In dieser neuen Artikelserie wollen wir euch die größten Comebacks der Fußballgeschichte vorstellen. Welche Mannschaften gaben komfortable Führungen aus der Hand, welche Teams schafften... Die größten Comebacks der Fußballgeschichte (5) – …und dann kam Ibrahimovic

schweden_fansIn dieser neuen Artikelserie wollen wir euch die größten Comebacks der Fußballgeschichte vorstellen. Welche Mannschaften gaben komfortable Führungen aus der Hand, welche Teams schafften das Unmögliche und egalisierten mit großem Kampfgeist einen Rückstand? An einige Aufholjagden werdet ihr euch gut erinnern können, andere wiederum sind weniger bekannt. Sofern vorhanden, liefern wir euch zudem das passende Video zum jeweiligen Spiel, damit ihr die Comebacks noch einmal miterleben könnt.

Deutschland – Schweden 4:4

In der Österreich-Gruppe der abgelaufenen WM-Qualifikation fand ein Spiel statt, das in dieser Artikel-Serie nicht fehlen darf. Am vierten Spieltag der Gruppe C verspielte die deutsche Nationalmannschaft vor heimischen Publikum eine 4:0-Führung gegen die Schweden, ein Unentschieden, das sich für Jogi Löw und seine Truppe wie eine bittere Niederlage anfühlte. Wie konnte es soweit kommen, welche Faktoren ermöglichten es der schwedischen Nationalmannschaft zurück ins Spiel zu finden und einen Punkt in die Heimat mitzunehmen? Wir begeben uns auf Spurensuche.

Die Voraussetzungen vor der Partie

Beide Mannschaften waren zu diesem Zeitpunkt in der Gruppe C ungeschlagen, allerdings absolvierte Deutschland ein Spiel mehr und lag somit mit drei Punkten Vorsprung auf die Schweden an der Tabellenspitze. Nach einem 3:0-Sieg daheim gegen die Färöer, kamen die Deutschen in Wien zu einem glücklichen 2:1-Auswärtssieg und überzeugten danach beim 6:1-Erfolg in Irland. Schweden stieg erst am zweiten Spieltag mit einem 2:0-Heimsieg gegen Kasachstan in den Bewerb ein und gewann anschließend knapp auf den Färöer-Inseln mit 2:1, nachdem sie bis zur 65. Minute hinten lagen.

Der Spielverlauf

Man merkte Löw´s Mannschaft das Selbstvertrauen nach dem klaren Sieg gegen Irland von der ersten Minute an und Miroslav Klose gelang es die spielerische Überlegenheit schon früh in Tore umzumünzen. In der 8. und 15. Minute nutzte der torgefährliche Mittelstürmer zweimal eine ideale Reus-Vorlage eiskalt aus und brachte seine Mannschaft mit 2:0 in Führung. Innenverteidiger Per Mertesacker erhöhte in der  39. Minute den Spielstand auf 3:0 und spätestens als Mesut Özil elf Minuten nach Wiederanpfiff den vierten Treffer der Partie erzielte, bestand am Sieg der Hausherren kein Zweifel mehr. In der letzten halben Stunde sahen die Zuschauer jedoch ein komplett anderes Spiel, denn die DFB-Auswahl reagierte auf die schwedischen Umstellungen nicht, verlor den Faden und gab den sicher geglaubten Sieg aus der Hand.

Zunächst erzielte Zlatan Ibrahimovic in der 62. Minute den Anschlusstreffer per Kopf zum 1:4. Mikael Lustig nutzte nur zwei Minuten später einen Stellungsfehler Badstubers aus und als Johan Elmander in der 76. Minute das dritte Tor erzielte war die Partie auf einmal wieder offen. In der dritten Minute der Nachspielzeit fiel Rasmus Elm eine unfreiwillige Kopfballvorlage von Per Mertesacker vor die Beine, die der ZSKA-Moskau-Spieler humorlos verwertete. Davor wurde der deutsche Abwehrspieler allerdings hart von Zlatan Ibrahimovic attackiert, sodass der Treffer wohl irregulär war. Den Schweden konnte es egal sein, denn sie schrieben mit dieser Aufholjagd Geschichte. Nie zuvor holte ein Gegner gegen die DFB-Auswahl einen Rückstand von vier Toren auf.

