Verlorene Weltklassespieler (6) – Uli Hoeneß
Deutschland 10.April.2013 Rene Maric 2
In dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien, Verletzungen oder einfach die Umstände ihrer Karriere: Die Aussage „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ kann manchmal schmerzhaft wahr sein.
Wir lassen die Karrieren diverser Akteure Revue passieren, spekulieren über die mögliche Auswirkung ihres fehlenden Durchbruchs in der Geschichte des Fußballs und ein kleines „was wäre, wenn…?“ darf natürlich auch nicht fehlen. Immerhin besitzt nahezu jeder Fußballfan noch eine schöne Erinnerung an solche Spieler und jene fragende Wehmut, welche Erinnerungen man nicht verpasst hat.
In diesem Teil widmen wir uns …
Uli Hoeneß
Im Gegensatz zu vielen anderen Spielern dieser Serie ist Uli Hoeneß wohl jedem ein Begriff. Der aktuelle Präsident des FC Bayern ist das Symbol „seines“ Vereins. Wie kein anderer polarisiert er. Manchmal stichelt er gegen Konkurrenten und nennt es „Abteilung Attacke“, manchmal hilft er sogar dem Erzrivalen mit der einen oder anderen Million aus – ob BVB oder 1860 München, beide profitierten von der Solidarität des FC Bayern und besonders ihrem Kopf, Uli Hoeneß.
Doch kaum einer kann sich noch an den Spieler Hoeneß erinnern. Blickt man ihn an, so scheint man keinem ehemaligen Fußballer gegenüber zu stehen. Aber wie so oft trügt der Schein. Uli Hoeneß war eines der größten Talente des deutschen Fußballs.
Student, Leichtathlet, Fußballer
Uli Hoeneß wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf. Sein Vater war ein Fleischer und mit seinem Bruder spielte er leidenschaftlich gern Fußball. Früh machte sich Hoeneß einen Namen unter Experten. Mit 15 Jahren war er Kapitän der deutschen Schülerauswahl und wechselte mit 18 Jahren von der TSG Ulm zum FC Bayern – unter anderem mit Rainer Zobel und Paul Breitner, mit dem ihn bereits aus gemeinsamen Zeiten in den DFB-Jugendmannschaften eine innige Freundschaft verband.
Bereits mit 22 Jahren sollte Hoeneß letztlich zu den gefragtesten Stürmern Europas gehören. 1971/72 bildete er mit Gerd Müller einen herausragenden Angriff, im 4-3-3-System der Münchner war er die ideale Ergänzung zum „kleinen dicken Müllerchen“. 53 Tore erzielten sie gemeinsam in zwei aufeinanderfolgenden Saisonen, eine Marke, die nur einmal übertroffen wurde. Hoeneß erzielte dabei seine Tore immer wieder nach Alleingängen oder schnellen Sprints in offene Räume.
Hoeneß profitierte dabei von mehreren Faktoren. Einer war dabei sicherlich Gerd Müller – die gegnerischen Abwehrreihen konzentrierten sich mit ihren Manndeckungen dabei vorrangig auf Gerd Müller, immerhin der erfolgreichste deutsche Mittelstürmer aller Zeiten. Dadurch öffneten sich Räume für Hoeneß, die dieser perfekt nutzte.
Hoeneß profitierte nämlich zusätzlich noch vom damals vorherrschenden Manndeckungssystem. Eine Manndeckung auf ihn war nämlich mehr oder weniger sinnlos – mit einem Spieler, der über eine herausragende Athletik verfügte und die 100 Meter in exakt 11 Sekunden lief, sollte man sich nicht in Laufduelle einlassen.
Allerdings war Hoeneß kein Spieler wie David Odonkor; kein Sprinter, der nur seine Schnelligkeit besaß. Je nach Gegner und Spielsituation spielte Hoeneß sogar als hängender Stürmer oder im zentralen Mittelfeld. Dort konnte er mit seiner Kreativität und Spielintelligenz Angriffe einleiten, manchmal nur, um sie kurze Zeit später selbst zu vollenden. Dank seiner Athletik war er auch in der Defensive überaus hilfreich und mit seiner Technik nahezu ideal, um als laufstarker und vertikaler„Zehner“ zu agieren. Diese Mischung aus Polyvalenz, Talent und Athletik hätten ihn wohl zu einem der besten Spieler Deutschlands jemals machen können. Doch Hoeneß verletzte sich.
Das Finale 1975
Eigentlich schien die Karriere des Uli Hoeneß perfekt zu laufen. Mit nur 20 Jahren war er als Stammspieler bereits maßgeblich am EM-Gewinn der deutschen Nationalmannschaft beteiligt. Zwei Jahre später konnte die deutsche Nationalmannschaft auch die Weltmeisterschaft holen, abermals war Hoeneß eine wichtige Stütze. Mit 22 Jahren war er also mitverantwortlich für große internationale Erfolge, die in diesem Ausmaß erst von Frankreich 1998-2000 wiederholt werden würden.
Auch national schien alles perfekt zu laufen. Zwischen 1972 und 1974 wurde man dreimal Meister und im Finale des Meisterpokals 1974 setzte sich Hoeneß die Krone gleich selbst auf. Zwei Tore erzielte er zum 4:0-Endstand gegen Atlético Madrid. Ein Jahr später schien die schillernde Karriere aber fast beendet.
Im Finale 1975 wurde der Erfolgslauf gestoppt. Zwar gewannen die Münchner abermals den Meisterpokal, doch Hoeneß verletzte sich schwer: Ein halbes Jahr Pause wegen einer Knieverletzung in einer Zeit, wo es noch deutlich weniger effektive Reha-Therapien gab. Hoeneß sollte nie mehr der Alte werden. Seine Leistungen waren auch nach seiner Rückkehr noch stark, doch es fehlte der letzte Schuss Spritzigkeit und Dynamik, welcher Hoeneß so besonders gemacht hatte.
1976 verschoss er gar – fast schon symbolisch – den entscheidenden Elfmeter gegen die Tschechoslowakei im EM-Finale. Vom Himmelsstürmer aus dem Jahre 1972 war nun der Himmels-Elfmeterschütze geworden. 1976 bestritt er sein letztes Länderspiel und auch im Verein ging es bergab. Unter Trainer Gyula Lorant, der auf Raumdeckung und eine Neustrukturierung des übersättigten Bayernkaders setzte, verlor er seinen Stammplatz.
Auf Anraten von Freunden wechselte er zu einem kleineren Verein. Doch auch während seiner Leihe beim 1. FC Nürnberg und der späteren Rückkehr schien Hoeneß weit von seinem Spitzenniveau entfernt. 1979 beendete er letztlich seine Karriere und wechselte ins Management – der Rest ist Geschichte.
Glücksfall Verletzung?
Womöglich war es sogar positiv, dass sich Hoeneß verletzte. Ohne ihn hätten die Bayern ihre Schulden durch intelligentes Wirtschaften und kompromisslose Transfers niemals abarbeiten können. Hoeneß etablierte den Bayern als Marke – einen der gesündesten und seriösesten Vereine Europas. Ob er dies sonst auch geschafft hätte?
Allerdings ging der Welt ein herausragender Fußballer verloren, der ansonsten eventuell in einem Atemzug mit Größen wie Fritz Walter, Franz Beckenbauer oder Uwe Seeler genannt worden wäre. Somit verlor Deutschland zwar eines seiner größten Talente, erhielt im Gegenzug aber den tonanführenden Verein Europas und einen der größten Verfechter von Solidarität und Wirtschaftlichkeit im Weltfußball.
Rene Maric, abseits.at
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