Transfers erklärt – Darum wechselte Mehdi Benatia zum FC Bayern München
Deutschland 5.September.2014 Rene Maric 2
Wie schon in den vergangenen Transferfenstern gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, wo die Hintergründe und Motive beleuchtet werden. Wieso holt eine Mannschaft diesen Spieler? Wer ist dieser Spieler überhaupt? Was erwartet sich sein neuer Verein von ihm? Kann er die Erwartungen in seinem neuen Verein erfüllen? Diese Fragen sollen hauptsächlich beantwortet werden. Auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen, immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls kurz erläutert werden sollen.
In dieser Ausgabe blicken wir auf den Transfer des wohl am stärksten umworbenen Innenverteidigers in diesem Sommer: Mehdi Benatia vom AS Rom, der für rund 30 Millionen Euro zum FC Bayern München wechselte.
Gemeinsame Entwicklung
In der Saison 2009/10 wurde das Fundament für die heutige Spielweise der Bayern gelegt. Louis van Gaal wurde damals Trainer der Münchner, veränderte die Transferpolitik des Vereins und – am wichtigsten – stellte ein taktisch-strategisches Gerüst auf, welches bis heute gilt. In jener Saison wandten sich die Münchner vom Heroen- und Ergebnisfußball der letzten Jahrzehnte und auch von der in der Saison zuvor von Jürgen Klinsmann versuchten Nacheiferung des englischen Hochgeschwindigkeitsvertikalfußballs ab. Stattdessen installierte van Gaal ein offensives Positionsspiel, eine Ballbesitzphilosophie und Kurzpassfußball.
Das ist erst vier Jahre her, doch seitdem ist viel vergangen. Der Kader hat sich massiv verändert, die international Mitte der Dekade zur Irrelevanz degradierten Münchner wurden zur europäischen Supermacht und ihr heutiger neuer Starinnenverteidiger wurde von einem ungewollten Zweitligaspieler zu einem der teuersten Defensivspieler unserer Zeit.
In der Saison 2008 wechselte Benatia nämlich ohne Ablöse von Olympique Marseille – wo er in drei Jahren kein einziges Spiel bestritt – zum FC Clemont in die zweite französische Liga. Von dort aus ging er nach zwei Jahren ebenfalls ablösefrei zu Udine. Erst hier sollte ihm der Durchbruch gelingen. In seinen drei Jahren bei Udine mauserte er sich zu einem der besseren Verteidiger der Serie A und wurde im Sommer 2013 vom AS Rom für 13,5 Millionen €, sowie zwei Spieler im Tausch gekauft. Nach nur einem Jahr – und dem Aufstieg in den medialen Echelon der Weltklasseverteidiger – wechselte er jetzt für fast 30 Millionen Euro zum FC Bayern, nachdem die Roma zahlreiche Angebote aus England und Spanien ablehnte. Doch wieso schaffte Benatia seinen großen Durchbruch erst mit 27 Jahren?
Ein verkannter Verteidigertyp
Neben natürlichen Faktoren wie physischer und psychischer Entwicklung, Glück, Erfahrung und dem richtigen Umfeld spielt bei Benatia auch ein klarer taktischer Grund in die Beantwortung dieser Frage hinein. Verteidiger wie er sind selten spektakulär und leben davon, dass sie schlichtweg überaus solide sind. Dadurch kommen sie schwer in größere Mannschaften hinein und in kleineren Teams, wo viele vermeintliche Fehler schlichtweg unausweichlich sind, werden ihre unscheinbaren Fähigkeiten kaum wahrgenommen. Ömer Toprak ansatzweise oder auch Holger Badstuber sind in der deutschen Bundesliga in gewisser Weise solche Verteidiger.
Sie definieren sich über das gute Leiten von gegnerischen Angriffen, wo sie weder in den Zweikampf gehen noch aggressiv den Mann stellen (was dann oftmals vorgeworfen und der Sinn dahinter verkannt wird), um dadurch schlichtweg schlechtere Situationen für den Gegner herzustellen. Ihre Zweikampfführung ist ebenfalls sehr sauber: Möglichst wenige Grätschen, viel auf den Füßen bleiben und mit einzelnen, treffenden Attacken arbeiten. Dies variiert bei diesen drei Beispielen aber natürlich; Badstuber ist hier wohl am extremsten, Benatia hingegen baut manchmal durchaus spektakuläre Abblocker von Schüssen oder Grätschen ein, prinzipiell verkörpern sie aber die moderne Art gegen den Mann und den Ball zu arbeiten.
