Roger Schmidt und die Umsetzung seines Systems bei Bayer Leverkusen
Deutschland 27.Mai.2014 Rene Maric 1
Mit der kommenden Saison wird Roger Schmidt sein Amt bei Bayer 04 Leverkusen antreten. Schon bei Paderborn und insbesondere nun bei Red Bull Salzburg konnte er sich durch seine fachliche Kompetenz, seine Sachlichkeit und einen beeindruckenden Spielstil hervortun. Seine Mannschaften zeichneten sich durch ihr Pressing und die Sauberkeit in ihren gruppentaktischen Abläufen aus. Bei Red Bull war das Pressing dank der individuellen Qualität auch sehr hoch und aggressiv ausgelegt, wodurch man in dieser Saison sogar europaweit für Furore und Prestige sorgen konnte. Auch deswegen wurde Schmidt von Bayer Leverkusen früh als Wunschlösung auserkoren. Seine Spielidee soll beim Werksklub Einzug halten.
Die bisherige Spielweise
Bisher war nämlich von einem hohen und aggressiven Pressing wenig zu sehen; was nicht zwangsläufig schlecht war. Unter Sascha Lewandowski und Sami Hyypiä zeigten die Leverkusener ein unorthodoxes, aber aus taktischer Sicht hochinteressantes System. Sie formierten sich in der Arbeit gegen den Ball in einem 4-3-3-0. Das bedeutet, dass sich die drei Stürmer vorne weit zurückzogen und sich am gegnerischen Mittelfeld statt an der gegnerischen Abwehr orientierten. Häufig ging nur Kießling etwas höher, wodurch dann ein 4-3-2-1 entstand. Das Interessante an diesem 4-3-3-0 war aber die enorme horizontale Kompaktheit der Stürmer und Mittelfeldspieler. Die Flügelstürmer und Halbspieler im Mittelfeld orientierten sich in Richtung Mitte, standen dadurch sehr eng und ließen die Flügel offen.
Der Gegner wurde dadurch im Aufbauspiel direkt auf die Flügel geleitet, weil die Mitte so versperrt war. Nachdem der Ball auf die Seite ging, verschob der kompakte Block der Leverkusener ballorientiert, isolierte den Gegner auf dem Flügel und eroberte dort den Ball. Gelang Letzteres nicht, war dies aber auch kein allzu großes Problem. Die Seite war versperrt, die Mitte ebenfalls und durch den extremen Druck konnte der Gegner kaum wirklich konstruktive Angriffe zu Ende spielen.
In manchen Partien wurde manchmal ein 4-5-1 mit flacher Mittelfeldfünf zur Stärkung der Flügelverteidigung genutzt, die Grundidee des leitenden, passiven und isolierenden Pressing blieb aber gleich. Trotz der guten Ergebnisse der letzten zwei Saisonen (und insbesondere unter Lewandowski als Cheftrainer) scheint Leverkusen nun umstellen zu wollen, denn Roger Schmidt dürfte seiner Philosophie treu bleiben.
Roger Schmidts Spielidee
Auch wenn Leverkusen selbst schon einzelne Partien am Ende dieser Spielzeit in einem 4-4-1-1/4-4-2 und auch im 4-2-3-1 spielte, so lagen doch in der genauen Auslegung Welten zwischen ihrer Spielweise und dem 4-4-2/4-2-4 der Bullen unter Schmidt. Red Bull presste extrem hoch und versuchte den Gegner möglichst früh zu pressen. Dabei gingen die Flügelstürmer häufig von dem Flügel auf den Innenverteidiger los, erzeugten eine 3-gegen-2-Überzahl und zwangen den Gegner zu langen Bällen, riskanten Pässen oder einem Rückpass. Besonders in der Partie gegen Ajax Amsterdam war dies hervorragend zu sehen, wo die Niederländer deutlich mehr Ballbesitz hatten, diesen aber vorrangig am eigenen Strafraum „genießen“ durften; der Torwart hatte die meisten erfolgreichen Pässe und wurde als Einziger vom Salzburger Pressing verschont.
