Sie war hoch, die Erwartungshaltung, mit der die Verantwortlichen und die Fans unter dem neuen Trainer Erik Ten Hag sowie den Neuzugängen Christian Eriksen... Analyse: Misslungenes Pflichtspieldebüt von Ten Hag bei ManUtd

Sie war hoch, die Erwartungshaltung, mit der die Verantwortlichen und die Fans unter dem neuen Trainer Erik Ten Hag sowie den Neuzugängen Christian Eriksen und Lisandro Martinez gegen Brighton im Old Trafford in die neue Saison gestartet sind. Am Ende staunte man nicht schlecht, als man sich nach 96 Minuten mit 1:2 geschlagen geben musste. Doch, wie konnte es soweit kommen? Eine Analyse.

Es war ein klassischer Fehlstart, den Manchester United am 1. Spieltag der Premier League Saison 2022/23 gegen Brighton hinlegte. Die Ursachen sind mannigfaltig, wie der nachfolgende Bericht zeigt.

Taktische Ausrichtung

Manchester United startete mit einer zunächst offiziell als 4-3-3 ausgewiesenen taktischen Formation in das Spiel. Bei genauerem Hinsehen handelte es sich aber um ein 4-2-3-1, bei dem sich Christian Eriksen und Bruno Fernandes am linken Flügel abwechseln sollten. Dieser Plan ging aber nicht auf, da weder Eriksen noch Fernandes etatmäßige Flügelspieler sind und sich meist in die Mitte fielen ließen, wodurch der linke Flügel meist verwaist und unbespielbar war.

Wer nun glaubte, dass United das Übergewicht im zentralen Mittelfeld nutzen konnte, sah sich getäuscht. Vielmehr stellte sich United im Zentrum selbst die Passwege zu, wirkte schwerfällig und pomadig und kam gegen ein gewohnt tief stehendes und gut gestaffeltes Brighton kaum zu Chancen. Die sechstbeste Verteidigung der abgelaufenen Premier League Saison machte vor allem im Zentrum die Räume eng und arbeitete von Beginn an gut gegen den Ball, sodass es für United kein Durchkommen gab. Dass United das Spiel gegen Brighton durch die Mitte forcierte, war überraschend und auch wenig nachvollziehbar, gelten die Seagulls doch seit Jahren als eines der defensiv stärksten Teams der Liga, die dem Gegner kaum Platz im Zentrum lassen und die Laufwege gekonnt zustellen.

Das durch Uniteds taktische Ausrichtung entstandene Vakuum auf den Flügeln nutze Brighton für sich und verlagerte das Spiel im Laufe der ersten Hälfte zunehmend auf die Seiten, wo der Gegner viel Platz bot. Beide Tore resultierten aus für Brighton typische Konter und aus Zuspielen einmal vom linken Flügel nach einer guten Kombination der bärenstarken Trossard und Welbeck und einmal vom rechten Flügel durch March, die beide Male der Deutsche Pascal Groß verwertete. Beide Male stand die Abwehr der Red Devils zu hoch und wurde von den Gegenspielern überlaufen.

Dass United zwei Tore aus Kontern hinnehmen musste und in beiden Situationen vor allem mit dem Mittelfeld und der Verteidigung viel zu weit aufgerückt war, überrascht, denn auch für seine Konter ist der Club aus dem Süden Englands mittlerweile seit Jahren bekannt.

Mit anderen Worten: Brighton machte in der ersten Hälfte taktisch das, was es schon seit Jahren macht. In der Defensive die Räume zustellen und über die schnellen Flügel Konter fahren. Das Heimteam fand taktisch aber nicht das richtige Rezept. Erst in der zweiten Hälfte des Spiels gelang es United mit der Einwechslung von Cristiano Ronaldo, der für Fred ins Spiel kam und einer Umstellung auf ein 4-3-3, bei dem Sancho und Rashford vom Flügel, Ronaldo im Sturmzentrum, McTominay auf der 6, Eriksen auf der 8 und Fernandes auf der 10 agierten, das Spiel zunehmend an sich zu reißen und den Gegner unter Druck zu setzen.

Experten hatten diese Formation eigentlich von Spielbeginn an erwartet. Trotz einer besseren zweiten Hälfte konnten die Red Devils das Spiel nicht mehr drehen, der durch die schwache und taktisch misslungene erste Hälfte entstandene Rückstand von 0:2 konnte nur mehr verkürzt, jedoch nicht egalisiert werden. United wäre sicherlich besser beraten gewesen, das Spiel bereits zu Beginn über die Flügel zu forcieren.

