Transfers erklärt: Darum wechselten Arturo Vidal zum FC Bayern München
Deutschland 22.August.2015 Rene Maric 1
Wie schon in der vergangenen Sommertransferperioden gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, wo die Hintergründe und Motive beleuchtet werden. Wieso holt eine Mannschaft diesen Spieler? Wer ist dieser Spieler überhaupt? Was erwartet sich sein neuer Verein von ihm? Kann er die Erwartungen in seinem neuen Verein erfüllen? Diese Fragen sollen hauptsächlich beantwortet werden. Auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen, immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls kurz erläutert werden sollen.
Dieses Mal geht es um einen der beiden großen Transfers der Münchner Bayern: Arturo Vidal.
Zu viel spanischsprachige Akteure?
Direkt nach der Verpflichtung äußerten ein paar Fans und Experten ihren Unmut. Mit Vidal (und auch Douglas Costa) sind zwei weitere Spieler gekommen, die eine romanische Muttersprache ihr Eigen nennen dürfen. Zwar weiß ich persönlich nicht, was daran ein Problem ist, doch unter anderem Ottmar Hitzfeld kritisierte einen möglichen Identitätsverlust bei den Bayern, dessen Entstehung auf Guardiola zurückzuführen sei. Dieser kaufe zu viele Spieler, die Spanisch sprechen könnten; vermutlich um seine Spielphilosophie vermitteln zu können.
Allerdings sei gesagt, dass es den Spielertyp Arturo Vidal auf dem deutschen Markt so nicht gab. Akteure wie z.B. Lars Stindl, Lars Bender oder Sami Khedira haben einen anderen Fokus in ihren Stärken und Schwächen, sind qualitativ wohl auch unter Vidal anzusiedeln. Ähnliches ist bei beispielsweise Gonzalo Castro, Emre Can, Danny Latza oder Pascal Groß der Fall. Wenn die Bayern unbedingt einen Spielertypen wie Arturo Vidal wollten, gab es eigentlich nur einen Kandidaten auf diesem Niveau: Arturo Vidal. Doch teilweise fiel auch dies den Experten und Fans ins Auge.
Kein Guardiola-Spieler?
Für einige war der Kauf Vidals ein Zeichen, dass die Ära Guardiola sich ihrem Ende nähert. Das Hauptargument: Vidal als Mittelfeldspieler passe nicht in das System des katalanischen Startrainers. Immerhin stehe Vidal für Aggressivität, Physis, Weiträumigkeit in der Mitte und definiert sich somit eher über seine physisch-mentalen anstatt seine technisch-taktischen Fähigkeiten. Doch das stimmt nicht so ganz.
Obgleich die auffälligsten Aspekte Vidals enorme Bissigkeit und Laufbereitschaft sowie seine Dynamik sind, verfügt er über eine starke Technik und ist auch taktisch nicht schlecht. Zwar könnte er für Guardiolas Spielweise strategischer und kombinativer veranlagt sein, doch Guardiola hat sicherlich seine Pläne für Vidal. Einerseits wird er Vidal sicherlich technisch-taktisch weiterentwickeln; andererseits besitzt Vidal einmalige Fähigkeiten, die Taktikfanatiker und Dauer-Systemtüftler Guardiola auf bestimmte Art und Weise einbauen möchte.
Somit kommen für Vidal und seine vertikale, durchschlagskräftige Spielweise gleich viele unterschiedliche Positionen in Frage.
Vidal im Mittelfeldzentrum
Wie beim Bundesligaauftakt gegen den HSV kann Vidal natürlich als zentraler Mittelfeldspieler auf seiner Stammposition auflaufen. Dabei zeigte er gegen die Hamburger, dass er sowohl tiefer und zurückhaltender als einer von zwei Sechsern, oder als vorstoßender und enorm weiträumiger Achter in einem 4-1-4-1 spielen kann. In der ersten Halbzeit rochierte Vidal immer wieder auf den Flügeln, besetzte die strafraumnahen Räume und versuchte mit seinen Bewegungen seinen Mitspielern Räume zu öffnen. Nach der Halbzeit spielte er im 4-2-3-1 neben Alonso, baute das Spiel von hinten auf und sicherte die nunmehr sehr offensiv spielenden Außenverteidiger bei deren Vorstößen ab. Diese Flexibilität ist für einen Trainer wie Guardiola Gold wert.
