Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen... Wiederholung in Zeitlupe (18) –  Kevins Kontroversen (KW 29)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografien im Stile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Gedanken machen wir uns dabei über Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat: Heute gratulieren wir Ex-BVB-Spieler Kevin Großkreutz mit einem Porträt zu seinem 33. Geburtstag am 19. Juli…

Kumpel, Kämpfer, Karriere, Konflikte.

Fast acht Jahre ist es her, da schrieb ich über BVB-Legende Kevin Großkreutz in meiner Serie „Der spielende Fan – Klubhelden der Neuzeit“. Seitdem hat sich viel getan: Kevin wurde mit dem DFB-Team Weltmeister in Brasilien, verließ seinen Herzensverein, trainierte in Istanbul, spielte für Stuttgart, Darmstadt und Uerdingen, warf mit einem Döner, pinkelte in eine Hotellobby, starb beinahe bei einer Schlägerei, heiratete, bekam zwei Kinder und beendete seine Karriere. Seine Schuhe schnürt der Ur‑Borusse mittlerweile bei Bövinghausen in der Westfalenliga. Aus dem Profisportler ist ein Amateurfußballer geworden, sein Kneiplokal ist aktuell seine Haupteinnahmequelle. Doch trotz allem scheint Kevin sich nicht groß (!) verändert zu haben.

Geboren wurde der ehemalige Defensivspieler im Dortmunder Stadtteil Eving in eine schwarz-gelbe Familie. Sein Vater arbeitete werktags als Schlosser, die Wochenenden wurden – inklusive Oma Großkreutz – im damaligen Westfalenstadion verbracht. Bereits als Vierjähriger himmelte Kevin seinen BVB im Stadion an, als Jugendlicher reiste er gemeinsam mit seinem Vater zu Auswärtsspielen und noch als Profi war er – wenn er selbst spielfrei hatte – auf der Südtribüne anzutreffen. Seine eigene Fußballkarriere startete der heute 33-jährige in seinem Heimatbezirk. Bereits in jungen Jahren schien sein Traum vermeintlich wahr zu werden und er durfte sich das Trikot einer Dortmunder Jugendabteilung überstreifen.

Doch 2002 wurde der spätere Weltmeister als „zu schmächtig“ aus der schwarz-gelben Akademie ausgemustert und heuerte bei Rot-Weiß Ahlen an. Die Liebe zum BVB blieb dennoch ungebrochen. Als Stammspieler machte Großkreutz 2008 eine Bombensaison und stieg mit Ahlen in die 2. Bundesliga auf. Im Jänner 2009 unterzeichnete er daraufhin einen Vertrag bei seinem Herzensklub. „Das Gefühl kann man nicht beschreiben, das muss man selbst erlebt haben.“, erinnert er sich an sein erstes Match als Profi für den BVB. „Vor dem ersten Spiel gegen den 1. FC Köln konnte ich nicht schlafen, weil ein Traum in Erfüllung gegangen ist, wofür ich gearbeitet und alles gegeben habe.“, meint er weiter.

Obwohl seine technischen Fähigkeiten limitiert waren, machte Kevin mit Kampfgeist und Einsatzwillen seine Mankos wett. Er spielte vorwiegend auf beiden Flügeln, wurde aber auch als „Sechser“ eingesetzt. Meistertrainer Jürgen Klopp nannte ihn ein „taktisches Genie“. Seine Laufarbeit und seine tüchtige Defensivleistungen ließen Spieler wie Götze, Reus, Kagawa, Lewandowski und Co. glänzen. Kevin war Fanliebling, Bindeglied und mahnendes Malochergewissen der BVB-Meistermannschaft von 2011 und 2012. Der Spieler mit der Ultramentalität schien auf einer Endorphin-Welle zu surfen. Doch das CL-Finale 2013 sollte der letzte Höhepunkt von Großkreutz sportlicher Klublaufbahn bleiben, denn nach dem verlorenen Endspiel gegen den FC Bayern machte Kevin erstmals mit Kontroversen Schlagzeilen: So verhängte der BVB die höchste Geldstrafe der Klubgeschichte gegen ihn, nachdem er in eine Berliner Hotellobby uriniert hatte. In Köln soll er einen Fan mit einem Döner beworfen haben, es folgte eine Anzeige wegen Körperverletzung. Später stellte sich jedoch heraus, dass Großkreutz das gefüllte Fladenbrot nur auf den Boden geworfen hatte und die Anschuldigungen erfunden waren.

Kevin, mittlerweile Mitglied des DFB-Kaders, entschuldigte sich öffentlich im Trainingslager. Im Sommer 2014 wurde er – ohne eine Minute bei dem Turnier gespielt zu haben – in Brasilien Weltmeister. Zurück in der Heimat plagten ihn Knieschmerzen. Ein Jahr später ging seine Zeit in Dortmund zu Ende und Großkreutz wechselte im August 2015 zu Galatasaray. „Es fühlte sich so an, als würde ich aus der Familie verstoßen. Es war hart.“, sagt er rückblickend über diesen Wechsel. Tatsächlich hatte der gebürtige Dortmunder unter Thomas Tuchel keine Chancen auf Einsatzminuten und musste so den Verein verlassen. Aufgrund unvollständig eingereichter Unterlagen konnte Kevin in der türkischen Hauptstadt aber nur trainieren. Im Winter wurde das Heimweh zu groß und er verkündete dem Trainerteam, dass er nachhause wolle. Daraufhin unterschrieb er beim VfB Stuttgart. Die Schwaben stiegen ab und ein halbes Jahr später saß Großkreutz mit Tränen in den Augen und einer Schramme im Gesicht vor der Presse und musste sich wieder einmal erklären: Haarscharf war er nach einer Schlägerei und einem Sturz auf den Hinterkopf mit dem Leben davongekommen. Stuttgart löste den Vertrag auf, Großkreutz beteuerte jetzt längere Zeit nichts mehr vom Profifußball wissen zu wollen. Dennoch wechselte er zunächst zu SV Darmstadt 98, dann zu KFC Uerdingen. Doch nirgendwo kam der Ex-Nationalspieler richtig in die Spur und beendete daraufhin im Jänner diesen Jahres seine Profikarriere: Einen erneuten Wechsel ins Ausland habe er seinen kleinen Kindern nicht antun wollen.

Aus dem „spielenden Fan“ ist ein Profi-Frühpensionist mit schwarz-gelbem Schal und Straßenattitüde geworden. Kevin ist jetzt 33 Jahre alt, kennt den Fußball und das Leben. Man kann zu ihm stehen wie man will, doch Spieler wie ihn muss man im modernen Fußball mit der Lupe suchen: Happy Birthday, Kevin!

Marie Samstag