Transfers erklärt: Darum wechselte André Schürrle zum VfL Wolfsburg
Deutschland 9.Februar.2015 Rene Maric 1
Wie schon in der vergangenen Winterpausen gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, wo die Hintergründe und Motive beleuchtet werden. Wieso holt eine Mannschaft diesen Spieler? Wer ist dieser Spieler überhaupt? Was erwartet sich sein neuer Verein von ihm? Kann er die Erwartungen in seinem neuen Verein erfüllen? Diese Fragen sollen hauptsächlich beantwortet werden. Auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen, immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls kurz erläutert werden sollen.
In dieser Ausgabe blicken wir auf den etwas kritisierten Einkauf des in Chelsea nicht mehr gesetzten Andre Schürrle, der für eine riesige Summe zum VfL Wolfsburg wechselt.
Zwischen Ambition und Financial Fair Play
Die Überschrift könnte bei diesem Transfer auf beide Mannschaften zutreffen. Chelsea plant unter José Mourinho langfristig den großen Coup: Den CL-Titel. Dafür benötigen sie natürlich einen herausragenden Kader, der Unsummen von Geld verschlingt. Neben den Gehältern sind hierbei auch die Ablösesummen ein Problem, insbesondere weil Chelsea nicht so viel Umsatz macht wie Real, Bayern oder United. Bei Chelsea muss also gut verhandelt werden und in letzter Zeit machen sie das nahezu perfekt. David Luiz wurde für 50 Millionen Euro verkauft, Ryan Bertrand wurde für 13 Millionen Euro an den Mann gebracht, Lukakus Dienste ließ sich Everton 36 Millionen Euro kosten und nun verließ Schürrle für ungefähr 32 Millionen Euro den Verein. Kein einziger dieser Spieler wäre unter Mourinho Stammspieler gewesen, was schlichtweg zeigt, wie viel Geld hier Chelsea eingenommen hat, ohne die erste Elf zu schwächen.
Bei Wolfsburg hingegen ist die Sache anders gelagert. Man möchte sich auch langfristig als erster Bayern-Jäger etablieren und konstant in die Champions League gelangen. Das erfordert (teure) Investitionen, um auch international konkurrenzfähige Spieler in die VW-Stadt zu lotsen. Schürrle ist somit ein Risiko. Der Ablösesumme von 32 Millionen Euro muss er erst einmal mit Leistungen gerecht werden, was ein schwieriges Unterfangen werden könnte. Desweiteren ist das Risiko natürlich auch ein finanzielles: Wie Wolfsburg und VW mit den Regeln des FFP bei solchen Ausgaben in Einklang bleiben können, wird die Zeit erst noch zeigen müssen.
Allerdings ist Schürrles Transfer auch ein vielversprechender; sowohl kurz-, als auch langfristig.
Diagonaler oder inverser, tororientierter Flügelstürmer
Die Rolle, die sich natürlich auf den ersten Blick anbietet, ist jene des Außenstürmers. Diese Position hatte Schürrle bereits bei Bayer Leverkusen und auch bei Chelsea inne. Bei Leverkusen schob er meist von der linken Seite in die Mitte, ging ins Dribbling und versuchte aus zentraleren Positionen zum Abschluss zu kommen. Mit seinem starken rechten Fuß setzte er sich häufig durch und war sogar eine Zeit lang der fokussierte Spieler im Angriff.
Bei Chelsea agierte er ähnlich, allerdings mit etwas weniger Präsenz und auf der rechten Seite. Hier war er eher ein Unterstützer und Tiefengeber. Immer wieder startete er schnelle Diagonalläufe hinter die Abwehr, um sich für Pässe hinter diese anzubieten. Dadurch öffnete er Räume für die anderen Offensivspieler, was besonders Hazard und Oscar im Zwischenlinienraum mehr Zeit am Ball ermöglichen sollte.
Desweiteren war Schürrle somit auch im Konterspiel eine Waffe. Mit seiner Dynamik und seinen guten Läufen stellte er die gegnerische Abwehr im defensiven Umschaltmoment häufig vor Probleme, wodurch Chelsea in weiterer Folge das klassische, schnelle Konterspiel Mourinhos oft erfolgreich abschließen konnte.