Kaum Kreativität und Torgefahr

Wer sich auf Offensivpressing à la Ajax, das Ten Hag dort teils zelebrieren ließ und ein flottes Spiel der Heimmannschaft freute, wurde enttäuscht. Zwar hat Manchester United mit Christian Eriksen und Bruno Fernandes zwei ausgewiesene Kreativspieler in den eigenen Reihen, das Spiel der Red Devils war aber über weite Strecken vorhersehbar und auch wenn United es ab der 60. Minute vermehrt über die Flügel probierte, waren die Probleme, vor die man die Abwehr von Brighton stellte, überschaubar.

Die Statistik spricht eine klare Sprache: 63:37% Ballbesitz für Manchester United, von 17 Schüssen fanden nur fünf den Weg aufs Tor. Bei Brighton waren es 4 von 15 Schüssen, die aufs Tor gingen. Manchester United hatte zwar insbesondere in der zweiten Hälfte mehr vom Spiel, konnte seinen Ballbesitz aber nicht in Torchancen umzumünzen. Nur vereinzelt kam man durch gute Kombinationen vor das Tor. So etwa in Minute 60, als Rashford alleine vor Brighton-Keeper Sanchez stehend nach guter Vorbereitung von Dalot den Ball nicht ins Netz brachte. Chancen waren Mangelware, meist wurde es durch Weitschüsse von Christian Eriksen, der sich auf der 8er-Position sichtlich wohler fühlte, zahlreiche Freiheiten hatte und den Spielaufbau übernahm, gefährlich. Sanchez war aber auf seinem Posten. Das einzige Tor des Tages für die Red Devils erzielte passenderweise Alexis Mac Allister per Eigentor.

Transferpolitik

Mit Lisandro Martinez hat Manchester United zweifellos einen technisch begabten und zweikampfstarken Verteidiger geholt, der dem Team sofort weiterhelfen kann, was er auch im Auftaktspiel gegen Brighton gezeigt hat. Christian Eriksen kann der Mannschaft ebenso weiterhelfen. Der ehemalige Spielgestalter von Tottenham Hotspur hat insbesondere in Hälfte zwei gezeigt, wozu er in der Lage ist. Tyrell Malacia verfügt über ausreichend Talent und soll Luke Shaw die linke Abwehrseite streitig machen.

Drei zentrale Problembereiche hat Manchester United aber noch nicht adressiert und zwar zum einen das defensive Mittelfeld. Hier soll es Verhandlungen mit Adrien Rabiot und Sergej Milinkovic-Savic geben. Zum anderen die Flügel. Hier sollen Cody Gakpo und Antony auf der Liste des Großklubs stehen. Das wohl größte Problem hat Manchester United aber nach wie vor im Sturm. Jadon Sancho kommt nur langsam in Tritt, Marcus Rashford ist zwar bemüht, hadert aber nach wie vor mit seiner Chancenverwertung und Cristiano Ronaldo ist noch nicht fit genug, um der Mannschaft weiterhelfen zu können.

Benjamin Sesko, mit dem es Verhandlungen gab, wird sich 2023 Leipzig anschließen. Insgesamt betrachtet ist der Markt an guten Stürmern, die Manchester United sofort weiterhelfen könnten, sehr klein, weswegen man wohl dieses Jahr auf den, wenn man den Gerüchten Glauben schenken möchte, abwanderungswilligen Ronaldo setzen wird müssen, der es in der abgelaufenen Saison in 30 Spielen auf 18 Tore und drei Assists gebracht hat.

Dass Manchester United die angeführten drei Problemzonen am Transfermarkt adressieren muss, steht außer Frage, wenn man dieses Jahr unter die Top-4 in England will.

Manchester United braucht Zeit

Manchester United befindet sich unzweifelhaft im Umbruch. Ten Hags Vorliebe mit jungen talentierten Spielern zu arbeiten kann United langfristig helfen, wieder unter die Top-4 Englands zu kommen. Was dafür nötig ist: Zeit und Vertrauen. So, wie dies einst bei Jürgen Klopp und dem FC Liverpool der Fall war. Was daraus wurde, ist hinlänglich bekannt und sollte Manchester United als Vorbild dienen.

Patrick Stummer, abseits.at

Patrick Stummer