Transfers erklärt: Darum holte der FC Bayern München Thiago Alcantara!
Deutschland 16.Juli.2013 Rene Maric 5
Wie schon in der vergangenen Winterpause gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, und beleuchten die Hintergründe und Motive. Wieso holt eine Mannschaft diesen Spieler? Wer ist dieser Spieler überhaupt? Was erwartet sich sein neuer Verein von ihm? Kann er die Erwartungen bei seinem neuen Verein erfüllen?
Diese Fragen sollen hauptsächlich beantwortet werden. Auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen, immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls kurz erläutert werden sollen.
In dieser Ausgabe blicken wir auf den nächsten spanischen U21-Star, der seinen bisherigen Verein wechselt. Asier Illarramendi wechselte für fast 40 Millionen Euro zu Real Madrid, Isco für etwa zehn Millionen Euro weniger ebenfalls. Nun wechselt auch der dritte Starspieler, doch dieser verlässt Spanien.
Ein Supertalent folgt seinem Mentor
Thiago Alcantara wechselt vom FC Barcelona zum FC Bayern München. Gerüchte über die Ausstiegsklausel sprachen von 18 Millionen, ein paar andere von 21,7 Millionen Euro. Die letztliche Ablösesumme soll allerdings bei ungefähr 25 Millionen Euro liegen, die sich aus circa 20 Millionen Euro von den Bayern, dem Verzicht auf ausstehende Gehaltszahlungen von Thiago Alcantara und einem Freundschaftsspiel zusammensetzen sollen.
Böse Zungen behaupten gar, dieser Deal sei nur Augenwischerei, um die Ablöse künstlich noch zu pushen. Selbst wenn dies der Wahrheit entspricht, dürfte das die Barcelona-Fans kaum besänftigen. Für viele galt er als der kommende Xavi-Ersatz und ein Supertalent. Ein Blick auf seine Passstatistiken deutet zumindest ansatzweise an, wieso.
In den vergangenen drei Saisonen gab es in der Primera Division sieben Spieler mit mehr als 10 Einsätzen in einer Saison, die eine Passquote von über 91,5% hatten. Sechs Spieler standen dabei beim FC Barcelona unter Vertrag, nur einer kam von Real Madrid (Esteban Granero 2011/12 mit 92,1%). Seydou Keita kam zwei Mal vor, Alexandre Song und Javier Mascherano in ihrer jeweiligen Debütsaison schafften es ebenfalls in diese Liste, jeweils 1mal.
Die verbliebenen drei Spieler heißen Sergio Busquets, Xavi Hernandez und eben Thiago Alcantara, die allesamt in allen drei Jahren vertreten waren. Im absoluten Ranking kommt Thiago auch auf Platz 3 und 4 hinter Xavi, dessen Leistungen aus der Saison 2010/11 und aus der vergangenen Saison die Höchstwerte markieren.
Hierbei muss auch beachtet werden, dass Thiago nie als Innenverteidiger spielte (wie Song oder Mascherano) und auch nie als alleiniger Sechser (wie Keita und Busquets). Er spielte gar offensiver als Xavi, nämlich auf der Position von Iniesta oder übernahm in der 3-4-3/3-3-4-Position eine der Halbläuferpositionen in der Mittelfeldraute. Es war der aktuelle Bayerntrainer Pep Guardiola, der ihm vor drei Jahren die ersten Einsätze gab, sich später für einen Platz als erster Rotationsspieler im offensiven Mittelfeld einsetzte und ihn oft in der Mittelfeldraute vor einer Dreierkette brachte.
Doch es war auch die Verpflichtung Fabregas‘ in der letzten Guardiola-Saison, die Thiagos Durchbruch zu verhindern schien. In der vergangenen Saison und nach der Rückkehr zum 4-1-2-3 kam er zu weniger Einsätzen, zeigte sich weniger konstant und stagnierte in seiner Entwicklung.
Seine Passquote war zwar nach wie vor durchaus beeindruckend, aber es zeigt sich auch, dass solche isoliert betrachteten Statistiken selten mehr als nur ein Indiz für die Leistung eines Spielers sind – was in diesem Artikel ebenfalls kurz erläutert werden wird.
Seine Entwicklung könnte nun bei seinem alten Förderer und dank eines Tapetenwechsels einen neuerlichen Sprung erfahren.
Brasilianischer Zauber und spanische Fußballschule
Auf den ersten Metern ist Thiago dynamisch, bewegt sich enorm schnell, hat einen starken Antritt und eine wunderbare Koordination, wodurch er auch auf engstem Raum zu Dribblings ansetzen kann. Schon bei der Ballannahme zeigt Thiago seine Balltechnik: Oft nimmt er sich den Ball sofort mit der Sohle mit, baut dabei einen Übersteiger ein und schützt den Ball, während er sein Sichtfeld und seine Körperhaltung ändert. Klingt schön und sieht auch so aus; aber es ist gleichzeitig ein Indiz für eine der wenigen Schwächen Thiagos.
