Wie schon in der vergangenen Sommertransferperiode gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers ein und beleuchten die Hintergründe und Motive. Wieso holt die Mannschaft X den Spieler Y? Was dürfen sich Fans und Verein vom neuen Spieler erwarten? Und kann er die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen?
Diese Fragen sollen beantwortet werden und auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen: Immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls erläutert werden sollen.
Dieses Mal geht es um einen der zwei kürzlich bekanntgegebenen Transfers der Münchner Bayern. Der deutsche Rekordmeister sorgte für gleich zwei Paukenschläge: Von Benfica Lissabon kommt der 18-jährige Renato Sanches für 35 Millionen Euro, während vom Erzrivalen aus Dortmund deren Star-Innenverteidiger – und ehemaliger Bayern-Spieler – Mats Hummels losgeeist konnte. Auch dessen Ablösesumme dürfte bei knapp vierzig Millionen Euro liegen. In diesem Artikel geht es um den Kauf von Renato Sanches.
Potenziell herausragende Mischung aus Technik und Athletik
Renato Sanches misst zwar nur 176cm, doch er wirkt größer und körperlich weiter als es seine 18 Jahre suggerieren. Dies liegt vorrangig an der Art und Weise, wie er in Zweikämpfe geht. Häufig stellt er seinen gesamten Körper in den Ball oder setzt sich zwischen mehreren Gegenspielern durch Nutzung seiner Dynamik und seines Oberkörpers durch. Vielfach lehnt er sich in diesen engen Läufen in den Gegner hinein und verhindert dessen Zugriff auf den Ball.
Dennoch besteht hier Nachholbedarf: Obwohl Sanches über viel Laufstärke und eine hohe Dynamik verfügt, hat er nach wie vor gewisse Probleme im Zweikampf. So verliert er einige Defensivzweikämpfe in wichtigen Zonen, die zu Ballverlusten führen können.
Noch auffälliger und zudem weiter entwickelt ist allerdings seine Technik. Gelegentlich kontrolliert Sanches sogar fehlgeschlagene lange Bälle des Gegners oder Abstöße mit nur einem Ballkontakt. Dadurch kann er sofort den Ball weiterspielen und ist eine Waffe, um ungeordnete Staffelungen des Gegners zu bespielen. Außerdem ist Sanches im Stande dank dieser herausragenden Ballannahme sofort die nächste Aktion zu starten.
Wilder Ballträger
Dies ist oftmals ein Lauf mit dem Ball am Fuß durch enge Räume. Das Dribbling im zentralen Mittelfeld ist bei vielen erfolgreichen Mannschaften ein wichtiger Faktor. Die Bayern nutzten unter Guardiola nicht nur Thiago in zentralen Räumen, sondern auch Costa, Ribéry und Robben. Bei Barcelona waren es in ihrer Hochphase mit Xavi, Iniesta und Messi ebenfalls deren drei, die konstant aufliefen.
Der BVB hat zurzeit mit Mkhitaryan und Gündogan ebenfalls zwei Spieler, die sich häufig in zentralen Zonen durch Dribblings betätigen. Wichtig sind die Vorstöße deswegen, weil man in den für den Gegner wichtigsten Defensivzonen durch erfolgreiche Dribblings Chaos erzeugen kann. Ein erfolgreiches Dribbling sorgt für Raumgewinn, nimmt einen Gegenspieler aus der Partie, öffnet dadurch wiederum freie Spieler in Ballnähe, da ein anderer herausrücken muss und kreiert außerdem Überzahl.
Insofern ist Renato Sanches ein Spielertyp, der im modernen Fußball viel verspricht. Seine Läufe definieren nämlich seine Spielweise. Bereits im Aufeinandertreffen der Bayern gegen Benfica in der Champions League fiel er durch seine schnellen Läufe unter Druck an einem oder mehreren Gegenspielern vorbei auf. Das Gegenpressing der Bayern konnte ein paar Mal dadurch überspielt werden und führte zu den wenigen Chancen Benficas.
Gelegentlich ist Sanches trotz seiner technischen Stärke und Dynamik anfällig für Ballverluste, da er nicht immer die richtige Entscheidung trifft. Einige Male probiert er unmögliche Pässe im Lauf oder übersieht freie Optionen, wodurch der positive Effekt des Dribblings verloren gehen kann.
Zwischen Kreativität und Chaos
Das Aggressive in seiner Spielweise mag gelegentlich chaotisch sein, doch Sanches‘ hohe Anzahl an angriffseinleitenden Aktionen und seine stets hohe Passquote zeigen, dass er auch anders kann. Auch wenn er noch öfters seine Mitspieler im Zuge seiner Läufe übersieht bzw. nicht mit dem richtigen Timing bespielen kann, so gibt es auch viele Aktionen, in denen er unter großem Druck geschickt Pässe auf seine Mitspieler durchstecken kann.
Geht er nicht mit dem Ball am Fuß nach vorne, zeigt er ebenfalls eine inkonstante, aber prinzipiell hochwertige Mischung aus Chaos mit viel Risiko und Kreativität, die sich sehr positiv auswirkt. Renato Sanches, der meistens als Achter und nur gelegentlich als Sechser bei Benfica aufläuft – sowohl im 4-4-1-1 als auch im 4-1-4-1 – kann beispielsweise den Ball auch sehr zurückhaltend in den ersten zwei Linien zirkulieren lassen. Viele Querpässe und Sicherheitsbälle wechseln sich dann mit explosiven Aktionen nach vorne ab.
Passivität und Aggressivität ohne Balance
Die Mängel Renato Sanches‘ befinden sich allerdings (noch) im taktischen Bereich. Seine Bewegungen im Gegenpressing kommen bisweilen zu spät, im Pressing verlässt er seine Position nicht immer im richtigen Moment (manchmal bleibt er zu lange auf seiner Position und macht keinen Druck, in anderen geht er mit schwachem Timing zu weit heraus) und sein Freilaufverhalten in Ballbesitz ist ebenfalls etwas ausbaufähig.
Zwar zeigt er hier viel Potenzial, insbesondere mit sehr explosiven, plötzlichen Bewegungen in offenen Raum, wo er den Ball erhält und direkt mit Tempo das Spiel ankurbeln kann. Gelegentlich hält er aber zu geringe Abstände zum Ballführenden, versperrt dadurch Optionen oder ist auch nicht umsichtig genug, um sich mit der richtigen Körperstellung und passendem Abstand zum Gegner zu positionieren.
Seine Zukunft bei den Bayern
Diese Mängel stellen keine großen Probleme dar und sind für einen 18-Jährigen absolut keine Seltenheit. Entwickelt er sich strategisch und taktisch weiter, dürfte er mittelfristig bei den Bayern zum Stammspieler und vielleicht sogar zum Star reifen. Das Potenzial ist da und enorm hoch; ansonsten hätten die Bayern wohl auch keine 35 Millionen mit einer hohen Anzahl an möglichen Boni locker gemacht.
Allerdings stellt sich die Frage, welche Kaderveränderungen nun stattfinden werden. Verlässt Götze den Verein? Ist Thiago ein Kandidat für einen Abgang? Ist damit eine Rückkehr Gaudinos (in die Schweiz zu St. Gallen verliehen) ausgeschlossen? Rückt Kimmich nun nicht aus der Innenverteidigung ins Zentrum, sondern auf die Position des Außenverteidigers? So oder so: Die Bayern haben jetzt fast schon zu viele Optionen und ein Abgang liegt in der Luft. Oder ist Sanches „lediglich“ für die Zukunft als Ersatz Xabi Alonsos vorgesehen?
Rene Maric, abseits.at
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Rene Maric
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