In dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien,... Der verlorene Weltklassespieler (25) – John White

_Tottenham Hotspur Wappen StripesIn dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien, Verletzungen oder einfach die Umstände ihrer Karriere: zur falschen Zeit am falschen Ort kann manchmal schmerzhaft wahr sein.

Wir lassen die Karrieren dieser Akteure Revue passieren, spekulieren über die mögliche Auswirkung ihres fehlenden Durchbruchs in der Geschichte des Fußballs und ein kleines „was wäre, wenn…?“ darf natürlich auch nicht fehlen. Immerhin besitzt für solche Spieler nahezu jeder Fußballfan noch eine schöne Erinnerung und jene fragende Wehmut, welche Erinnerungen man nicht alles verpasst hat.

In diesem Teil widmen wir uns …

John White

Für viele Tottenham-Fans gilt die Mannschaft der frühen 1960er, die unter Trainer Bill Nicholson 1961 das Double und 1963 den Europapokal der Pokalsieger gewann, bis heute als das beste Team der Vereinsgeschichte. Als Stars der Mannschaft galten ihr Kapitän und Regisseur Danny Blanchflower, die Torjäger Jimmy Greaves und Bobby Smith, Dauerläufer Dave Mackay und der walisische Außenstürmer Cliff Jones. Neben Blanchflower gab es jedoch noch einen Spieler, der für die kreativen Impulse im Tottenham-Spiel mindestens genauso wertvoll war: John White.

Spielstil und Position

Im Spielsystem der Spurs nahm White, der als Halbstürmer spielte (in Ausnahmefällen wurde er auch als Flügelstürmer aufgeboten), eine wichtige Rolle ein und wurde mit jeder Saison unverzichtbarer. Zur besseren Übersicht bietet sich hier die Formation der Spurs aus dem FA-Cup-Finale 1962 an:

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Dadurch, dass mit Blanchflower und White beide Spielmacher auf einer Seite spielten, liefen auch die meisten Angriffe Tottenhams über diese Seite. Das Gegenteil von Blanchflower und  White waren hingegen Dave Mackay und Jimmy Greaves: während Mackay (der ebenfalls über viel taktisches Verständnis verfügte) oft damit beschäftigt war, mit großer Ausdauer die gegnerischen Halbstürmer zu bearbeiten, konzentrierte sich Greaves aufs Tore schießen und agierte daher in der Regel eher als zweiter Mittelstürmer neben Bobby Smith. Durch den Wechsel von Les Allen (der sowohl torgefährlich als auch ein guter Vorbereiter war) zu Greaves lag auch mehr Verantwortung auf Whites Schultern. White bewies allerdings regelmäßig auf zwei Arten, dass er dieser gewachsen war: entweder lenkte er das Spiel als zurückgezogener Spielmacher (hierbei kam ihm seine Passstärke zugute) oder er stieß plötzlich in den Strafraum vor, um dort selbst Tore zu erzielen (aus diesen überraschenden Angriffen resultierte sein Spitzname „The Ghost“). Noch dazu verfügte er über eine gute Schnelligkeit und über eine enorme Ausdauer.

Karrierebeginn in Schottland

White, der am 28. April 1937 in der schottischen Kleinstadt Musselburgh geboren wurde, begann seine professionelle Fußballkarriere beim damaligen Zweitligisten Alloa Athletic, für den er in 68 Spielen 26 Tore erzielte. 1958 wechselte White, der zu dieser Zeit auch noch seinen Militärdienst absolvierte, zu Falkirk. Er etablierte sich schnell in der Mannschaft und feierte außerdem 1959 sein Debüt in der schottischen Nationalmannschaft, wodurch auch der Manager von Tottenham Hotspur, Bill Nicholson, auf ihn aufmerksam wurde. Zwar hatte Nichsolson aufgrund der schmächtigen Statur Whites zunächst Zweifel, warf diese jedoch beiseite, nachdem ihn die Tottenham-Spieler Dave Mackay und Danny Blanchflower, die international bereits mit bzw. gegen White gespielt hatten, zu einer Verpflichtung rieten. Endgültig überzeugt war Nicholson, nachdem er erfuhr, dass White ein erfolgreicher Crossläufer war. Im Oktober 1959 wechselte John White daher für die damals stattliche Summe von 22000 Pfund von Falkirk zu Tottenham Hotspur.

Erfolgsjahre im Tottenham-Trikot

Bei den Spurs war White zunächst für die Position des linken Halbstürmers vorgesehen, ehe er von Nicholson auf die Position des rechten Halbstürmers verschoben wurde. White ließ sich jedoch von dieser Umstellung nicht beirren und kam am Ende der Saison, die Tottenham mit nur zwei Punkten Rückstand auf den Meister aus Burnley auf Platz drei beendete, auf 28 Spiele mit fünf Toren.
Im Anschluss an diese Saison sollten die erfolgreichsten Jahre in der Vereinshistorie der Spurs folgen: 1960-61 wurde man zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder englischer Meister und konnte außerdem mit dem Sieg im FA-Cup als erste englische Mannschaft im 20. Jahrhundert das Double gewinnen. An dieser sensationellen Saison hatte White auch einen enormen Anteil: als nur einer von vier Spielern (außer ihm absolvierten auch Danny Blanchflower, Ron Henry und Les Allen alle Partien) kam er in allen 42 Ligaspielen und 7 Pokalspielen zum Einsatz und erzielte in der Liga 18 Saisontore.

