Kaum eine Woche in der deutschen Bundesliga vergeht, ohne dass ein „Ösi“ zuschlägt. David Alaba ordnet das Bayernspiel? Bitte sehr! Christian Fuchs mit zwei Assists für Schalke 04? Immer doch! Martin Harnik trifft und trifft und trifft…? Alles möglich. Da scheint es fast an der Zeit, den „Ösi-Boom“ genauer unter die Lupe zu nehmen – und ihn vielleicht sogar in einem anderen Licht zu beobachten.
Es ist derzeit mehr als sexy, einen Österreicher in seinen Reihen zu haben. Neben den bekannten Profis Prödl, Pogatetz oder Alaba tummeln sich aber noch einige mehr in den Mannschaften der 18 deutschen Bundesligisten. Mehr als 50 Namen umfasst die Liste der Legionäre bis zur U16 hinunter, welche Martin Blumenau allhalbjährlich recherchiert. Stolz ergreift das Herz des Österreichers, wenn die Nachwuchschefs von Bayern München und dem VfB Stuttgart in Fachblättern oder im TV die Kicker Made in Austria loben. Es gibt natürlich einige Gründe, die für die Verpflichtung von Österreichern sprechen. Wer sich das Phänomen „Relocation“ vor Augen führt, wird entdecken, dass sich die Alpenländler in Deutschland besonders wohl fühlen. Abgesehen von regionalen Sprachunterschieden, die sich auf der Ebene von Fleischlaberl, Frikadellen und Buletten abspielen, ist es ziemlich „wurscht“, ob die Kicker in Wien, Salzburg, Graz, Bremen, München oder Hannover spielen. Im Gegensatz zu vielen Spielern aus dem Osten, Süden und sonstigen Gefilden ähneln sich Österreich und Deutschland punkto Kultur, Arbeitseinstellung usw. so gut wie eins zu eins. Dass die meisten österreichischen Klubs, die nicht einen Energy-Drink-Hersteller als Geldgeber haben, viel weniger zahlen als deutsche Bundesligisten, versüßt den Transfer zu unseren Lieblingsnachbarn.
Transferströme
Die Anzahl der – unabhängig von der Nationalität – Spieler, die von Österreich nach Deutschland wechseln, ist seit Jahren beständig. Auffällig ist, dass in den letzten Jahren aber immer mehr Österreicher nach Deutschland wechseln. Vor zehn Jahren wechselten Alexander Knavs, Marko Topic, Timo Rost und nur Emanuel Pogatetz von der heimischen Liga in die Bundesliga. Neben Heimkehrern folgten in den nächsten Jahren Richard Kitzbichler (02/03), Edi Glieder (03/04), Roman Wallner, Andi Ibertsberger, nochmals Pogatetz und Jürgen Macho (04/05). Richtig aufwärts geht es aber nicht stetig. Im Superjahr 2008/09 gingen in absoluten Zahlen fünf Spieler nach Deutschland, die auch für den ÖFB spielen dürfen. Sebastian Prödl, Ümit Korkmaz, Christian Fuchs, Ramazan Özcan und Marc Sand nutzen die heimische Liga als Sprungbrett. 2010/11 folgte Rubin Okotie und dann in der laufenden Saison eben Julian Baumgartlinger, Daniel Royer, Samuel Radlinger, Zlatko Junuzovic und Michael Gregoritsch, der aber postwendend zu Kapfenberg zurück verliehen wurde. Augenscheinlich ist natürlich, dass sich die allgemeine Qualität der Spieler, die einen österreichischen Pass haben, verbessert hat. Die heutigen Legionäre gehören zu den lautstarken Leistungsträgern.
