Von der Altlast zum Schlüsselspieler – Die Reinkarnation von Oliver Kirch
Deutschland 26.April.2014 Alexander Semeliker 3
Drei Wochen vor dem DFB-Pokalfinale kommt der Motor von Borussia Dortmund, der zwischendurch stotterte, noch einmal voll auf Touren. Ein Akteur, der sich in den letzten Wochen dabei in den Mittelpunkt spielte, ist Oliver Kirch. Man hatte ihn schon abgeschrieben, doch nun winkt ihm sogar ein neuer Vertrag.
„Er macht die größte Entwicklung mit, die ich jemals bei einem 31-Jährigen gesehen habe“, spart BVB-Coach Jürgen Klopp wie gewohnt nicht mit Lob für seinen Schützling, der selbst im Viertelfinalrückspiel der UEFA Champions League gegen Real Madrid herausstach. Dabei schien die Verpflichtung von Kirch zunächst schon früh zum Scheitern verurteilt zu sein.
Nur 150 Einsatzminuten in eineinhalb Jahren
Kolportierte 350.000 Euro zahlte Borussia Dortmund im Sommer 2012 an den 1. FC Kaiserslautern um den defensiven Mittelfeldspieler an Land zu ziehen – für den damaligen Double-Gewinner keine allzu erwähnenswerte Summe, zumal Kirch als variabel einsetzbar galt. Dennoch war eine gewisse Skepsis angebracht, ob ein Spieler, der selbst bei einem Absteiger nicht unumstritten war, überhaupt die gewünschten Backup-Fähigkeiten mitbringen würde.
Aufgrund des Ausfalls des etatmäßigen Rechtsverteidigers Lukasz Piszczek dürfte Kirch unmittelbar nach seiner Verpflichtung im Eröffnungsspiel 50. Bundesligasaison gegen Werder Bremen über die gesamte Distanz ran. Dort stellte er sich jedoch als großer Unsicherheitsfaktor heraus und wurde immer wieder überlaufen. Die Folge: bis Anfang März 2014 kam er nicht einmal auf 150 Bundesligaminuten. Eineinhalb Jahre verbrachte er auf der Tribüne, wurde selbst bei den Amateuren nur sporadisch eingesetzt – obwohl er zu keinem Zeitpunkt verletzt war.
Neues System als Grundlage für Reinkarnation
Auch als die Verletzungen anderer in der aktuellen Saison einsetzten schien Kirch keine Option zu sein. In der Winterpause wurde in den Testspielen sogar Henrikh Mkhitaryan als Option für die Achterposition in Erwägung gezogen. Mit Ilkay Gündogan fehlte die treibende Kraft im zentralen Mittelfeld, sodass Nuri Sahin mittlerweile 44 Pflichtspiele in den Beinen hat – die meisten über 90 Minuten. Das Aufbauspiel des BVB war so ausrechenbar und leicht zu pressen.
In den letzten Spielen zeigte das Trainerteam jedoch einmal mehr seine große taktische Finesse und stellte ein neues Spielsystem auf die Beine. Die relativ starren Strukturen des lange praktizierten 4-2-3-1 wurden aufgegeben, stattdessen agierte man in einer fluiden 4-4-2-Grundordnung, die sich besonders durch die unkonventionelle Besetzung der Flügel charakterisiert. Kirch übernimmt dabei die Rolle des tiefsten Mittelfeldspielers, fällt im Aufbau aber nicht zwischen die Innenverteidiger zurück. Das erlaubt es Sahin höher zu spielen.
Quarterback- und Gegenpressing-Qualitäten
„Technisch war er schon immer stark, jetzt hat er auch noch einen guten Blick für den Raum“, so Klopp über Kirch. Die Qualitäten, die er mitbringt, sehen wir uns am besten anhand von Beispielszenen an.
Eine Komponente, die dem Aufbauspiel des BVB aufgrund der Verletzung von Gündogan fehlte, war das Dribbling, mit dem man die gegnerischen Strukturen hätte aufbrechen können. Im obigen Video erkennt man, dass diese mit Kirch wieder erhöht bzw. verbessert wurde. Entscheidend ist aber, wie Klopp sagt, nicht nur die Tatsache, dass er den Ball halten kann, sondern die Art und Weise, wie er damit das Spiel seines Teams nach vorne treibt. Er dreht und bewegt sich gut in freie Räume, spielt präzise in die Tiefe.
Kirch hat aber auch die Abläufe im Gegenpressing, dem Kernelement des Dortmunder Spiels, verinnerlicht, wie man in diesem Video sieht. Er rückt geschickt und im richtigen Moment aus seiner Position heraus, besitzt die nötige Dynamik um auch größere Räume abzudecken. Insbesondere wenn Sebastian Kehl mit Sahin die Doppelsechs bildete gab es in dieser Hinsicht Probleme, da beide Abstriche im Antritt machen müssen.
Neuer Vertrag oder neuer Verein?
Was bis vor einigen Wochen noch nicht für möglich gehalten wurde, scheint aktuell ein wichtiger Faktor für die Saisonendphase zu sein. Mit Kirch hat der BVB nicht nur einen Spieler, der nach einer kräftezehrenden Saison eine Entlastung für den personellen Engpass sein kann, sondern jemanden, der auch neue Möglichkeiten hinsichtlich der Spielweise eröffnet. Es stellt sich daher die Frage, wie es für den 31-Jährigen, dessen Vertrag demnächst abläuft, weitergeht. Ein Angebot seitens des BVB wird es geben, aber aufgrund der zuletzt gezeigten Leistungen wohl auch von anderen Klubs.
Alexander Semeliker, abseits.at
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Alexander Semeliker
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