Eine Saison später wurde Tottenham in der Liga hingegen nur Dritter und auch White kam „nur“ auf 36 Spiele mit acht Toren. Im Europapokal der Landesmeister schaltete Tottenham zunächst Górnik Zabrze, Feyenoord Rotterdam und Dukla Prag aus, ehe man im Halbfinale knapp am späteren Sieger Benfica Lissabon scheiterte (das Hinspiel gewann Benfica 3:1, im Rückspiel siegte Tottenham 2:1).

Erfreulich war hingegen, dass die Spurs ihren Titel im FA-Cup nach einem 3:1 gegen Burnley verteidigen, wobei White das zwischenzeitliche 2:1 durch Bobby Smith vorbereiten konnte.

Nach zwei Jahren, in denen man national Triumphe gefeiert hatte, sollte es im darauffolgenden Jahr anders laufen: in der Meisterschaft mussten die Spurs als Zweiter Everton den Vortritt lassen und auch im FA-Cup schied man bereits in der dritten Runde aus, als man die Neuauflage des vorherigen Finalspiels gegen Burnley 0:3 verlor. International lief es hingegen deutlich besser: nachdem die Spurs die Glasgow Rangers besiegt hatten,  wurde im Viertelfinale Slovan Bratislava bezwungen (nach einer 0:2 Niederlage im Hinspiel gewann Tottenham das Rückspiel noch mit 6:0) und auch der Halbfinalgegner OFK Belgrad konnte die Spurs nicht aufhalten. Neben White, der mit einigen Toren und Vorlagen geglänzt hatte, war vor allem Jimmy Greaves entscheidend am Finaleinzug beteiligt und wurde am Ende sogar Torschützenkönig mit sechs Toren.

Im Finale, das am 15. Mai 1963 in Rotterdam stattfand, trafen White und die Spurs auf den Titelverteidiger Atlético Madrid. Nachdem Greaves die Spurs in der 16. Minute in Führung gebracht hatte, konnte White in der 35. Minute sogar noch das 2:0 erzielen. In der zweiten Halbzeit gelang zunächst Atlético der Anschlusstreffer, als Enrique Collar in der 47. Minute einen Foulelfmeter verwandeln konnte. Die Spurs ließen sich jedoch davon nicht einschüchtern: in der 67. Minute ließ Atléticos Torwart Madinabeytia zunächst eine verunglückte Flanke von Terry Dyson ins Tor passieren, ehe Greaves und Dyson mit ihrem jeweils zweiten Tor den 5:1-Endstand herstellten und somit für den ersten Europapokalsieg der Spurs sorgten.

Die folgende Spielzeit 1963-64 sollte für Tottenham allerdings titellos bleiben. In der Liga wurde man nur Vierter (Tiefpunkte waren zwei 2:7 Pleiten gegen die Blackburn Rovers und Burnley), im FA-Cup kam erneut das Aus in der dritten Runde und auch im Europapokal der Pokalsieger scheiterte man in der zweiten Runde an Manchester United.

Am Ende der Saison kam es schließlich bei den Spurs zu einem Umbruch, als Peter Baker, Bobby Smith und auch Danny Blanchflower den Verein verließen. Zum Großteil blieb der Kern der Mannschaft, deren neuer Kapitän Dave Mackay wurde, jedoch bestehen und auch John White sollte als Folge des Karriereendes von Blanchflower noch mehr Verantwortung in der Spielgestaltung übernehmen. Ebenso wie bei Tottenham konnte White, der zu diesem Zeitpunkt 22 Länderspiele mit drei Toren absolviert hatte, auch in der schottischen Nationalmannschaft in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken: neben seinem Teamkollegen Dave Mackay verfügte die Schotten in diesen Jahren über eine gute Mischung aus hoffnungsvollen Talenten wie Jimmy Johnstone und internationalen Spitzenspielern wie beispielsweise Jim Baxter oder Denis Law, der 1964 sogar zu Europas Fußballer des Jahres gewählt wurde. Tragischerweise sollte White diese hoffnungsvolle Zukunft jedoch nicht mehr lange erleben…

Tragisches Ende

Am 21. Juli 1964 nahm Whites Karriere ein viel zu frühes Ende. Im Anschluss an das Training der Spurs, die an diesem Tag die Saisonvorbereitung aufgenommen hatten, spielte er zunächst eine Runde Tennis mit seinem Teamkollegen Terry Medwin, ehe er sich dazu entschloss, noch eine Runde golfen zu gehen. Nachdem er auf dem Platz angekommen war, entschied er sich trotz des sich zuziehenden Himmels dafür, seine Partie zu absolvieren. Diese Entscheidung sollte sich für White jedoch als fatal erweisen: als das Gewitter immer stärker wurde, suchte er Deckung unter einem Baum und wurde vom Blitz getroffen.

John White starb im Alter von nur 27 Jahren und hinterließ seine Ehefrau und zwei kleine Kinder. Sein Sohn Rob, der beim Tode seines Vaters erst sechs Monate alt war, veröffentlichte 2011 eine Biographie seines Vaters, die in Anlehnung an dessen Spitznamen den Titel „The Ghost of White Hart Lane“ trug. Auch bei Tottenham und in Schottland lebt der Name Whites weiter: nachdem White bereits 2004 in die neugegründete Hall of Fame von Tottenham aufgenommen worden war, erhielt er ein Jahr später auch seinen Platz in der Hall of Fame des schottischen Fußballverbandes.

Marcel Grün, abseits.at

Marcel Grün

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