In dieser Serie wollen wir euch Porträts von Spielern liefern die außerordentliche Karrieren hingelegt haben. Natürlich gibt es in keinem Leben nur Höhen oder... Die Achterbahnprofis – Die wechselhaftesten Karrieren der Fußballwelt (4) – Éric Abidal

FC Barcelona Logo 2In dieser Serie wollen wir euch Porträts von Spielern liefern die außerordentliche Karrieren hingelegt haben. Natürlich gibt es in keinem Leben nur Höhen oder Tiefen, nachfolgende Herren mussten aber besonders harte Schicksalsschläge parieren oder erlebten seltene Glücksmomente. Wir gehen auf einmalige Lebensgeschichten ein, die exemplarisch für viele Sportler stehen sollen. Folgenden Profis durfte beim Achterbahnfahren nicht übel werden: Sie mussten mit Problemen kämpfen, hatten einmaliges Talent, konnten sich ihre Laufbahn hart erarbeiten oder wurden von Glücksgöttin Fortuna reich beschenkt. Wer warf seine überragende Begabung gar über Bord oder erlebte trotz Topform ein Unglück nach dem anderen? Wer hatte Startschwierigkeiten oder konnte den Versuchungen eines privilegierten Lebens nicht widerstehen? Der vierte Teil unserer Serie behandelt…

Éric Abidal – „Ab heute beginnt der Weg.“

Més que un club“, – „Mehr als ein Klub“. Für Éric Abidal sind diese Worte von besonderer Bedeutung. Es gibt zwar viele Vereine, die aufgrund ihrer Strahlkraft, Tradition und ihrer treuen Anhängerschaft mehr als nur simple Sportvereine sind, doch Abidals persönliche Geschichte hat dazu geführt, dass der mittlerweile 34-jährige Franzose den FC Barcelona ins Herz geschlossen hat. Die Unterstützung des Vereines und besonders der Fans half dem Verteidiger in jener Zeit, als er gegen eine schwere Krebserkrankung, die nicht nur seine Karriere sondern auch sein Leben bedrohte, kämpfte. „Jeder steht hinter dir.“, beschrieb er damals das katalanische Klima und erinnerte sich im Sommer 2011 an jenen März, als bei ihm ein Lebertumor diagnostiziert wurde und er daraufhin die Ermutigungen der spanischen Fans und seiner Teamkameraden genoss. Während der FCB-Spiele machten ihm die Anhänger in der 22. Minute mit Applaus und Sprechchören Mut, auch im Krankenhaus hatte der Defensivspieler keine ruhige Minute: Fans, Kollegen und Vereinspersonal gaben sich die Klinke in die Hand. Dani Alves bot ihm sogar seine Leber an, als klar wurde, dass sich der Nationalspieler der „Bleus“ einer Transplantation unterziehen musste. Auch Konkurrenten wünschten dem Erkrankten eine rasche Genesung. „Abi“ wurde von Mitgefühl und Glückwünschen beinahe erschlagen, denn man bekommt nun einmal, was man verdient. Auch im positiven Sinn.

Der Löwe aus Lyon

Das Wichtigste sei anderen zu helfen, das haben ihm seine Eltern früh beigebracht. Diese predigen kein Wasser und trinken Wein: Nein, Warmherzigkeit und Familiensinn werden in der kreolischen Kultur großgeschrieben. Abidals Eltern sind Wirtschaftsflüchtlinge, die in den 70er-Jahren aus Martinique in die Nähe von Lyon kommen um dort zu arbeiten. Etwas außerhalb der Hauptstadt der Region Rhône-Alpes wird ihr einziges Kind, Eric-Sylvain, am 11. September 1979 geboren. Die Familie lebt kein luxuriöses Leben, die Eltern schicken jeden Groschen, den sie übrig haben, nachhause in die Karibik. Ihren Sohn halten sie mit klaren Worten von dem Straßenleben und der damit verbundenen Kriminalität der Lyoner Vorstädte fern: „Wenn du auf der Straße nichts zu tun hast, dann musst du auch nicht hinausgehen.“, sagt ihm die Mutter. So beschränkt sich der Radius des kleinen Éric zunächst auf seinen Schulweg und den anschließenden Gang zum Fußballplatz. Früh lernt er seine spätere Frau kennen, sie wachsen zusammen in St Genis-Laval, ungefähr 10 Kilometer von Lyon entfernt auf und verfolgen ähnliche Interessen. Die spätere Madame Abidal betreibt mit Vorliebe Gymnastik und kennt somit das entbehrungsreiche Leben eines Sportlers. Abidal kickt in seiner Jugend zunächst für Olympique St. Genis-Laval. Sein Trainer erinnert sich: „Éric machte 50 % des gesamten Wertes unserer Mannschaft aus.“

