Stefan Kießling und die Nationalmannschaft (2): Die Konkurrenten
Deutschland 18.November.2013 Rene Maric 0
Das Thema „Kießling und die deutsche Nationalmannschaft“ ist eines der am öftesten und heiß diskutierten Themen. Nahezu jeder Experte oder Prominente im Bereich Sport, der in Deutschland was auf sich hält, hat bereits seine Meinung zu diesem Thema kundgetan. Vielen mangelt es dabei an einer stringenten Argumentation, wo konstruktiv und mit rational stichhaltigen Aspekten diskutiert wird. Manche andere haben sich aber auch näher an die Materie gewagt und mit objektiveren Analysen die Für und Wider besprochen, wie zum Beispiel Tobias Escher bei Spielverlagerung.
Im zweiten Teil geht es um:
Die (vermeintlichen) Konkurrenten: Mario Gomez und Miroslav Klose
Als Kießlings Konkurrent um einen Kaderplatz wird meistens Mario Gomez gesehen. Dabei müsste es eher heißen, dass Stefan Kießling der Miroslav Klose im Gomez-Körper ist.
Gomez ist zwar körperlich ein ähnlicher Typ, was die Simplizität seiner Entscheidungen im Kombinationsspiel betrifft, ist aber durch seine enorme Durchschlagskraft in Laufduellen und seine Drehungen um den Gegner herum deutlich früher wieder einzubinden. Dieses „früher“ bedeutet bei der DFB-Elf: Beim Spiel mit einem Zehner und angesichts der Wechselwirkungen mit dem Gegner auch „öfter“.
Während Kießling den Ball prallen lässt – was er übrigens klar besser kann als Gomez – und sich dann eher ausweichend und mit mittlerer Dynamik in die Tiefe bewegt, so ist Gomez deutlich durchschlagskräftiger im Öffnen von Räumen. Gomez‘ Torausbeute in den vergangenen Jahren ist weitgehend darauf zurückzuführen, dass er den Gegner bei seinen Läufen mehr oder weniger „mitschleppt“. Wenn Gomez in die Spitze stößt, tut er dies mit schnellen Drehungen um seinen Gegenspieler, mit dem Anvisieren von freien Räumen und einer durchgehenden Aktivität in Ballnähe beim Suchen nach dem Empfang des letzten Passes.
Bei Gomez wird zwar oft diskutiert, dass er sich „wundliegt“ und sich kaum bewegt, dies trifft aber eher auf seine Defensivarbeit und seine Aktivität in ballfernen Räumen zu; wobei er diesbezüglich ohnehin etwas zu kritisch gesehen wird. Ähnlich verhält es sich mit seiner Technik. Generell werden spielerische Fähigkeiten zu undifferenziert betrachtet: Ist ein Spieler hölzern, ist er für die meisten automatisch ein schlechter Fußballer. Ist jemand ein schlechter Fußballer, dann ist er in jeder Situation technisch schlecht.
Fußball ist aber eher eine Mischung aus bestimmten Situationen, in welcher sich die Bandbreite der technischen Fertigkeiten der Spieler in einem gewissen Rahmen bewegt. Kießling und Gomez dienen hierbei als überaus passende Vergleichswerte.
Gomez versteht es wie nur wenige andere Spieler seines Typus einen Pass so zu berühren und mitzunehmen (oder an sich vorbeilaufen zu lassen), dass er ihm die Dynamik ein bisschen nimmt, aber ihn nicht gänzlich abstoppt. Dies paart er mit einer intelligenten Koordination und einem unterschätzten Antritt. Er hat zusätzlich ein Gespür für offene Räume und dem darauffolgenden Abschluss, wodurch er Pässe seiner Mitspieler so in eine Richtung legt, dass er danach gut abschließen kann. Beispielsweise bekommt er seinen Körper zwischen Ball und Gegner und setzt sich dann so durch, dass er direkt abschließen kann.
Dies erfordert keine starke Balltechnik im herkömmlichen Sinne. Gomez muss in dieser Situation gar nicht den Ball stoppen bzw. tut es nicht, er benötigt dafür keine saubere Technik, keine Dribblings oder eine konstant starke Ballbehauptung und -beherrschung. Kießling ist hier ein anderer Spielertyp, der etwas macht, was Gomez nicht kann und gar nicht wirklich versucht: Im Stehen mit dem Gegner im Rücken den Ball behaupten, ihn halten und kontrollieren.
