Schalke 04 kam im Sonntagsspiel zuhause gegen Hannover 96 nicht über ein 1:1 hinaus und wartet daher im Jahr 2018 noch auf den ersten... Spielanalyse: Hannover entführt Punkt aus Veltins-Arena

Schalke 04 kam im Sonntagsspiel zuhause gegen Hannover 96 nicht über ein 1:1 hinaus und wartet daher im Jahr 2018 noch auf den ersten Sieg. Ähnlich wie gegen das Pressing von  Leipzig hatten die Mannen von Tedesco auch gegen Hannover große Probleme damit, aus einer geordneten Aufbaustruktur heraus hinter die letzte Linie des Gegners und damit zu Torabschlüssen zu kommen. Die Elf von Hannover-Coach Andre Breitenreiter zeigte sich hingegen taktisch wieder mal hervorragend eingestellt. Nicht nur mit einem guten Konzept im Spiel gegen den Ball konnten die Schalker Aufbauversuche kontrolliert werden, sondern auch bei eigenem Aufbau- und Ballbesitzspiel wussten die Hannoveraner mit guten Strukturen und Bewegungen den Königsblauen wehzutun.
Wir schauen uns ein paar Aspekte dieser Partie in folgender Analyse genauer an.

Grundordnungen und Personal

Domenico Tedesco setzte zu Beginn der Partie noch auf seine bewährte 5-3-2 Ordnung, die bei eigenem Ballbesitz häufig zu einem 3-1-4-2 wird.
In der Dreier-Abwehrkette vor Torhüter Fährmann gab es im Vergleich zum letzten Spiel gegen Leipzig einen Wechsel. Youngster Kehrer spielte für Stambouli auf der rechten Halbverteidigerposition neben Abwehrchef Naldo. Nastasic komplettierte das zentrale Abwehrtrio der Schalker auf der linken Halbverteidigerposition. Flankiert wurde diese Dreierkette von den beiden Wing-Backs Schöpf auf rechts und Oczipka auf links.
Max Meyer kam wieder auf seiner angestammten Sechserposition zum Einsatz. Letzte Woche gegen Leipzig hatte er ja doch, bedingt durch die Leipziger Pressingfalle und dem risikobehafteten Aufbauspiel der Schalker, so seine Schwierigkeiten das Spiel seiner Mannschaft zu strukturieren. Auf den Halbpositionen im Mittelfeld neben Meyer setzte Tedesco auf Amine Harit sowie Leon Goretzka. Dadurch war im zentralen Mittefeld der Schalker kein Spieler älter als 22, was zumindest einmal erwähnenswert ist.
In der vordersten Sturmlinie bekam ÖFB-Teamspieler Guido Burgstaller einen neuen Partner an seine Seite gestellt. Anstelle von Franco di Santo bekam Juve-Leihgabe Marko Pjaca die Chance gegen Hannover.

Ex-Schalke Trainer Andre Breitenreiter hat in dieser Saison schon mehrfach gezeigt, dass er seine Mannschaft sehr stimmig und sehr griffig auf die gegnerische Spielweise einstellen kann. Vor allem seine Matchpläne im Spiel gegen den Ball stellten die gegnerischen (meist auch individuell überlegenen) Mannschaften vor größere Herausforderungen, so auch Schalke. Daneben scheint er aber auch langfristig immer wieder die richtigen (taktischen) Reize zu setzen, was sich vor allem in der spielerischen Entwicklung der Mannschaft offenbart.
Gegen seinen Ex-Klub griff er zunächst auf eine 5-2-3 Grundordnung zurück, die vermutlich aufgrund der Ideen im Pressing zustande gekommen sein dürfte. Aber wenn jemand wissen möchte, wie Grundordnungen im Zuge einer Matchvorbereitung zustande kommen, fragt am besten bei Thomas Tuchel nach. In dieser launigen Diskussion verrät er so einiges darüber… Aber zurück nach Gelsenkirchen. Vor Torhüter Tschauner formierte sich dort die Fünfer-Abwehrkette aus den beiden Flügelverteidigern Ostrzolek auf links und Korb auf der rechten Seite sowie den drei zentralen Verteidigern Anton, Sane und Sorg. Das Sechserduo im zentralen Mittefeld setzte sich aus Fossum und Schwegler zusammen. Die Linie vor den beiden Sechsern und damit erste und extrem wichtige Pressingreihe bestand aus Füllkrug in der zentralen Position sowie den beiden „Außenspielern“ Bebou und Klaus in den jeweiligen Halbräumen neben Füllkrug.