Er kann nicht nur innerhalb des Spiels dank Vidal positionell viel umstellen, sondern auch die gruppentaktischen Abläufe oder die Rollenverteilungen anpassen. Vertikaler Achter oder gar Zehner, der das Sturmzentrum besetzt? Kein Problem. Ausweichender Achter? Klar. Spielgestalter aus der Tiefe? Nicht optimal, aber geht schon. Box-to-Box-Midfielder, der andauernd überall auftaucht? Immer her damit. Vidal ist im Mittelfeldzentrum enorm vielseitig; und nicht nur dort.
Vidal als Alaba-Pendant
Im vergangenen Herbst spielten die Bayern womöglich den besten Fußball der Ära Guardiola. Sie kombinierten herausragend, gewannen Spiele scheinbar mühelos und waren schlichtweg eine herausragende Mannschaft. Nach der Statistik „Expected Goals“ waren sie als Kollektiv sogar die beste Mannschaft seit Datenerfassung; also über Heynckes‘ Bayern oder Guardiolas Barcelona anzusiedeln.
Damals spielten die Münchner oftmals mit einer Dreierkette in der letzten Linie. Die Position des Außenverteidigers war in Alaba als linkem Halbverteidiger unorthodox besetzt. Der eigentliche Linksverteidiger schob passenderweise immer wieder aggressiv nach vorne, rückte mit seinen Vorstößen bis in die letzte Linie nach vorne und konnte dadurch enorme Dynamik in das Spiel der Bayern bringen. Der Gegner hatte außerdem Probleme mit diesen flexiblen Überladungen, dem tollen Kombinationsspiel Alabas und den entstehenden Dynamiken in den angrenzenden Zonen.
Diese Saison könnte man Ähnliches mit Vidal probieren. Er besitzt wie Alaba enorme Dynamik, Weiträumigkeit, ist defensiv sehr stark (insbesondere in einem System wie Guardiolas) und kann trotzdem offensive Ausrufezeichen setzen. Auch sein Spielaufbau wäre von dieser Position aus wohl als stark zu bewerten. Bei Bielsa in der chilenischen Nationalmannschaft und einst sogar bei Antonio Conte im Trikot Juventus‘ spielte Vidal diese Rolle bereits.
Vidal als Rechtsverteidiger?
Interessant wäre Vidal auch als Rechtsverteidiger. Die Bayern haben hier mit Philipp Lahm und Rafinha zwar zwei Optionen, doch beide sind eher „falsche Außenverteidiger“ im System Guardiolas, die in die Mitte schieben und die Ballzirkulation antreiben. Beide sind in ihren Vorstößen nicht auf allerhöchstem Niveau dynamisch, desweiteren werden Lahms enorme Fähigkeiten in puncto Spielintelligenz auf dem Flügel etwas verschwendet.
Theoretisch könnte Guardiola mithilfe von Vidal Lahm flexibel zwischen Mitte und Flügel sowie zwischen Sechser/Achter, Außenverteidiger und falschem Außenverteidiger hin und her schieben. Vidal ist mit seiner Dynamik und Ausdauer im Stande die gesamte Außenlinie zu beackern, spielt aber dank seiner technischen Fähigkeiten nicht nur als reiner Breitengeber eine Rolle. Situativ kann auch er in die Mitte einrücken und das Zentrum besetzen oder eben flexibel mit Lahm die Position tauschen.
Eine solche Spielweise würde Guardiola ähnlich sehen; aktuell scheint es aber, als würde er Vidal zentral und Lahm auf dem Flügel planen. Wie lange dieser Plan dauert und ob Guardiola ihn nicht nach zwei Spielen Mitte einer schwachen ersten Halbzeit über den Haufen wirft, bleibt abzuwarten. Vidal steht bereit; für alles.
René Maric, www.abseits.at
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