beide Akteure sind 26 Jahre alt – eine weitere Parallele zu Piszczek gezogen.
Offensive – unterschiedliche Laufwege, gleiche Gefahr
Mit harter Arbeit hat sich Fuchs in Deutschland einen hohen Status geschaffen, selbst Meistertrainer Klopp ist von den Offensivqualitäten vom Linksfuß begeistert. Fuchs sei ligaweit der offensivstärkste Linksverteidiger, sagte der 44-Jährige in der bekannten Fußball-Talkshow „Doppelpass“. Und obwohl der BVB-Coach bekanntlich mit Superlativen nicht geizt, können dieser These selbst die schärfsten Kritiker kaum was entgegensetzen. Die Statistik spricht mit acht Assists und zwei Toren eine deutliche Sprache. Doch wie sieht nun Fuchs‘ Verhalten auf dem Platz genau aus? Die Stärken des Linksverteidigers sind eindeutig seine Schnelligkeit und sein starker linker Fuß, mit dem er zentimetergenaue Flanken schlagen kann. Diese Eigenschaften sind zwar schon seit seiner Zeit in der österreichischen Bundesliga bekannt, Schalke-Trainer Huub Stevens setzt sie allerdings gezielter als seine Vorgänger ein. Fuchs ist ein zentraler Spieler im Aufbauspiel der Gelsenkirchener, hat in der laufenden Saison bereits 2051 Mal den Ball berührt, was teamintern den absoluten Höchstwert bedeutet. Dieses Bild wird auch in Verhältnis zu den Einsatzminuten kaum verzerrt: 0,84 Ballkontakte pro Minute bedeuten hinter Jurado (0,85) und Höger (0,87) den dritthöchsten Wert. Am Ende dieser Liste steht übrigens ein weiterer wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste, Spieler in Schalkes Angriffspiel: Klaas-Jan Huntelaar. Der Niederländer berührt den Ball zwar nur alle zweieinahlb Minuten, ist mit seinen 24 Saisontoren aber hauptverantwortlich für die starke Spielzeit der Knappen. Mit Pässen von der Seite soll der Torjäger eingesetzt werden – also auch eine Anforderung an Fuchs. Bislang erfüllt diese der Österreicher mit Erfolg, legte Huntelaar vier Tore auf.
Betrachten wir nun Schalkes Spielphilosophie und Fuchs‘ Wechselwirkung mit seinem Vordermann, in diesem Fall Julian Draxler, anhand der Heimspiele gegen den VfL Wolfsburg (4:0) und Bayer Leverkusen (2:0).
Fuchs‘ Laufwege sind in beiden Spielen klar erkennbar: Mit viel Tempo sucht der ÖFB-Legionär in erster Linie den Weg zur Torlinie um zu flanken. Draxler hingegen zieht es oft in die Mitte, womit er den Raum für Fuchs öffnet.
Nun vergleichen wir die obigen Sprints mit jenen von BVB-Verteidiger Piszczek, hier aus den Spielen gegen Hannover 96 und den VfB Stuttgart.
Was sofort auffällt ist, dass die Laufwege des Polen weiter gestreut sind. Er agiert nicht so eindimensional wie Fuchs, stößt auch energisch in den Strafraum vor. Zu zwei Toren aus dem Spiel heraus hat seine unberechenbare Spielweise schon geführt. Aufgrund dieser Erkenntnis möchte man meinen, dass die Anzahl der Flanken weit unter dem Wert von Fuchs liegen. Tatsächlich schlug der Dortmunder aber nur eine Flanke weniger – 83:84. Unterm Strich steht bei Fuchs im offensiven Vergleich ein leichtes Plus: Fällt die Torschussbilanz mit 23:22 noch relativ gleichwertig aus und liegt Piszczek bei der Passgenauigkeit marginal vorne (81:78 Prozent angekommen), dominiert der ÖFB-Verteidiger bei den Torschussbeteiligungen – 84:72. Gerade die letzte Statistik unterstreicht Fuchs‘ Stellenwert bei Schalke.