Diese grundsätzliche Einstellung steht also im direkten Gegensatz zur Spielweise der Leverkusener. Auch offensiv sind kaum Parallelen zu erkennen; zwar sind beide Mannschaften gut im Umschaltspiel, die genaue Umsetzung variiert aber stark. Red Bull konzentriert sich im Konterspiel zum Beispiel meist auf das Überladen der Mitte, Kurzpasskombinationen auf allerengstem Raum und dynamischen Ausweichbewegungen der Stürmer für die einrückenden Flügelstürmer. Bayer hingegen nutzt ein deutlich weiträumigeres Umschaltspiel mit Stefan Kießling als Zielspieler, vielen Ablagen auf die nachstoßenden Spieler und diagonale Läufe der Flügelstürmer direkt in Richtung Tor oder für Flanken.
Darum kommen zwei zueinander eigentlich in Konflikt stehende Spielideen mit Schmidt und Leverkusen zusammen. Interessant wird also, wie genau sich die Spieler in Schmidts Spielphilosophie integrieren lassen.
Wie könnte die Umsetzung aussehen?
Eine wichtige Frage wird natürlich lauten, ob Schmidt größere Neueinkäufe vorhat. Josip Drmic vom 1. FC Nürnberg wurde beispielsweise bereits verpflichtet und passt durchaus in das Spielerprofil eines „Schmidt-Spielers“; er ist schnell, technisch beschlagen, gleichzeitig aber körperlich präsent und engagiert in der Arbeit gegen den Ball. Er kann sowohl als Außenstürmer als auch als Mittelstürmer agieren und dürfte womöglich eine ähnliche Rolle wie Alan bei Red Bull Salzburg spielen. Eine 1-zu-1-Kopie der Salzburger Spielweise wäre ohnehin möglich: Mit Heung-Min Son und Julian Brandt gäbe es zwei sehr gute Flügelstürmer, wobei beide etwas andere Akteure als Kevin Kampl und Sadio Mané im Bewegungsspiel sind. Grundsätzlich wäre es aber mit ihnen möglich diese Spielweise umzusetzen. Einzig der zweite Mittelstürmer zu Drmic fehlt. Kießling ist zwar individuell ein sehr guter Spieler durch seine körperliche Präsenz, Lauf- und Kopfballstärke, aber ist in einem kleinräumigen Kombinationsfußball bei höchster Intensität und Dynamik unpassend. Einzig bei einer Umstellung auf ein 4-2-3-1 als Variante des 4-2-4 (statt einem 4-4-2 wie bei Red Bull) wäre Kießling effektiv und denkbar.
Die Aussortierung eines älteren Stammspielers bei einem möglichen 4-4-2/4-2-4 würde es wohl im Mittelfeld ebenfalls geben. Simon Rolfes ist im Gegensatz zu Emre Can, Lars Bender oder auch Stefan Reinartz nicht der optimale Akteur für diese Spielweise und nur bei leichten systemischen Anpassungen und vielleicht sogar einem weniger extremen Pressing wie Kombinationsspiel einbindbar. Die Außenverteidiger sind insgesamt eine Problemzone, bei den Innenverteidigern hingegen würde das Spielermaterial passen.
Bei den Außenverteidigern aber wäre wohl nicht einmal eine Veränderung der Spielweise wirklich effektiv, hier reicht es schlicht nicht mit der individuellen Qualität für ein hohes Pressing und dynamisches Kombinationsspiel. Einzig eine Versetzung der Mittelfeldspieler Gonzalo Castro und Levin Öztunali könnte hierbei helfen. Eher dürfte es aber auf eine oder mehrere Neuverpflichtungen hinauslaufen.
Beim Spielermaterial selbst wäre es aber durchaus eine Möglichkeit im 4-2-3-1 oder im 4-3-3 zu bleiben. Schmidt könnte dann zwar nicht mehr die nötigen Abläufe aus der Salzburger Blaupause kopieren, doch grundsätzliche strategische Aspekte würden auch hier ident bleiben. Wie sauber die Leverkusener in einem anderen System – und noch interessanter: Wie schnell würden sie defensiv stabil sein? – bliebe aber abzuwarten. Roger Schmidt steht somit ein kleiner Balanceakt bevor. Welche Spieler kann er behalten? Welche Spieler eignen sich für welche Spielweise? Und wie sehr orientiert man sich am extremen Pressing der Salzburger oder geht Schmidt wieder auf das eher leitende und etwas tiefere, wenn auch in der eigenen Hälfte ebenfalls sehr kompakte und intensive Pressing aus seiner Zeit bei Paderborn zurück? Die Transfers im Sommer werden schon einen ersten Fingerzeig geben.
René Maric, www.abseits.at
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