Interessante Wellen
Gewisse Hypes um Spieler einer Nation gab es und gibt es immer. Vor allem Nationalmannschaften spülen mit starken Auftritten bei Turnieren immer einen ganzen Schwall an guten Kickern in die Topligen. Die Japaner, die eine passable WM 2010 spielten, wurden jahrelang auf dem Transfermarkt weitgehend ignoriert. Seit der Weltmeisterschaft wechselten aber gleich elf Japaner von der J-League in die deutsche Bundesliga, angeführt von Dortmunds Shinji Kagawa. Doch auch einzelne Hintermänner können diese Wellen bewirken. Angesichts von Namen wie Paolo Sergio, Jorginho, Emerson, Lucio oder Zé Roberto schrieb die Süddeutsche Zeitung neulich süffisant, Bayer 04 Leverkusen hätte diesen Handelsweg von Brasilien nach Deutschland erfunden. Auch in Österreich gibt es einzelne Klubs oder Personen, die gerne eine Nation vertreten. Seit 2008 kommen Spanier, derzeit 13, aus den unteren Ligen nach Österreich. Erfinder war Nicolas Oliva, Restaurantbesitzer aus Spanien und seit 1995 in Sierning. Nacho bei der SV Ried war der erste von vielen, die nun in den heimischen Profiligen spielen.
Einfaches Denkmuster: Label
Die Denke der Vermittler, Trainer und Sportdirektoren ist einfach. Um beim Beispiel Kagawa zu bleiben: Dieser schlug in Dortmund ein, also griffen auch Bayern (Usami) oder Stuttgart (Okazaki, Sakai) im fernen Osten zu. Das war bei anderen Ländern nicht anders. Das Label kommt dann einfach auf die Nation drauf. Die Japaner sind quirlige Offensivspieler, die Kroaten Denker und Lenker, die Belgier beinharte Verteidiger, die Österreicher brave Hackler. Ist die Marke etabliert, wechseln möglicherweise Spieler zu Trittbrettfahrern, die eigentlich weniger Reputation haben. So griffen Ingolstadt (Gercaliu) oder der KSC (Hoheneder) auch in der Hoffnung zu bzw. daneben, einen Mini-Fuchs oder Mini-Pogatetz zum quasi Nulltarif zu bekommen.
Obacht!
Das tragische an dem Labeling und dem Ösi-Boom ist, dass Spieler unter falschen Voraussetzungen wechseln. Daniel Royer spielte beispielsweise als absoluter Stammspieler lediglich ab dem Spätherbst 2010 eine Rolle, ging im Sommer um viel Geld zu Hannover. Dort kommt er hauptsächlich bei den Amateuren zum Einsatz. Dauerhaft konnten sich in Deutschland aber jene Spieler etablieren, die bereits vor dem Wechsel in die Liga der Lieblingsnachbarn Stammspieler waren – oder sie wechselten überhaupt als Jugendliche ins Ausland (Stranzl, Arnautovic, Alaba) bzw. sind eigentlich nur durch einen Elternteil für den ÖFB interessant (Harnik, Schmid). Und so wird der Kreis derer, die sich tatsächlich über die heimische Liga empfahlen nach Abzug derer, die auswärts ausgebildet wurden, doch recht klein. Andi Ivanschitz spielte jahrelang in Griechenland, Julian Baumgartlinger ist mehr 60er als Veilchen, Pogatetz benötigte anno dazumal ein Jahr bei Bayer II. So bleiben am Ende eigentlich nur noch Zlatko Junuzovic, Sebastian Prödl und Christian Fuchs über, die in der Bundesliga spielen und aus der Heimat wirklich direkt dorthin kamen.
Der Ösi-Boom ist also beinahe eine Luftblase, wenn die Pässe bei Seite gelegt werden. 49 Spieler wechselten seit 2001 direkt aus der Alpenliga zu den nördlichen Nachbarn, lediglich 17 davon waren Österreicher. Der Trend zeigt allerdings nach oben. Erhöht sich die Anzahl der „Ösis“ durch Djuricin oder Holzhauser oder wie sie alle heißen, ist dies aber eher das Ergebnis des guten Scoutings der Deutschern, denn der heimischen Bundesliga. Dies sei den Verantwortlichen in Wien II und Wien XIII hinter die Ohren geschrieben.
Georg Sander, abseits.at
Georg Sander
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