Defensive – ausgeglichene Zweikampfquote, konträres Stellungspiel
So hoch die Offensivanforderungen an einen zeitgemäßen Außenverteidiger auch sein mögen, eines hat sich seit den Ursprüngen des Fußballspiels nicht geändert: Die Hauptaufgabe eines Verteidigers ist und bleibt es die gegnerische Mannschaft am Tore schießen zu hindern. Genau hier ist aber ein signifikanter Unterschied zwischen Fuchs und Piszczek auszumachen. „Ich kenne wirklich keinen anderen Abwehrspieler auf der Welt, der so spielt“, sagt Klopp über seinen Schützling. „Ich will nicht übertreiben, aber ein Beispiel: Dani Alves. Er ist auch permanent in Bewegung, immer in der Offensive, aber er ist defensiv nicht so stark.“ Ohne Zweifel eine sehr wagemutige Aussage, sieht doch auch die Statistik Fuchs in dieser Hinsicht leicht im Vorteil. Bei annähernd identen Tackling- (Fuchs 3,1, Piszczek 2,8 Tackles pro Spiel) und Zweikampfwerten (59,9 zu 59,6 Prozent gewonnen), klärt Fuchs pro Spiel sowohl mehr Bälle (3,1:2,2), als er sie auch abfängt (2,9:2,1). Wo er aber hinter Piszczek liegt, und das ist ein durchaus markanter Punkt, ist die Eins-gegen-Eins-Statistik: 1,7 Mal pro Spiel wird Fuchs von einem Gegenspieler überdribbelt (Piszczek: 1,1) und liegt damit im Ligavergleich weit vorne. Gerade gegen Topteams macht das Fuchs zu einem Unsicherheitsfaktor in Schalkes Defensive. Die nachstehende Grafik zeigt die angekommen Pässe des Gegners im Angriffsdrittel auf Fuchs‘ Seite.
Fährt man die Angriffe über die Abwehrseite des Österreichers, schlägt man damit also zwei Fliegen mit einer Klappe. Denn bindet man Fuchs hinten, fallen seine gefährlichen Vorstöße aus, wie man den Sprints in den jeweiligen Spielen entnehmen kann.
Anders sieht es da bei Piszczek aus. Auch in den Spitzenduellen hält der Pole seine Seite dicht, lässt kaum vertikale Pässe in den Strafraum zu, schaltet sich ins Offensivspiel mit ein und dringt ins letzte Drittel vor.
Ausschlaggebend hierfür ist allerdings nicht das Zweikampfverhalten an sich – siehe obenerwähnte Zweikampfquote – sondern in erster Linie das Stellungsspiel. Fuchs verliert seinen Gegenspieler oftmals aus den Augen und offenbart ein ums andere Mal Schwächen in der Raumbeherrschung. Fairerweise sollte aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass er sich seit seinen ersten Bundesligaspielen stetig gesteigert und an seinen Schwächen gearbeitet hat. Warum die Umschulung in einem Fall gut und im anderen weniger gut gelungen ist, kann man aus der Ferne kaum beurteilen. Ein Punkt dürfte die Frühphase der jeweiligen Fußballerkarrieren sein. Dass man bei Fuchs‘ Ex-Klub Mattersburg seit jeher auf kompromisslose Zweikampfführung setzt und taktische Aspekte erst dahinter kommen, ist allseits bekannt. Piszczek hingegen genoss von 2001 bis 2004 die angesehene Jugendarbeit bei SKS Gwarek Zabrze, dessen Nachwuchs drei Mal den polnischen Titel errang (2002, 2003, 2006), und entwickelte so, nicht zuletzt aufgrund seiner Stürmer-Vergangenheit, ein taktisches Selbstverständnis.
Konstanz – beide Seiten mit Ups and Downs
Dem bereits erwähnten Effekt, dass Fuchs in Spitzenspielen oftmals untertaucht, begegnet man auch wenn man auf die Daten der jeweiligen Spiele blickt.
Sowohl in den Duellen Borussia Mönchengladbach (4. und 21. Runde) als auch in den Auswärtsspiele bei Borussia Dortmund (14. Runde) und Bayern München (23. Runde) lag Fuchs Zweikampfquote unter dem Durchschnitt (weiß). Generell schwanken die Werte des Österreichers relativ stark – im Gegensatz zu jenen von Piszczek. Während dieser in knapp 60 Prozent der Spiele überdurchschnittlich viele Zweikämpfe gewinnt, überschreitet Fuchs‘ den Mittelwert in nur 12 von 27 Fällen. Ausgeglichener, wenn auch nicht konstant, verhält es sich bei den Ballkontakten. Jeweils 17 Mal liegen die Werte beider Spieler über dem Strich.
Besonders Piszczeks schwache Phase vom 13. bis 15. Spieltag sticht heraus. Schaut man sich aber die Gegner in diesem Zeitraum an (Bayern, Schalke, Gladbach) an, relativiert sich diese Sicht ein wenig. Sowohl bei den Bayern als auch am Niederrhein überließ der BVB dem Gegner das Spiel, war in puncto Ballbesitz unterlegen. Bei den Pässen kann der Pole aber einen leichten Vorteil für sich verbuchen. In 19 seiner 28 Saisonspiele kamen seine Pässe überdurchschnittlich oft an, bei Fuchs war dies 17 Mal der Fall. Dennoch zeigt die folgende Grafik, dass beide Akteure verlässliche Zuspieler sind und auf hohem Niveau agieren.
axl, abseits.at
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