„Wir wissen genau, was ihr vorhabt“

Diesen Eindruck hat die Mannschaft von Hannover 96 überzeugend vermittelt, hauptsächlich natürlich im eigenen Pressingverhalten. Dafür positionierten sich die Hannoveraner in einer kompakt gehaltenen 5-2-3 Ordnung, meist etwas zurückgezogen (vor allem bis zum Schalker Führungstreffer) in ein tiefes Mittelfeldpressing. Soll heißen, dass die Dreierkette der Schalker im Aufbau nicht aktiv angelaufen wurde sondern vielmehr war die erste Pressinglinie von Hannover darauf fokussiert, das Ballgeschiebe der Königsblauen in deren erster Linie sauber zu spiegeln und die Halbräume sowie das Zentrum für etwaige Zuspiele in diese Bereiche zuzustellen. Die Dreierreihe in der ersten Pressinglinie war gegen die Schalker Aufbaustruktur geradezu prädestiniert dafür. Primär natürlich deshalb, weil personell eine Gleichzahlsituation hergestellt werden konnte. Mittelstürmer Füllkrug orientierte sich an der Position von Naldo (und Meyer), die Halbstürmer Bebou und Klaus an jenen von Kehrer und Nastasic. Zum zweiten stellten diese drei Stürmer, bedingt durch die engen horizontalen Abstände untereinander, einen ziemlich großen Deckungsschatten her und verteidigten damit Räume, die eigentlich offen gewesen wären. Dadurch waren vertikale Pässe in diese potentiell offenen Räume neben den beiden Sechsern für die Schalker Aufbauspieler schwer möglich, wodurch die Angriffe hauptsächlich über die beiden Wing-Backs eingeleitet werden mussten. Aber auch darauf war Hannover 96 vorbereitet. Bei einem dieser Pässe auf die beiden Wing-Backs Schöpf oder Oczipka lösten sich die Flügelverteidiger von Hannover aus der tiefen Position in der Fünferkette heraus und attackierten ihre gegnerischen Pendants. Auch hier griff Andre Breitenreiter also auch auf ziemlich simple Mannorientierungen zurück, welche der Mannschaft aber zu ausreichend Stabilität und Zugriff verhalf.

Hier eine typische Szene aus den Anfangsminuten in der ersten Halbzeit:

Anhand dieser exemplarischen Aufbauszene erkennt man die 5-2-3 Struktur der Hannoveraner im Spiel gegen den Ball. Zu sehen sind auch die scheinbar offenen Räume neben den beiden Sechsern Fossum und Schwegler, die aufgrund der engen ersten Pressinglinie für die Schalker Verteidiger nicht stabil bespielbar waren. Ebenfalls zu sehen sind auch die vielen lokalen Mannorientierungen, mit denen die 96er den nötigen Zugriff herstellen konnten. So orientierte sich Mittelstürmer Füllkrug neben der Position des Balles auch an jener von Sechser Meyer, den er immer wieder gut in seinen Deckungsschatten nehmen konnte. Auch die beiden Sechser hielten permanent Ausschau nach den gegnerischen Achtern Goretzka und Harit, die sich (bedingt durch die Grundordnung) häufig in diesen Räumen aufhielten und Bälle forderten. Die klaren Zuordnungen auf den Flügeln haben wir ja bereits thematisiert.