Nach einer ersten groben Verletzung läuft er für den AS Lyon-Duchère auf. Seine Technik und seine Schnelligkeit erfreuen die Zuschauer und seinen Trainer. Doch an eine Profi-Karriere ist zunächst nicht zu denken, Abidal macht nebenbei eine Lehre zum Maler und Anstreicher. Seine Laufbahn scheint an einem wichtigen Punkt zu stagnieren: Er ist schon zwanzig Jahre alt und schafft es nicht sich bei seinem Amateurteam durchzusetzen. Verzweifelt fragt der junge Spieler seinen Trainer: „Zählst du überhaupt auf mich?!“ Der ist verwundert und entkräftet Abidals Zweifel indem er ihm eine gute Zukunft prognostiziert. Diese gewonnene Portion an Vertrauen führt dazu, dass Éric aufblüht. Sieben Monate nach seiner ersten schweren Verletzung und den Überlegungen seinen großen Traum zu begraben, unterschreibt der Zwanzigjährige einen Vertrag beim AS Monaco. Doch dort lernt er zunächst wieder die Warteschleife, in der er sich schon davor befand, kennen. Nur neunmal steht er im ersten Jahr im Kader der Monegassen, erst in der Folgesaison läuft es langsam besser. Er wird 2002/2003 zu Lille verliehen, wo er auf seinen alten Trainer aus Monaco trifft.  Schließlich wird sein „Heimatverein“ auf ihn aufmerksam: Von 2004 bis 2007 kickt er für Olympique Lyon: Drei Jahre, drei Meisterschaftstitel, drei Supercup-Siege. Abidal gibt der Mannschaft in der Defensive Halt und steht bald auf dem Wunschzettel des FC Barcelona. Lyon lässt sich zähneknirschend auf Verhandlungen ein und bekommt tatsächlich 16 Millionen Euro für den Linksverteidiger überwiesen. Dieser hat zuvor erklärt im Falle einer Verweigerung der Freigabe, nicht mehr zum Training zu erscheinen. Erpressung – aber effektiv.

 „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen.“

Die Katalanen verpflichten Abidal in seiner Bestform: Der 1,86 Meter große Spieler ist ein Verteidiger wie er im Buche steht. Technisch gut, ein hervorragender Zweikämpfer mit perfektem Passspiel. Souverän nimmt er Angriffen auf seiner linken Seite den Wind aus den Segeln, und bleibt auch in Stresssituationen cool. Der Franzose lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen und hält Andrés Iniesta so den Rücken frei. In seinen ersten Spielen für den spanischen Kultklub kritisieren einige Fans noch seine zu defensiv interpretierte Rolle bei Barca. Viele werfen dem Außenverteidiger Harmlosigkeit in der Offensive vor. Diese Kritiker verstummen jedoch schnell, als Abidal deutliche Verbesserungen seiner Vorstöße in die Offensive zeigt. Er entwickelt sich zum kompletten Flügelspieler, der – je nach Taktik- das Spiel breit macht und so zum gefährlichen Assistgeber mutiert. Schon in seiner zweiten Saison kann Abidal mit den Katalanen das Triple holen, im CL-Finale 2009 sitzt er jedoch gesperrt auf der Bank.

