Alle Jahre wieder: Die Faszination „Boxing Day“
England 26.Dezember.2018 Werner Sonnleitner 0
Wenn es am Kontinent dieser Tage langsam etwas ruhiger und besinnlich wird, steht im englischen Fußball wieder „der“ Feiertag des Jahres am Programm! Am Mittwoch ist „Boxing-Day“ und da verfällt die Insel kollektiv ins Fußballfieber. Dieser besondere Spieltag hat seinen festen Platz in der britischen Fußball-Kultur. Wir gehen heute dem Mythos „Boxing-Day“ auf den Grund. Warum und seit wann wird zu Weihnachten gespielt? Und dann hätten wir auch noch ein paar Anekdoten zu diesem besonderen Spieltag.
Wie kam der Tag zu seinem Namen?
Als Boxing-Day wird der zweite Weihnachtsfeiertag, also der 26. Dezember bezeichnet. In den Commonwealth-Ländern wurden die Dienstboten von ihren Arbeitgebern an diesem Tag beschenkt. Die kleinen Gaben wurden in einer Schachtel, einer Box dem Personal übergeben. So erhielt der zweite Weihnachtsfeiertag seinen Namen im englischen Sprachraum.
Und dieser Tag steht auf der Insel auch am Mittwoch wieder ganz im Zeichen des Fußballs. Autor Damien Cronley ging der Faszination des weihnachtlichen Kicks auf den Grund und hat auch den Ursprung dieser Tradition erforscht. Bis in die 1950er Jahre wurde an beiden Weihnachtsfeiertagen gespielt, bevorzugt am 25. Ab dann wurden alle Spiele auf den einen Tag konzentriert und der „Boxing-Day“ zog ins Lexikon der Fußballbegriffe ein.
Seit wann wird zu Weihnachten gekickt?
Schon 1860 bestritten der Sheffield FC und Hallam FC zu Weihnachten ein Freundschaftsspiel. Fast drei Jahrzehnte später wurde an diesem Tag erstmals ein Pflichtspiel angesetzt. 1888 bestritt der FC Everton am Weihnachtsfeiertag zuerst ein Pokalspiel gegen Blackburn Park Road, dazu am Nachmittag noch ein Freundschaftsspiel gegen Ulster FC und am Tag darauf eine Partie gegen Bootle FC. Dem Engländer gefiel dieses Schauspiel sofort, waren bislang die Weihnachtsfeiertage vom Biertrinken mit den Liebsten in der Stube und/oder in den Pubs geprägt. Jetzt war plötzlich auch Fußball am Radar.
Im nächsten Jahr wurde am 25. Dezember schon das erste Meisterschaftsspiel in der höchsten Liga ausgetragen. Preston North End – Meister und damals das Maß aller Dinge – gewann vor 9.000 Zuschauern gegen Aston Villa. „Dachdecker Nick Ross, der seine Gegner gern mit pfeifendem Grinsen durch seine verfaulten Schneidezähne irritierte, erzielte alle drei Treffer“, wie Cronley weiß.
Die eigentliche Zielgruppe – die Arbeiterklasse – hatte während der Woche keine Zeit zum Stadionbesuch, denn Flutlichter für eine Feierabendpartie gab es ja bekanntlich da noch nicht. Sonntag war aus religiösen Gründen tabu, blieb nur der Samstagnachmittag als einziger Termin im damals schon verhältnismäßig dicht gedrängten Spielplan. So war dieser neu geschaffene Spieltag eine Win-Win-Situation. Die Vereine hatten einen zugkräftigen Termin mehr zur Verfügung, der britische Fan seine Lieblingsunterhaltung nach den Feierlichkeiten.
Wer spielt aller?
Aus dieser Tradition ist längst schon eine Institution geworden. Nicht nur die englische Premier League spielt an diesem Tag, auch alle drei weiteren Profiligen pfeifen – großteils, weil ebenfalls Brauch – um 16 Uhr ihre Spiele an. Dazu ist der Spielplan seit jeher schon so gesteuert, dass die regionale Komponente eine wesentliche Rolle spielt. Einerseits werden die Spiele so angesetzt, dass Auswärtsfahrten so gut es geht auf ein Minimum reduziert werden. Andererseits sind hitzige Stadt-Derbies um den Weihnachtsfrieden nicht zu stören seit jeh her tabu.
Dazu kicken viele Amateurklassen am Boxing-Day. Und natürlich rollt die Lederkugel auch in Wales, Schottland und Nordirland. Außerdem hat die Rugby-Liga schon längst nachgezogen und den Termin ebenfalls okkupiert. Am Abend steht für den Briten dann oft auch noch ein Besuch auf der Pferde- oder Hunderennbahn inklusive einer Wette am Programm. Am Kontinent trägt heuer die Serie A und die belgische Liga Fußballspiele am Stephanitag aus.
Anekdoten, Legenden und Mythen
Zwangsläufig bietet so eine lange Tradition viel Platz für Geschichten. So musste zum Beispiel Arsenal London anfangs lange Zeit am Boxing Day auswärts antreten. Das Highbury-Stadion stand auf einem Grundstück, das der Kirche gehörte und die untersagte Spiele an Feiertagen.
Eine andere Tatsache zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der englischen Spielklassen: Der Alkohol, der gerade zu Weihnachten reichlich überall auf der Insel reichlich floss bzw. fließt. Auch die Spieler nutzten die Feiertage zum Trinken und ließen sich des Fußballs wegen nur ungern einbremsen. Es gibt einige Beispiele für „b‘soffne Gschichtn“, unerreicht bleibt aber der Auftritt von Clapton Orient (heute Leyton) im Jahre 1931. Da sponserte der Trainer ein Fass Weihnachtsbier, welches vor dem Anpfiff gemeinsam in der Kabine gekübelt wurde. Als positiv wird übermittelt, dass es alle Akteure noch halbwegs selbstständig auf den Rasen schafften, wo man sich dann durchaus tapfer hielt und gegen Bournemouth nur 1:2 verlor.
Die beste Unterhaltung anderer Art bot der Weihnachtsspieltag 1963. In den elf englischen Oberhauspartien fielen 66 Treffer. Unter anderen weil Fulham Ipswich zweistellig abfertigte. Ob die Gäste damals auch vorab eine feuchtfröhliche Zechtour veranstalteten ist aber nicht bekannt.
Zwar einen klaren Kopf dafür aber einen trüben Blick hatte Charltons Torhüter Sam Bartram 1937 beim London-Derby an der Stamford Bridge. Im dichten Nebel kam es zum Spielabbruch, in der Kabine fehlte später jede Spur vom Keeper. So wurde nach dem Teamkollegen gesucht, der weiterhin gewissenhaft das Tor hütete. Bei einer Sicht von wenigen Minuten ging der Spielabbruch an ihm vorbei. So zumindest wurde es „überliefert“…
Und zum Abschluss noch ein besonderes Spiel in dem der Sieger nebensächlich war. 1914 legten verfeindete britische und deutsche Truppen an der Westfront in Flandern am Weihnachtstag ihre Waffen nieder und spielten spontan ein Ländermatch der besonderen Sorte. Zwischen den Schützengräben des ersten Weltkriegs kam zur friedlichen Begegnung mit dem Feind. Vereinbart von ohne dem Wissen oder gar Absegnen der Vorgesetzten von Soldaten.
Werner Sonnleitner, abseits.at
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Werner Sonnleitner
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