Die Räume neben den beiden Sechsern von Hannover waren zu Beginn des Spiels auch die ersten Angriffspunkte der Königsblauen, um die nötigen Offensivakzente zu setzen. Das Offensiv-Quartett aus Goretzka, Harit, Burgstaller und Pjaca bewegte sich sehr fluide durch diese Räume und versuchte mithilfe von entgegengesetzten Läufen für Zuordnungs- und Übergabeprobleme bei den Hannoveranern zu sorgen. Leon Goretzka war dadurch oft sehr hoch positioniert und versuchte mit Läufen hinter die Fünferkette Platz für die entgegenkommenden Stürmer zu schaffen. Teilweise überluden die Schalker diese Räume im Mittelfeld auch nur, um mehr Optionen und damit auch ein besseres Gegenpressing-Netz zu haben. Vor allem Juve-Leihspieler Pjaca hatte bei solchen Konstellationen einige gute Momente, in denen er sich in Torrichtung aufdrehen konnte. Insgesamt fehlte es der Truppe von Tedesco aber wie schon gegen Leipzig an der nötigen Durchschlagskraft und Kreativität im letzten Drittel, um zu wirklich guten Torabschlüssen zu kommen. Auf Sicht kann daher auch nicht eine sehr gute Konterabsicherung dieses Problem kaschieren, bedingen sich doch diese beiden Elemente gegenseitig. Daher ist es auch keine strukturelle Schieflage, welche die Schalker in ihrem Offensivspiel haben.

Kommen wir aber noch einmal kurz zum Pressing von Hannover zurück. Der Matchplan von Breitenreiter war natürlich nicht stur auf ein 0:0 ausgerichtet, sondern hatte etwaige Szenarien einkalkuliert. Und Breitenreiter hatte vermutlich auch einen Rückstand einkalkuliert, was im modernen Coaching eigentlich nichts mehr Erwähnenswertes darstellt. Nach dem Rückstand änderte er zwar nichts an der Systematik, veränderte aber Pressinghöhe und Intensität. Die Strukturen und Zuordnungen dafür waren ja bereits gegeben. Es war jetzt häufig ein aktives Angriffspressing, in dem die drei Stürmer einige Meter nach vorne rückten und die Schalker Dreierkette unter Druck setzten. Auch dahinter schob der gesamte Mannschaftsverbund kompakt nach vorne. Abstöße von Ralf Fährmann wurden in dieser Phase ebenfalls sehr hoch zugestellt, wodurch Fährmann häufig zum weiten Abschlag greifen musste. Auch in diesen Phasen vermittelte Hannover einen sehr stabilen und robusten Eindruck.

Zu weite Wege im Pressing zwingen Tedesco zur Umstellung

Schalke 04 setzte von Beginn an auf ein hoch angelegtes Angriffspressing. ÖFB-Teamspieler Guido Burgstaller machte ohne Ball viele weite und intensive Läufe und preschte in praktisch jeder sich ergebenen Situationen nach vorne, um die Dreierkette von Hannover unter Druck zu setzen. Problem aus Schalker Sicht war, dass sich häufig der von ihm entsandte Impuls nicht auf die restliche Mannschaft übertrug. Zu oft wurde aus dem Mittelfeld nicht nach vorne geschoben und der Raum hinter Burgstaller nicht entsprechend besetzt und abgesichert, wodurch recht simple vertikale Pässe auf Schwegler oder Fossum das Pressing auflösten und Schalke zum Rückwärtsgang zwangen. Auch Pjaca wirkte in diesen Pressingsituationen neben Burgstaller häufig etwas zu passiv und konnte den Ex-Rapidler nur selten ausreichend unterstützen.

Ein anderes Problem waren die (zu) weiten Wege der Achter im Pressing. Bei den Schalkern unter Tedesco ist es in dieser Saison ja häufig zu sehen, dass die Achter auf die gegnerischen Außenverteidiger herausschieben und durch diese diagonalen Laufwege die Passwege ins Zentrum kippen. Dies wäre auch gegen Hannover so geplant gewesen, allerdings machten da die 96er mit einer leichten Asymmetrie in der Aufbaustruktur den Mannen von Tedesco einen Strich durch die Rechnung.
Die meisten Angriffe leiteten die Hannoveraner nämlich über deren rechte Seite ein. Der rechte Halbverteidiger Sorg postierte sich dafür für einen Halbverteidiger sehr weit auf dem rechten Flügel und auch recht tief, um anspielbar zu sein und die Schalker zu locken. Korb wiederum schob bereits früh im Aufbau weit nach vorne und band seinen direkten Gegenspieler Oczipka, der deshalb seine tiefe Position halten musste. Grundsätzlich könnte man deshalb von einer 3-4-2-1 Ordnung mit Rechtsfokus und Asymmetrie im Ballbesitzspiel von Hannover sprechen. Aufgrund dieser Konstellation war der Laufweg für Harit auf Sorg äußerst weit, wodurch der Druck und der Zugriff bereits in dieser frühen Pressingphase schon etwas verloren ging. Sorg fand daraufhin immer wieder Lösungen und Passoptionen, um die Situation aufzulösen und den gesamten Schalker Mannschaftsverbund zu instabilisieren. Vor allem Meyer und Goretzka mussten im Zentrum einige Unterzahlsituationen überstehen.