Selbst die Verpflichtung des Brasilianers Maxwell kann ihm seinen Stammplatz zunächst nicht streitig machen. Der Franzose führt mit Frau und Kindern ein schönes Leben an der Küste Kataloniens, spielt in der besten Klubmannschaft der Welt und läuft regelmäßig für sein Heimatland auf. Die dunklen Wolken des Pechs ziehen erst wieder im Frühling 2010 auf: Verletzungen am Knie und an der Leiste führen dazu, dass Maxwell statt ihm aufläuft. Doch „Abi“ gibt sich nicht geschlagen, zeitweise spielt er für den verletzten Puyol als Innenverteidiger und kann in seiner vierten Saison beim FCB im Pokalspiel gegen Athletic Bilbao endlich seinen ersten Treffer erzielen.

Mein Feind, der Krebs

37.067 Menschen erkranken in Österreich 2011 an Krebs. Nicht in der Alpenrepublik, sondern im Süden Europas trifft die Diagnose Tumor auch einen 31-jährigen Profifußballer, einen Ehemann und Vater von drei kleinen Töchtern. Im März 2011 entdecken Ärzte eine Geschwulst in Éric Abidals Leber, nur wenige Tage später liegt der Linksfuß schon unter ihrem Messer. Ein Schock für ihn und für ganz Barcelona, doch seine Chancen stehen gut.

Eine Pause von mehreren Monaten wird prognostiziert, trotzdem läuft Abidal schon im Mai 2011 wieder auf. In der neunzigsten Minute steht das Camp Nou Kopf: Puyol macht im CL-Spiel gegen Real Madrid Platz für den Franzosen. Mein Herz hat gezittert wie verrückt.“, sagt dieser am Ende des Matches. Die Mitspieler werfen ihren verloren geglaubten Kameraden in die Luft, als hätten sie den begehrten Henkelpott gerade gewonnen. Es gibt Momente, in denen der Fußball egal ist: Das ist so einer. Den Silberpokal gewinnen die Blau-Roten wenig später ebenfalls und als Erster darf ihn Abidal in die Höhe stemmen. Der eigentliche Kapitän Carles Puyol hat dem Defensivspieler den Vorzug gelassen. Ein Zeichen, das Ausdruck dafür ist, wie sich der FCB gerne präsentiert: Als eingeschworene Familie und Gemeinschaft. „Ich kann meine Emotionen nicht beschreiben. Es ist so spektakulär. Ich bin so dankbar für diese Geste.“, sagt ein erschöpfter, aber sichtlich glücklicher Spieler nach dem Match.

Éric Abidal, ein konvertierter Muslim, tut, was ratsam ist, wenn man einen einschneidenden Zwischenfall in seinem Leben erdulden muss: Er stellt sich und sein bisheriges Handeln in Frage. „Wenn du das Glück hast Fußball zu spielen und ein bemerkenswertes Leben führst und dir dann plötzlich etwas Schlimmes passiert, helfen dir deine Autos auch nicht.“, kommentiert er den Verkauf seiner Luxusschlitten nach seiner Diagnose. Der Schicksalsschlag hätte ihn verändert, er würde jetzt vermehrt Geld in Benefizprojekte stecken, erzählt der Nationalspieler der „Bleus“. Seine rasche Genesung führt vielleicht dazu, dass der Spieler die Erkrankung nur als Wink mit dem Zaunpfahl sieht. Doch er wird enttäuscht. Ein Jahr nach dem erstmaligen Auftauchen der Krankheit, kehrt Abidals Krebs zurück. Er verlängert seinen Kontrakt bei „Barca“ und unterzieht sich anschließend einer Transplantation. Damals steht es in den Sternen, ob der Spieler nochmals für Barca auflaufen wird. Es ist nicht einmal klar, ob er jemals wieder seine Fußballschuhe schnüren kann. „So wie ich das sehe, stellt Gott dir Herausforderungen“, sieht Abidal die Rückkehr der Krankheit erneut als Kampfansage an.