Gelegentlich bricht nämlich der Brasilianer zu sehr aus ihm heraus. Zu früh entscheidet er sich dann ins Dribbling zu gehen oder gegen zu viele Spieler anzudribbeln (was“ frameborder=“0″ allowfullscreen> oft aber auch in wunderbaren Aktionen endet). Manchmal sucht er sich auch bewusst Engen aus, um in diesen zu manövrieren, auch wenn einfachere Alternativen da wären oder ein Rückpass angebracht wäre. Allerdings ist dies wegen der Seltenheit der Situation und seiner hervorragenden Technik Kritik auf höchstem Niveau.
Abgesehen von einzelnen Konstanz- und Präsenzmängeln hat Thiago eigentlich nur eine Schwäche: Gelegentlich spielt er zu anspruchsvolle Pässe, die schwierig zu verarbeiten sind. Dies ist ein Faktor, die sich in den Statistiken nicht widerspiegelt – oder es vielleicht sogar vermeintlich positiv tut. Thiago gibt seinen Pässen manchmal zu viel Drall mit, spielt sie zu fest oder nicht präzise zur direkten Weiterverarbeitung, wodurch seine Mitspieler verlieren.
Teilweise kann er dadurch seine Mitspieler gut in engen Räumen anspielen, weil größere Härte oder ein gewisser Effet den Ballverlust verhindern, was aber wiederum seine Mitspieler in die Bredouille bringt. Dies könnte auch die Ursache sein, wieso sich Tito Vilanova in der sehr heißen Endphase der Saison mehr auf Xavi und Co. verließ, die solche fundamentalen und kaum sichtbaren Abläufe besser intus haben.
Ansonsten ist Thiago aber Spanier durch und durch. Er ist stark auf der Suche nach Räumen, bietet sich gut an, trifft (meistens) sehr gute spontane taktische und strategische Entscheidungen, kann lange wie kurze Pässe enorm genau spielen und rückt gut auf, wobei er nicht nur im Spiel im Raum, sondern auch im Spiel mit der Zeit brilliert. Auch im Pressing und im Defensivspiel ist er durch seine Dynamik und seine Spielintelligenz ein wertvoller Teil des Kollektivs. Bei den Bayern könnte er also auf Anhieb ein Schlüsselspieler werden.
Thiagos Rolle bei den Bayern
Guardiola sagte bei einer Pressekonferenz letzte Woche (zum Trainingslagerabschluss), dass man nur Thiago will und braucht – sonst keinen. In gewisser Weise sonderte der katalanische Trainer seinen neuen alten Schützling weltweit aus; in Anbetracht des Talents nicht überraschend. Auch bei den Positionen, die Thiago spielen kann, zählte Guardiola „die Sechs, die Acht, die Zehn, die Sieben und die Elf“ auf. Soll heißen: Thiago kann als Teil einer Doppelsechs spielen, als Akteur vor einem alleinigen Sechser in einem 4-1-2-3, als zentraloffensiver Spieler in einem 4-2-3-1 oder als kreativer Außenstürmer auf beiden Seiten.
Wichtiger als die Position könnte aber die Rolle werden, die ihm Guardiola geben wird. Wie gliedert sich Thiago in die taktische Hierarchie des Triple-Siegers ein?
Bei den Münchnern könnte er den „Xavi“ (also ein primärer Spielgestalter und Ballzirkulator im zweiten Drittel) oder den „Iniesta“ (ein Nadelspieler in engen Räumen und Kreativer im letzten Spielfelddrittel) machen, je nach Situation und Gegner. Oder aber im Spielverlauf wechseln, da er beide Rollen beherrscht, ebenso wie es Schweinsteiger und Kroos auf ihre eigene Art und Weise ebenfalls tun.
Die Bayern könnten also versuchen, die frühere Barcelona-Mannschaft Guardiolas mit mehr Physis, mehr Flexibilität in der Rollenverteilung und weniger Dominanz einzelner Spielertypen (Messi, Xavi) zu kopieren und dadurch eine eigene Mischung zu schaffen, die wohl letztlich irgendwo zwischen den letztjährigen Bayern und Barcelona von 2011 stehen würde.
Sollte dies der Plan sein, erklärt sich die Thiago-Verpflichtung wie von selbst: Es ist die Suche nach einem flexiblen Akteur für eine variable und an den Gegner angepasste Spielweise, die neben polyvalenten Spielertypen auch viel Rotation benötigen dürfte. Mit Thiago kommt ein weiterer systemtauglicher Spieler, der sich in gewissen Aspekten von den bisherigen unterscheidet und dadurch mehr Optionen ins Spiel bringt.
Rene Maric, abseits.at
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