Grafisch aufbereitet sah dies so aus:

Zu sehen die Aufbaustruktur von Hannover mit der leicht verschobenen Dreierkette auf rechts sowie der breiten Position von Sorg. Dadurch ergibt sich für Harit aus seiner Position im linken Halbraum ein weiter Laufweg, der Sorg wiederum Zeit und Passoptionen ermöglicht und einige Male das Pressing der Königsblauen aushebelt. Basis dafür: eine überraschend ausgeprägte Pressingresistenz bei durchgehend allen Hannover-Spielern.

Domenico Tedesco erkannte diese Problematik im Spiel und stellte nach ca. 35 Minuten auf ein etwas flacheres 5-4-1 um. Harit wechselte auf die rechte Seite, Goretzka und Meyer bildeten im Zentrum eine Art Doppelsechs und Pjaca rückte etwas zurück auf den linken Flügel. Dadurch wurde das Mittelfeld gestärkt und die Wege im Pressing, vor allem auf Sorg, waren deutlich kürzer. Pjaca war deutlich näher an Sorg dran, was generell das Spiel der Schalker stabilisierte und beruhigte.

Fazit

Man könnte definitiv noch mehr über dieses Spiel schreiben. Positiv aus österreichischer Sicht war, dass neben Schöpf (der fühlte sich auf der Flügelverteidigerposition wesentlich wohler als auf der Acht wie gegen Leipzig) und Burgstaller auch Martin Harnik auf Einsatzminuten kam und mit seiner Einwechslung und der damit verbundenen Systemumstellung auf ein 4-3-3 noch einmal kräftig Schwung in die Partie brachte.
Schalke kann mit dieser Leistung unterm Strich nicht zufrieden sein, auch wenn sie diese Begegnung mit besseren Entscheidungen in den aussichtsreichen Umschaltmomenten für sich entscheiden hätten können. Große Probleme haben die Königsblauen zurzeit beim Herausspielen von Torabschlüssen, was auch gegen RB Leipzig das Hauptproblem war. Es wird spannend zu sehen sein, durch welche Akzente Domenico Tedesco diesen Aspekt in die gewünschte Richtung lenken wird, oder es zumindest versucht. Positiv bei den Schalkern ist aber immer noch eine sehr stabile Endverteidigung, ein sauberes Linienspiel in der Fünferkette sowie eine gute Konterabsicherung.
Viel wurde in den letzten Wochen über die spielerischen Mängel deutscher Bundesligamannschaften geschrieben, bedingt vor allem durch das schwache Abschneiden der deutschen Teams in internationalen Bewerben. Mit dieser Behauptung muss man allerdings einen großen Bogen um den Aufsteiger aus Hannover machen. Andre Breitenreiter hat innerhalb eines Jahres eine Mannschaft geformt, die sich nicht nur mit guten Matchplänen auf das gegnerische Spiel einstellen und sich diesem unterwerfen kann, sondern auch mit einer guten Raumaufteilung und der notwendigen technischen Beschlagenheit Ball und Gegner kontrollieren kann. Beide Elemente hat man in ziemlich beeindruckender Art und Weise beim Auswärtsmatch auf Schalke zu sehen bekommen. Das alles macht Andre Breitenreiter, zumindest aus Sicht des Autors, zu einem der interessantesten deutschen Trainer zurzeit. Dabei weiß man gar nicht, ob er überhaupt noch als Laptoptrainer durchgeht…

Sebastian Ungerank, abseits.at

Sebastian Ungerank

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