Kießling ist nämlich deutlich sauberer im Prallenlassen von Bällen, im Ablegen auf nachrückende Spieler und im zeitlich längeren Behaupten von Pässen gegen einen Gegenspieler. Im Endeffekt konzentriert sich Kießlings Spielweise aber auf eine statischere Grundsituation, während Gomez in dieser statischen Grundsituation weniger nach Kontrolle trachtet, sondern die Situation dynamischer machen möchte.
Dies erklärt sich aus ihren unterschiedlichen spielerischen Profilen: Gomez ist stärker im Finden von Schnittstellen, wo er seine oben angeführte spezifische Stärke einbringen kann. Kießling ist ein anderer Typ mit anderen Stärken bei Anspielen; er erarbeitet sich seine Chancen auf andere Art „selbst“ als Gomez und kommt in anderen Situationen zum Abschluss. Als Metapher könnte man also sagen, dass Kießling der Wellenbrecher ist, während Gomez sich eher in die Wellen dreht und deren Dynamik nutzen möchte.
Dies passt auch dazu, dass Kießling bei Leverkusen gegen zurückweichende höhere Ketten agiert, während Gomez in seiner besten Zeit am liebsten gegen mittelhohe Ketten agierte, die sich nach vorne orientieren. Van Gaal veränderte beispielsweise in der Zeit mit Gomez als Mittelstürmer und Schweinsteiger auf der Zehn das System der Bayern für eine gewisse Phase exakt auf diese Spielweise.
Darum ist es schwierig Kießling als direkten Konkurrenten für Gomez zu sehen. Gomez ist der Schnittstellensucher und Verwerter von Pässen, der mit viel Raum vor sich agiert und diesen direkt attackiert. Im Gegensatz zu Kießling ist Gomez kein Zielspieler und Wandstürmer, der gerne mit Rücken zum Tor agiert, sondern ein Konterstürmer für flache Weiterleitungen in die Spitze. Geht es also um einen hypothetischen Plan B mit Konterfußball, Flanken und hohen Bällen, heißt der Konkurrent eher Klose.
Klose ist körperlich nicht der Typus Gomez und Kießling, erfüllt allerdings Kießlings Anforderungsprofil. Auch Klose bewegt sich gerne mit dem Rücken zum Gegner, pflückt Bälle aus der Luft und verteilt diese dann mit einfachen Pässen. Zwar ist Klose körperlich nicht auf Kießlings Niveau, dafür aber enorm sprungstark und individualtaktisch in seinen Bewegungen geschickter.
Kießlings Problem dürfte also auch sein, dass er sich mit Klose messen muss. Der 36-Jährige kann zusätzlich noch rochieren, kombinieren und stärker ins Mittelfeld zurückarbeiten, ob offensiv oder defensiv. Neben Kießlings Fähigkeiten kann Klose sich auch besser am Kombinationsspiel beteiligen, hat einen größeren Aktionsradius und ist ein balancegebender Akteur, mit dem die Positionen flexibel getauscht werden können.
Beim Spiel mit einem Zehner und weniger überfallartigen und raumgreifenden Kontern wie normalen Angriffen ist Klose darum die Idealbesetzung und die vielfältigere, wenn auch wohl weniger präsentere Version von Kießling – und darum ist Klose wohl auch Plan A, wenn er fit sein sollte. Gomez verkörpert stattdessen den Plan C, den Kießling mit seinen Laufwegen nicht erfüllen kann bzw. etwas ganz anderes darstellt.
Kießling ist also eher die weniger komplette Variante von Plan A und nicht der Konkurrent von Plan C. Und zwischen diesem Plan A und Plan C steht ein gänzlich anderer Idealtypus als Alternative in petto. Den Plan B stellen nämlich ganz andere Spielertypen dar. Das sind Akteure wie Marco Reus, Mario Götze oder auch Max Kruse und mit Abstrichen Thomas Müller, die sich noch deutlich stärker über ihre spielerischen und räumlichen Fähigkeiten definieren, womit sie sich eher an das andere Ende der „fitter-Klose-Idealskala“ orientieren.
Dies führt zur wichtigeren Frage – wieso hat sich Jogi Löw für diesen Plan A, Plan B und Plan C entschieden? Darum geht es im letzten Teil.
Rene Maric, abseits.at
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Rene Maric
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