Die Gründe für das geglückte Comeback

In der ersten Halbzeit standen die Schweden extrem tief und überließ den Hausherren komplett das Zentrum. Die Mannschaftsteile der Gäste waren zu weit voneinander entfernt und Ibrahimovic agierte komplett isoliert, weil selbst nach einem Ballgewinn seine Mitspieler nicht aufrückten. Nach der Pause löste Coach Erik Hamrem die Doppelsechs auf und brachte Kim Källström für den passiven Pontus Wernblom. Das schwedische 4-2-2-2 verwandelte sich nun in eine weit höher stehende 4-1-3-2-Formation und die fünf Offensivspieler zeigten ein tolles Pressing und störten den Gegner effektiv im Aufbauspiel. Mit Alexander Kačaniklić kam für den schwachen Samuel Holmén zudem ein neuer Akteur fürs linke Mittelfeld, der den Vorwärtsdrang des Rechtsverteidigers Jerome Boateng deutlich einschränkte und so das zuvor gut funktionierende Flügelspiel der Deutschen unterband. Von einem geordneten Spielaufbau war bei den Hausherren nur noch wenig zu sehen, denn den Innenverteidiger Mertesacker und Badstuber fehlten in vielen Situationen klare Anspielstationen, sodass sie ihr Glück mit weiten Bällen nach vorne versuchten, die jedoch die Schweden meist für sich behaupten konnten. Dies müssen sich insbesondere Bastian Schweinsteiger, Toni Kroos und Mesut Özil ankreiden lassen, da diese auf die neue Ordnung der Schweden nicht reagierten und zu hoch standen. Auch Jogi Löw fiel keine Antwort ein, denn der Wechsel Götze für Müller änderte nichts an der grundlegenden Problematik.

Zu den oben erwähnten Gründen kommen noch die mentalen Aspekte hinzu, die Mentaltrainer Christoph Wahlen in einem Artikel für uns erläuterte. Einerseits ist die Gefahr immer groß, dass die Spieler beim Stand von 4:0 die Partie als erledigt betrachten und im Geiste schon abhaken. Nach den Gegentreffern kommt irgendwann die Angst vor der Blamage dazu, der Druck wird immer größer und es fehlt schwer wieder eine Ordnung herzustellen. Wahlen verglich die Situation mit einer Waage: „Je schwächer der eine wird, desto stärker wird der andere.“ Erwähnenswert ist auch, dass sich Zlatan Ibrahimovic nach dem Treffer zum 1:4 sofort den Ball schnappte und mit ihm schnell zum Mittelkreis lief. Eine Aktion die so manch ein Zuschauer bei diesem Spielstand wohl mit einem Lächeln quittierte.

Die Deutschen ließen sich in den restlichen Partien von diesem Missgeschick jedoch nicht aus der Ruhe bringen und gewannen alle übrigen Spiele, sodass sie mit 28 von 30 möglichen Punkten die Gruppe C deutlich gewannen. Die Schweden setzten sich gegen Österreich im Kampf um den zweiten Platz knapp durch, schieden jedoch im Play-Off gegen Portugal aus.

Die Reaktionen der Medien zu diesem historischen Spiel

Das Nachrichtenmagazin spiegel.de fasste nach dem Spiel die Stimmen der internationalen Medien zu diesem außergewöhnlichen Spektakel zusammen:

SCHWEDEN

Áftonbladet: „Schweden braucht kein neues Nationalstadion in Stockholm. Wir haben schon eins in Berlin, wo wir von der Bahre wieder auferstanden sind. Das war wie ein Traum.“

Expressen: „Nie zuvor haben wir eine solche Berg- und Talfahrt erlebt. Nie zuvor war Schweden so erdrückt, erniedrigt und verzweifelt wie in der ersten Halbzeit. Was dabei wie ein unerreichbarer Wunschtraum schien, wurde nach 90 Minuten Wirklichkeit.“

Svenska Dagbladet: „Sagenhaft, Schweden. Die Urkraft bei der Auferstehung war unfassbar. Das 4:4 im Berliner Olympiastadion gehört jetzt zu unseren Sportklassikern. Eigentlich war das Spiel ja nach 15 Minuten vorbei.“