Im Aufbauspiel haben sie ähnliche „Probleme“ respektive Stärken. Ihre strategisch intelligente Entscheidungsfindung wird oft verkannt, da sie nicht auffällt. Auch hier hat sie bei schwächeren Teams schlichtweg einen geringeren oder gar keinen Nutzen, da die Mitspieler nicht darauf eingehen, oder sich dann nicht dementsprechend verhalten beziehungsweise durch eine schwache Technik ohnehin Probleme in der Angriffsfortführung haben. Dazu kommt die intelligente Entscheidungsfindung und gute Passtechnik; Holger Badstuber beispielsweise wurde in der DFB-Elf Mats Hummels lange Zeit vorgezogen, da letzterer zu häufig den langen Pass ins Mittelfeld oder in die Spitze gesucht hat und erst später dieses Spiel umstellte. Badstuber hingegen besitzt eine herausragende Entscheidungsfindung, wann der lange Pass in welche Zone angebracht ist und wann der Ball kurz zirkuliert werden muss.
Benatia ist hier übrigens spielerisch abermals nicht ganz auf diesem (hohen) Niveau, dafür aber – wie auch gegen den Ball – etwas beweglicher und dynamischer. Er löst sich teilweise sogar aus unangenehmen Situationen mit guten Dribblings oder kann nach Balleroberungen gut gegen das gegnerische Gegenpressing bestehen. Nur vereinzelt greift er zu früh auf den langen Ball zurück – was aber natürlich besser ist als ein verlorenes Dribbling oder ein Fehlpass am Strafraum.
Somit entspricht der Marokkaner durchaus Guardiolas Vorgaben an einen Innenverteidiger; darum könnte der Katalane nun auch trotz der Martinez‘ Verletzung die Dreierkette wieder öfter auspacken.
Benatia als Schlüsselspieler für diese Saison?
Ein sehr großer Teil der Vorbereitung des FC Bayern wurde in das Einstudieren der Dreierkette und ihrer gruppentaktischen Abläufe investiert. Die Stammbesetzung dürfte in Guardiolas Augen wohl Alaba als linker Halbverteidiger, Boateng als rechter Halbverteidiger und Martinez als zentraler Innenverteidiger gewesen sein. Hierbei ist sehr interessant, dass damit eine extrem flexible Spielweise möglich wäre. Boateng und Alaba können mit ihrer Dynamik weite Räume sichern und auch als quasi-Außenverteidiger mit nach vorne gehen; Martinez hingegen ist eigentlicher Sechser und hätte situativ in das Mittelfeldzentrum aufrücken können, um dort die Sechser und Achter zu unterstützen. Dann wären Alaba und Boateng klassische Innenverteidiger.
Mit Benatia ist die Dreierkette wieder möglich; Dante bringt nicht ganz diese Bewegungen mit, um das nach wie vor auf höchstem Niveau praktizieren zu können, weswegen ohne Benatia und ohne Martinez eine Dreierkette vermutlich nicht mehr genutzt worden wäre. Benatia ist zwar vermutlich nicht wie Martinez im Stande ins defensive Mittelfeld aufzurücken und den Ball zirkulieren zu lassen, doch mit seiner antizipativen Spielweise gegen den Ball und seiner guten Fähigkeiten mit Ball ist er als zentraler Innenverteidiger für eine Dreierkette ebenso gut geeignet wie als einer von zwei Innenverteidigern für die Viererkette. Sollte er nicht auf größere persönliche Probleme in puncto Eingewöhnung oder taktischer Probleme im komplexen Positionsspiel des FC Bayern stoßen, haben die Münchner mit dieser Verpflichtung wohl alles richtig gemacht. Mit Benatia, Boateng und Badstuber besitzen sie nun eine sehr flexible und hochklassige Innenverteidigung, die von Dante als vierter Option noch unterstützt wird; bei einer Dreierkette kommt dann auch noch Österreichs Star David Alaba ins Spiel.
René Maric, www.abseits.at
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Rene Maric
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