Neues Spiel, neues Glück

„Du wirst zurückkommen und wie immer der Beste sein. Du bist ein Vorbild für alle.“, macht ihm Kollege Piqué per Twitter Mut. Abidal wird ein Teil der Leber seines Cousins „eingepflanzt“. Die Operation dauert neun Stunden und die anschließenden Schmerzen sind beinahe unerträglich. Doch der gebürtige Lyoner bleibt tapfer. „Er ist unersetzlich. Jetzt können wir nur hoffen und müssen besonnen bleiben.“, diese Worte vom damaligen Barca-Coach Guardiola sind Balsam für „Abis“ Seele. Er kämpft, ist zehn Monate später wieder fit und verschafft dem FCB die „beste Nachricht des Jahres“ (O-Ton: Xavi).  Der Verteidiger kehrt in den Kader zurück, macht aber nur noch fünf Spiele für die Katalanen, davon spielt er nur noch einmal über 90 Minuten. Seine Rückkehr ist emotional, doch die Geschichte geht langsam zu Ende: Abidal bedankt sich in seinem ersten Spiel nach der Transplantation per T-Shirt bei seinem Retter, seinem Cousin. Auch der hat die Operation gut überstanden.

Die sportlich-wirtschaftliche Seite siegt aber letztendlich: Die katalanische Klubführung verlängert den 33-jährigen Defensivspieler nicht. Ist ihnen seine Zukunft zu unsicher? Schließlich ist der Franzose der erste Fußballer, der mit gespendeter Leber spielt und befindet sich außerdem schon im letzten Drittel seiner Karriere. Abidal antwortet bei seiner Abschieds-Pressekonferenz ausweichend auf die Frage, ob er glaube, wieder seine Form vor der Krankheit erreichen zu können: „Ich will immer noch spielen, wenn mir die Ärzte sagen, dass ich aufgeben soll, weil mein Leben in Gefahr ist, mache ich das. Aber das ist nicht der Fall im Moment.“ Der FC Barcelona schwingt auch nicht gerade große Reden, als gefragt wird, warum Abidals Vertrag nicht verlängert wurde. Es ist ein stiller Abschied, der im letzten Saisonspiel am Emotionalsten ist: Messi und Co. verabschieden sich im Spalier mit Nummer-22-T-Shirts vom Spieler mit der Nummer 22.

Der 67-fache Nationalspieler kehrt im Sommer 2013 in heimatliche Gefilde zurück und kickt wieder in der französischen Liga. Diesmal für den AS Monaco, der Klub aus dem Zwergstaat ist schließlich auch jener Verein bei dem Abidal einst den Durchbruch schaffte. „Abi“ passt perfekt ins „Beuteschema“ der Monegassen: Ein Weltklassespieler, der allerdings nach einer Rekonvaleszenz und daher recht billig in das Land der Grimaldis kommt. Seit Sommer ist „Abi“ fester Bestandteil der Innenverteidigung und wird auch wieder in das Nationalteam eingeladen. „Mein Job besteht nicht darin Geschenke an ihn zu verteilen. Ich habe mich für ihn entschieden, weil ich denke, dass er immer noch konkurrenzfähig ist.“, begründet Trainer Didier Deschamps die Einberufung des Spielers.

Trotz allem werden immer wieder Gerüchte laut, dass er sich schon im Sommer endgültig zurückziehen könnte. Ein wunderschönes Ende hat die Geschichte also nur im menschlichen Bereich: Abidal hat überlebt. Den Anstrengungen eines Profisportlers wird er aber nicht mehr lange gewachsen sein, für einen Weltklub wie Barcelona, der ganz oben mitspielt, ist ein Engagement eines solchen Kickers sowieso ein zu großer Unsicherheitsfaktor. Pep Guardiola wollte es trotzdem wagen und seinen ehemaligen Schützling zu den Bayern lotsen. Doch insgeheim weiß auch „Abi“, dass das Finale seiner Karriere nicht mehr weit ist: „Ich wollte den Kreis in Monaco schließen, wo alles begann.“ Gram gegenüber den Katalanen empfindet er nicht, seine „Post-Profi-Karriere“ plant er sogar bei den Blau-Roten. Diese haben schon bei der Abschiedspressekonferenz verlauten lassen, dass sie dem Franzosen einen Posten in ihren Nachwuchsmannschaften „freihalten“.

„Ich muss es Schritt für Schritt angehen.“, sagte der Spieler 2011, als er nach seiner Lebertransplantation erstmals wieder mit ins Trainingslager fuhr. Wie sagt ein altes Sprichwort? Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. C’est sur. Es cierto.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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