Bei Wolfsburg könnte Schürrle eine ähnliche Rolle übernehmen. Von der linken Seite aus könnte er etwas fokussierter und mit mehr Dribblings agieren. Kevin de Bruyne würde den Zehner geben, Ivan Perisic wäre eine Option für ganz vorne oder dank seiner Beidfüßigkeit auch für die rechte Seite. Aktuell ist die Position des Rechtsaußen ohnehin umstritten, Caligiuri und Vieirinha streiten sich um den Platz in der offensiven Dreierreihe neben de Bruyne und Perisic. Schürrle könnte diese Streitigkeiten beenden oder noch weiter anheizen, wenn Perisic dafür nach vorne geschoben wird.
Pendelnder Mittelstürmer
Eine weitere interessante Rolle für Schürrle bei den Wölfen wäre die Position des zentralen Mittelstürmers. Bas Dost und der nun ohnehin abgewanderte Olic stritten sich in der Hinrunde um diesen Platz, konstant auf höchstem Niveau konnte keiner der beiden überzeugen. Auch Nicklas Bendtner ruft sein Talent nur selten ab und erhält bislang wenig Einsatzzeiten. Schürrle wäre somit als Mittelstürmer durchaus eine Überlegung wert.
Diese Rolle übernahm Schürrle bereits in einzelnen Partien für Chelsea, auch wenn es hier vorrangig um Unterstützung durch das Spiel über Ablagen und seine Dynamik im Konterspiel ging. In seiner Zeit bei Mainz agierte Schürrle allerdings häufiger als fokussierter Mittelstürmer, teilweise alleine vorne im 4-2-3-1 und oftmals auch als Partner eines anderen Stürmers im 4-3-1-2.
Bei Wolfsburg wäre es möglich, dass Schürrle als Mittelstürmer mit seiner Dynamik immer entlang der Horizontale ausweicht, Räume für diagonale Sprints von Caligiuri und Perisic ballfern öffnet sowie ballnah mit de Bruyne und dem ballnahen Flügelstürmer überlädt. Immer wieder könnte Schürrle selbst plötzlich in die Tiefe starten oder gar ins Dribbling gehen, um nach einem kurzen Alleingang zum Abschluss zu kommen.
Diese Spielweise würde auch zu den Außenverteidigern (aktuell Rodriguez und Vieirinha) und den Sechsern passen (Gustavo als absichernder und Arnold als vorstoßender Part). Besonders langfristig ist dies eine interessante Option.
Heckings Kontermaschine auch für die Champions League?
Perisic, Caligiuri, de Bruyne und Schürrle als Offensivquartett könnte in der nächsten Saison eine noch größere Rolle spielen. Heckings Wölfe zeigten jüngst gegen den FC Bayern, wie gefährlich und effektiv sie im Konterspiel sein können. Dabei nutzen sie selten lange hohe Bälle beim offensiven Umschalten, sondern viele schnelle Kombinationen. Insofern wäre Schürrle durchaus eine sehr sinnvolle Ergänzung und ein passenderer Spieler als Dost.
Es ist durchaus vorstellbar, dass der VfL in der nächsten Saison für eine Überraschung in der Champions League sorgt. Sie haben genug Geld (und ausreichend lange Verträge), um keine wichtigen Stammspieler gehen lassen zu müssen. Nächsten Sommer können sie gar auf zwei oder drei Positionen nachlegen, weiters besitzen sie schlichtweg einen guten, wenn auch unspektakulären und unterschätzten Trainer.
Ihr Spiel im eigenen Ballbesitz ist passabel, ihr Pressing und Gegenpressing ist außerordentlich stark und ihr Konterspiel hervorragend. Das sollte reichen, um (ohne Los-Pech) die Gruppe zu überstehen und in den KO-Phasen einige nominell größere Mannschaften potenziell zu ärgern. Außer, das FFP macht Ärger.
René Maric, www.abseits.at
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