Dagens Nyheter: „Das war der größte Kracher der schwedischen Sportgeschichte. Die Deutschen sind eigentlich die falsche Mannschaft, um einen 4:0-Vorsprung herzugeben. Aber Schweden war diesmal die falsche Mannschaft zur Aufgabe. Danke für alles!“

ENGLAND

Daily Mirror: „Die Deutschen haben sich am Schwedenhappen verschluckt. Den Schweden gelang eines der großartigsten Resultate im internationalen Fußball überhaupt, als sie nach 0:4-Rückstand gegen Deutschland noch zurückkamen und sich ein Unentschieden verdienten.“

The Independent: „Deutschland verspielt Vier-Tore-Vorsprung – Ibrahimovic inspiriert Schweden zu einem Comeback. Nachdem man Irland am Freitag 6:1 besiegt hatte, schien Joachim Löws Elf vor heimischem Publikum bereit für den nächsten stolzen Abend. Aber Miroslav Kloses Kunststück, bis auf einen Treffer auf Gerd Müllers ewigen Torrekord aufzuschließen, wurde von einer Kapitulation seiner Mannschaft überschattet.“

SPANIEN

El País: „Schweden zerlegt Deutschland.“

Marca: „Aus einem 4:0 wird ein 4:4 – einfach unglaublich! Berlin erlebt eine der erstaunlichsten Aufholjagden der letzten Jahrzehnte.“

ITALIEN

La Gazzetta dello Sport: „30 Alptraum-Minuten für Deutschland gegen Schweden. Was für eine Aufholjagd! Angela Merkel verging das Lächeln. Nach Ibrahimovics Tor stand nur noch ein Team auf dem Platz.“

Corriere dello Sport: „Unglaublich: Schweden holt gegen Deutschland ein 0:4 auf. Klose allein reicht nicht.“

Tuttosport: „Was für eine Show!“

La Repubblica: „Unglaublich, diese Schweden!“

ÖSTERREICH

Österreich: „Was für ein Drama in Berlin: Deutschland verspielte gegen Schweden eine 4:0-Führung – am Ende hieß es 4:4 in einem irren Match.“

Kurier: „Unglaubliche Wende. Schweden war einem Debakel nahe, jubelte nach vier Toren in der letzten halben Stunde in Berlin aber über ein 4:4 und einen Punkt.“

SCHWEIZ

Neue Zürcher Zeitung: „Fassungslosigkeit in Berlin. Berlin hat am Dienstag eine verrückte Fußballnacht erlebt.“

Blick.ch: „Presse spottet über DFB-Elf: ‚War das dämlich!‘. Wie unglaublich das Spiel war, zeigt die Tatsache, dass Schweden exakt viermal aufs Tor schoss und jedes Mal traf. Goalie Manuel Neuer hielt tatsächlich keinen einzigen Ball!“

Tages-Anzeiger: „Furiose schwedische Aufholjagd! Vom 0:4 zum 4:4 in einer halben Stunde: Schweden bot in Deutschland ein wahres Spektakel.“

PORTUGAL

Público: „In Berlin sind die Fans von der Euphorie in die Depression gestürzt. Zwei Tore von Klose und ein Treffer von Mertesacker ließen vor der Pause einen ruhigen Abend erwarten. Özils Tor gleich zu Beginn der zweiten Hälfte schien den Sieg dann endgültig besiegelt zu haben. Aber da war ja noch Ibrahimovic. Er traf und weckte Schweden zu einer schwindelerregenden letzten halben Stunde auf.“

Record: „Verrücktes Spiel in Berlin! Schweden konnte in nur 28 Minuten einen 0:4-Rückstand gegen Deutschland aufholen. Mit dem Tor zum 4:4 in der Nachspielzeit wurde auch die deutsche Siegesserie in der WM-Qualifikation nach drei Erfolgen beendet.“

RUSSLAND

Sowjetski Sport: „Nach dem Spiel Deutschland gegen Schweden schreibt Gary Lineker seinen legendären Spruch um.“

Stefan Karger, www.abseits.at

Stefan Karger

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